Fortsetzungsroman: “Raststraße” von Joachim Kortner, Teil 39
Romanepisoden von Joachim Kortner
Korea
Die Mutter spricht von Staubfänger. Dieses Kriegszeug kommt ihr nicht mehr an die Zimmerdecke. Ob sie denn überhaupt nichts dazugelernt hätten. Und dass ihr das alles bis hier steht mit diesen ewigen Schmittmesserflugzeugen. Die Jungen lachen, korrigieren sie gönnerhaft. Sagen ihr, dass es Messerschmitt heißt.
Dass die russische MIG 15 der amerikanischen F 86 überlegen sein soll, gefällt Andi überhaupt nicht. Alle silbrig glänzenden Papiermodelle hatte er bisher penibel zusammengebaut. Kein überschüssiger Tropfen UHU an den Klebelaschen, keine Schmierspur.
Pfeilflügelig die F 86 mit dem drohenden Haifischmaul des Düseneintritts.
Die schnittige, zweistrahlige Gloster Meteor.
Und dann seine riesige, viermotorige B 29. Drei Ausschneidebogen war sie ihm wert gewesen. Fast zwei Wochen hatte er für sie gebraucht. Über dreißig Meter Länge, mehr als vierzig Meter Flügelspannweite. So steht es in der Bastelanleitung. Ein Koloss muss das sein.
Da werden sie blöd glotzen, die Nordkoreaner und die Chinesen.
Wenn sein Gigant neuntausend Kilo Bomben auf sie herunterhageln lässt. Am besten gefällt es ihm, wenn seine Amis solche Kanister mit Benzingelee auf die Kommunisten auskippen.
Das gibt dann ein richtiges Flammenmeer. Achtzig Meter breit und dreihundert Meter lang, sagt die Fox Tönende Wochenschau.
Erst gestern haben die Kommunisten wieder eine amerikanische Maschine abgeschossen. Das hat im Coburger Tageblatt gestanden. Wahrscheinlich heimtückisch von hinten in den Rücken.
Aber das werden sie büßen, die Schlitzaugen. Ein General von den Amis hat gesagt, dass er die Kommunisten pulverisieren wird, wenn die weiter so frech sind. Pulverisieren, dass Wort hat Andi besonders gefallen. Stark fühlt er sich, wenn er das Wort mit einem knallenden p heraus zischt.
Bei der kommunistischen Maschine hat er absichtlich noch UHU-Spuren am Bastelbogen dran gelassen. Auch mit den Klebelinien hat er es bei ihr nicht so genau genommen. Und jetzt will er seine Modelle von der Zimmerdecke herab hängen lassen.
Die mit dem roten Stern soll in der Mitte hängen. Von seinen guten Flugzeugen umzingelt. Zum Abschuss und zum verdienten Absturz verdammt.
Ein Vertrag mit der Mutter. Aber in einer Woche muss dass Zeug aus der Wohnung verschwunden sein. Sogar ihre Garnrolle gibt sie her.
Die Woche ist vorüber. Zuerst der Kampfbomber mit dem roten Stern. Andi will ihn nicht abnehmen, sondern abstürzen lassen.
Erst einmal das Garn an den Flügelspitzen abtrennen. Jämmerlich hängt er nur noch am Leitwerk. Seine einst so drohende Fresse nach unten. Er dreht sich um die eigene Achse, wie der verdrehte Garnfaden es ihm befiehlt. Sie weiden sich an seiner Erbärmlichkeit. Dann der entscheidende Schnitt. Er fällt, landet auf dem Stoff des Lampenschirms, rutscht herab und fällt auf den Tisch. Ein flüchtig angeklebter Flügel hat sich gelöst. Gejohle.
Durch die offene Küchentür hat die Mama beim Blaukrautraspeln alles miterlebt. Die drei Westflugzeuge dürfen oben bleiben. Aber höchstens einen Monat. Ein Monat ist eine Ewigkeit.
Raststraße
Roman in Episoden Joachim Kortner
- Paperback
- 244 Seiten
- ISBN-13: 9783833489839
- Verlag: Books on Demand
- Erscheinungsdatum: 28.04.2008
- Sprache: Deutsch
- Farbe: Nein
Bestellung (Paperback & E‑Book): https://www.bod.de/buchshop/raststrasse-joachim-kortner-9783833489839
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