Grüne Bezirks- und Kreisvorsitzende aus Oberfranken reichen Verfassungsklage gegen den Freistaat Bayern ein
Die Stimmkreisreform und den Zuschnitt des neuen Stimmkreises Wunsiedel-Kulmbach halten sie für verfassungswidrig: Insgesamt elf Grüne Kreisvorsitzende und MandatsträgerInnen haben sich zu dieser Klage zusammen geschlossen:
- die Bezirksvorsitzenden Gert Lowack (Bayreuth) und Martina Benzel-Weyh (Coburg)
- aus den betroffenen Landkreisen Wunsiedel und Kulmbach die Kreisvorsitzenden Brigitte Artmann und Edith Berg
- die Kreisvorsitzenden Lisa Badum (Forchheim), Jens Backert (Lichtenfels), Norbert Pietsch (Bayreuth-Land), die ehemalige Landtagsabgeordnete Edith Memmel (Kronach), die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg (Hof) sowie vom Kreisverband Kulmbach Bruno Kramm
- initiiert wurde die Klage vom Kreisvorsitzenden Bamberg-Land, Andreas Lösche
- anwaltschaftlich vertreten werden sie von der Bayreuther Rechtsanwaltskanzlei Lowack & Lowack
Ihre Popularklage gegen die vom Landtag am 20.10.2011 verabschiedete Änderung zum Landeswahlgesetz, mit welcher die Zahl der Mandate im Wahlkreis Oberfranken von 17 auf 16 reduziert und ein neuer Stimmkreis Wunsiedel-Kulmbach in der Form eines „Hundeknochens“ gebildet wird, begründen die Grünen aus Oberfranken wie folgt:
Die Klägerinnen und Kläger wenden sich dagegen, dass ohne Not und offenkundig aus politischen Motiven die Repräsentanz Oberfrankens im Landtag noch einmal verschlechtert wird und der oberfränkischen Bevölkerung gegen ihren Willen ein Stimmkreiszuschnitt aufoktroyiert wird, der eine völlige Ignoranz der tatsächlichen Gegebenheiten und gewachsenen historischen Strukturen im östlichen Oberfranken zeigt.
Während Oberbayern nun mit 60 Sitzen und damit exakt einem Drittel der Gesamtzahl der Sitze im Landtag vertreten ist, wird Oberfranken, ebenso wie die Oberpfalz, nur noch von 16 Abgeordneten repräsentiert. Damit bildet der Landtag endgültig nicht mehr die mit der Aufteilung Bayerns in 7 Regierungsbezirke durch die Verfassung vorgegebene Vielfalt der Regionen ausreichend ab.
Die Reduzierung von 17 auf 16 Mandate erfolgte, ohne dass dies verfassungsrechtlich zwingend geboten gewesen wäre und daher offenkundig vor allem dazu, um Herrn Seehofer den von ihm für die nächste Wahl benötigten Stimmkreis bei Ingolstadt rechtzeitig zu verschaffen.
Die Reduzierung von 17 auf 16 Sitze ist aber auch verfassungswidrig, da bei abstrakter Betrachtung das gegenwärtige Parteienspektrum die nicht zu vernachlässigende Möglichkeit begründet, dass eine Partei faktisch mehr als 5 % der Stimmen benötigt, um einen Sitz zu erhalten. Würde dies bei der nächsten Wahl passieren, wäre diese Wahl anfechtbar.
Gegenwärtig konkurrieren bereits 7 ernst zu nehmende Parteien um den Einzug in die Parlamente (CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Freie Wähler, FDP, Die Linke, die Piraten). Nicht auszuschließen ist, dass noch vor der nächsten Landtagswahl eine weitere Partei hinzukommt. Einer „Guttenberg-Partei“ würden gemäß einer kürzlich erschienenen Forsa-Umfrage 15 % der Befragten ihre Stimme geben wollen.
Danach ist nicht auszuschließen, dass bei der nächsten Wahl tatsächlich bis zu 8 Parteien landesweit mehr als 5 % der Stimmen bekommen können. Es ist offensichtlich, dass bei bis zu 8 Parteien nur 16 Sitze nicht ausreichen, um ein Wahlergebnis bei der Sitzverteilung repräsentativ abzubilden. Damit ist der Erfolgswert der einzelnen Wählerstimme nicht mehr ausreichend gewährleistet.
Ebenfalls verfassungswidrig ist nach Auffassung der Klägerinnen und Kläger der Zuschnitt des neu geschaffenen Stimmkreises. Der ursprüngliche Stimmkreis Wunsiedel wurde abgeschafft mit dem Argument, dass er mit 25,4 % so weit von dem Bevölkerungsdurchschnitt abweicht, dass der Grundsatz der Wahlgleichheit verletzt ist. Der nun geschaffene neue Stimmkreis weicht aber mit 24,2 % nach oben tatsächlich fast genauso weit ab. Das ist keine relevante Verbesserung, die dem Grundsatz der Wahlgleichheit wirklich genügt, auch wenn diese Abweichung gerade noch verfassungsrechtlich zulässig ist.
