Fort­set­zungs­ro­man: “Mamas rosa Schlüp­fer” von Joa­chim Kort­ner, Teil 37

Mamas Rosa Schlüpfer

Mamas Rosa Schlüpfer

24.12.45

Hans hat­te aus einer Scho­nung eine klei­ne Fich­te geholt, sie im Stüb­chen in einen alten Eisen­topf gestellt, Sand ein­ge­füllt und den dün­nen Stamm mit Schnü­ren an die bei­den Topf­hen­kel gebun­den. Etwas gelie­he­nes Lamet­ta vom Bau­ern ver­teil­te er gleich­mä­ßig dünn über die Zwei­ge. Mit dem Sil­ber­pa­pier von ein­sti­ger Wehr­machts­scho­ko­la­de form­te er zusam­men mit Jank Sterne.

„Eene Spit­ze jehört numa dazu. Wia hamm sowie­so Stücker zwee.“

Hei­di kram­te in alten Kar­tons und stö­ber­te ein ange­schla­ge­nes Exem­plar auf. Die aus­ge­bro­che­ne Stel­le dar­an dreh­te Hans zur Wand.

In Rolands blaue Lieb­lings­ho­se setz­te sei­ne Mut­ter unten Stoff­kei­le ein. Er hat­te gehört, dass es jetzt in Ber­lin zur Zeit Mode wird, Hosen zu tra­gen, die unten glocken­för­mig aus­ge­stellt sind. Frau Snura muss­te es ihm bei einem Besuch in Drahns­dorf bestä­ti­gen. Und außer­dem hat­te er es schon bei einem jün­ge­ren Ham­ste­rer sehen kön­nen, mit dem er regel­mä­ßig Geschäf­te machte.

Für Hans konn­te sie eine kur­ze Leder­jacke auf­trei­ben. Die hat­te sie schon im Herbst am Bahn­hof für einen Korb Stein­pil­ze ein­ge­tauscht. Der Reiß­ver­schluss mit der Metall­ku­gel zum Zie­hen wür­de ihm ganz beson­ders gefal­len, hoff­te sie. Jank konn­te eine lan­ge Hose mit abknöpf­ba­ren Stoff­ho­sen­trä­gern in H‑Form erwar­ten. Die hat­te sie heim­lich aus einer krat­zi­gen Wehr­machts­decke genäht. Für Mill, der immer so leicht an den Ohren fror, konn­te sie eine Pelz­müt­ze der Wehr­macht ergat­tern. Mit ein paar Abnä­hern an der Innen­sei­te hat­te sie das grau­grün­li­che, mit Kanin­chen­fell gefüt­ter­te Stück an Joa­chims Kopf­grö­ße unge­fähr ange­passt. Alles war wegen der wachen Such­au­gen ihres Quar­tetts in Hei­dis Schlaf­zim­mer ver­steckt worden.

„Ihr müsst die­ses Weih­nachtn zufriedn mit dem Christ­baum sein. Wir ham halt nischt und ich will kein Gemecker hörn. Naja, viel­leicht ein paar Plätz­chen, mal sehn.“

Als alle drau­ßen waren, nahm sie die Zuta­ten für ein Kriegs­re­zept, das ihr mal die Else Mich­alsky ver­ra­ten hat­te. Aus Gries, künst­li­chem Bit­ter­man­del­aro­ma, einem Löf­fel Schwei­ne­schmalz und Süß­stoff­ta­blet­ten kne­te­te sie sich einen Teig zusam­men. Dar­aus form­te sie Kugeln und bestäub­te sie mit Zimtpulver.

Das waren jetzt Mar­zi­pan­ku­geln. Damit sie vor neu­gie­ri­gen Blicken und der vor­zei­ti­gen Ent­deckung geschützt waren, kam die­se Deli­ka­tes­se ganz oben auf den Küchen­schrank. Um ganz sicher zu gehen, deck­te sie alles noch ein­mal mit altem Zei­tungs­pa­pier ab und ging dann zu Hei­di, um irgend­et­was zu holen.

Mill kam jetzt wie­der her­ein. Er war vom Schnee­mann­bau­en ange­frö­stelt. Mit sei­nem Stoff­ball stell­te er unge­len­ke Fang­spie­le an. Der Ball lan­de­te ganz oben auf der eben abge­deck­ten Über­ra­schung und ver­schob dabei die Zei­tung. Mill stieg auf den Küchen­stuhl, erschrak vor dem Anblick der ver­steck­ten Köst­lich­keit und ließ beim Abstei­gen vor Schreck den Ball oben liegen.

Als sei­ne Mut­ter her­ein­kam, mach­te er sei­ne schon so oft ver­spot­te­te Acht­lip­pe und hielt sich an der Schür­ze fest.

„Ich hab sie nich gesehn, ich hab sie wirk­lich nich gesehn.“

Ihre Stim­me und die ver­trau­ten, arbeits­rau­en Hän­de in sei­nem Gesicht trö­ste­ten ihn schnell.