Für eine in tatsächlicher Hinsicht derart marginale „Verbesserung“ der Wahlgleichheit der Oberfänkischen Bevölkerung einen Stimmkreis zuzumuten, der alle gewachsenen Strukturen missachtet und von der Bevölkerung einhellig abgelehnt wird, belegt die politische Arroganz und Ignoranz der Regierungsparteien. Verfassungsrechtlich verstößt dieser Zuschnitt gegen den Grundsatz der Deckungsgleichheit aus Art. 14 BV. Dies kann auch nicht mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit gerechtfertigt werden, weil diesem mit dem gewählten Zuschnitt ebenfalls mehr schlecht als recht genügt wird.
Die Erfolgsaussichten der Klage werden vorsichtig beurteilt, da der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber in der Vergangenheit bei derartigen Entscheidungen immer einen relativ großen Ermessensspielraum eingeräumt hat.
Dies hat aber offenbar dazu geführt, dass die bislang staatstragende Partei glaubt, man würde ihr alles durchgehen lassen.
Dem wollen sich die Klägerinnen und Kläger entgegenstellen und klarmachen, dass sie nichts unversucht lassen wollen, die oberfränkischen Interessen zu verteidigen.
Sie sind sich einig, dass es dringend geboten ist dem willkürlichen politischen Aktionismus der Staatsregierung Einhalt zu gebieten und klare Grenzen zu ziehen. Derartig tief in die regionalen Strukturen eingreifende und in ihren Auswirkungen nachhaltige gesetzgeberische Entscheidungen bedürfen besonderer Sorgfalt, Behutsamkeit und Rücksichtnahme. Es ist an der Zeit, dass der Verfassungsgerichtshof dies den Regierungsparteien deutlich macht.
Die Klägerinnen und Kläger
Brigitte Artmann
(Kreisvorsitzende Wunsiedel)
„CSU-Ministerpräsident Seehofer hat sich selbst mit einem fetten Wahlkreis bedient und dabei die Landkreise Wunsiedel und Kulmbach zum Hundeknochen degradiert und diskriminiert.“
Jens Backert
(Kreisvorsitzender Lichtenfels)
„Meiner Meinung nach ist der geographischen Zuschnitts des neuen Wahlkreises Wunsiedel-Kulmbach untragbar und benachteiligt alle Parteien bei ihrer Wahlkreisarbeit.“
Lisa Badum
(Kreisvorsitzende Forchheim)
„Trotz der Lippenbekenntnisse für den ländlichen Raum: Oberfranken wird seit langem schlecht geredet und soll nun auch politisch benachteiligt werden. Ein „Hundeknochenwahlkreis“ ist rechtlich nicht zwingend erforderlich und wird von uns abgelehnt. Auch Stimmkreise, die bevölkerungsmäßig noch gut dastehen, wie etwa Forchheim, werden sich nicht gegen strukturschwächere Regionen ausspielen lassen. Wir Grüne sind uns in dieser Frage einig und wissen, dass auch ParteikollegInnen aus Südbayern hinter uns stehen.“
Martina Benzel-Weyh
(Bezirksvorsitzende / Coburg)
Edith Berg
(Kreisvorsitzende Kulmbach)
Bruno Kramm
(Kreisverband Kulmbach)
„Diese Stimmkreisreform hat nicht nur eine katastrophale Signalwirkung für den seit der Wiedervereinigung strukturell gebeutelten und benachteiligten Nordosten Bayerns, sondern zeugt in seiner räumlichen Verzerrung auch von der geographisch-soziologischen Unkenntnis der
verantwortlichen Technokraten. Ganz zu Schweigen von der wahltaktischen Motivation, der diesem kartografischen Schildbürgerstreich zu Grunde liegt, leistet man so der weiteren Nord-Süd Verwerfung unseres Bundeslandes Vorschub.“
Andreas Lösche
(Kreisvorsitzender Bamberg-Land)
„Unsere Verfassungsklage ist ein starkes Signal für Oberfranken, denn wir dürfen nicht zulassen, dass hier Stimmkreise nach Gutsherrenart eingeteilt werden. Oberfranken ist nicht Eigentum der CSU.“
Gert Lowack
(Bezirksvorsitzender / Bayreuth)
„Nach unserer Überzeugung ist es Aufgabe und Pflicht des Verfassungsgerichts, die bayerische Bevölkerung vor einem gesetzgeberischen Aktionismus zu schützen, der zu scheinbar oberflächlichen, willkürlichen und politisch motivierten Entscheidungen führt.“
Edith Memmel
(Kreisvorsitzende Kronach)
Norbert Pietsch
(Kreisvorsitzender Bayreuth-Land)
Elisabeth Scharfenberg, MdB
(Kreisvorsitzende Hof)
„Diese Stimmkreisreform würde Horst Seehofer einen eigenen Stimmkreis bescheren und den Oberfranken einen Stimmkreis Kulmbach-Wunsiedel in Hundeknochenform bei dem nichts zusammenpasst: das zeigt doch deutlich, dass es bei dieser Neueinteilung nicht um eine Reaktion auf die Bevölkerungsentwicklung geht, sondern um das Eigeninteresse der CSU.“
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