Gewerk­schaft NGG Ober­fran­ken kri­ti­siert Arbeits­be­din­gun­gen bei Lieferando

Bei Wind und Wetter unterwegs: Fahrrad-Kuriere bei Lieferando arbeiten zu niedrigen Löhnen und unter hoher Belastung, kritisiert die Gewerkschaft NGG. Foto: NGG
Bei Wind und Wetter unterwegs: Fahrrad-Kuriere bei Lieferando arbeiten zu niedrigen Löhnen und unter hoher Belastung, kritisiert die Gewerkschaft NGG. Foto: NGG

Durch Coro­na boomt Lie­fer­ge­schäft in Oberfranken

Fahr­rad-Kurie­re im Coro­na-Stress: Die Gewerk­schaft Nah­rung-Genuss-Gast­stät­ten (NGG) hat die Arbeits­be­din­gun­gen beim Essens­lie­fer­dienst Lie­feran­do kri­ti­siert. „In Zei­ten geschlos­se­ner Restau­rants bestel­len immer mehr Men­schen auch in Ober­fran­ken ihr Essen im Inter­net. Das führt zu glän­zen­den Geschäf­ten beim Markt­füh­rer Lie­feran­do. Aber die Fah­re­rin­nen und Fah­rer, die bei jedem Wet­ter unter­wegs sind, arbei­ten zu Nied­rig­löh­nen und teils am Rand der Bela­stungs­gren­ze“, sagt Micha­el Grundl, Geschäfts­füh­rer der NGG-Regi­on Oberfranken.

Die Gewerk­schaft kri­ti­siert ins­be­son­de­re den „Anreiz zur Akkord­ar­beit“. Um über den Ein­stiegs­ver­dienst von nur zehn Euro pro Stun­de hin­aus­zu­kom­men, müss­ten die Beschäf­tig­ten mög­lichst vie­le Bestel­lun­gen in mög­lichst kur­zer Zeit aus­lie­fern. Ab der 25. Bestel­lung zahlt Lie­feran­do einen Zuschlag von 25 Cent pro Order, ab dem 100. Auf­trag gibt es einen Euro mehr, zwei Euro kom­men ab der 200. Bestel­lung dazu. „Die­ses System führt zu gro­ßem Stress bei den Fah­rern, denen jede rote Ampel wert­vol­le Zeit kostet. Um schnell vor­an­zu­kom­men, set­zen sie häu­fig ihre Gesund­heit aufs Spiel. Und ein Groß­teil pro­fi­tiert gar nicht von den Zuschlä­gen, weil sie in Mini­jobs oder Teil­zeit­ver­trä­gen arbei­ten“, so Grundl.

Außer­dem wer­de der Arbeits­schutz nach Beob­ach­tung der NGG nicht ernst genug genom­men. Die von Lie­feran­do gestell­ten E‑Bikes sei­en häu­fig nicht rich­tig gewar­tet und nur bedingt ver­kehrs­si­cher. „Und wer mit dem eige­nen Fahr­rad unter­wegs ist, muss für die Repa­ra­tu­ren meist selbst auf­kom­men“, moniert Grundl. Zudem setz­ten sich die Kurie­re beim Ablie­fern der Bestel­lung vor der Woh­nungs­tür einer erhöh­ten Coro­na-Infek­ti­ons­ge­fahr aus. Nach der neu­en Coro­na-Test­ver­ord­nung in Betrie­ben muss Lie­feran­do sei­nen Fah­re­rin­nen und Fah­rern zwei kosten­lo­se Coro­na-Tests pro Woche anbie­ten, weil sie viel Kun­den­kon­takt haben. Nach Beob­ach­tung der NGG sind die Test­an­ge­bo­te des Anbie­ters bis­lang aber unzureichend.

Es kön­ne nicht sein, dass Essens­lie­fer­dien­ste, die zu den Gewin­nern der Coro­na-Kri­se gehör­ten, ihre Geschäf­te auf dem Rücken der Beschäf­tig­ten mach­ten. „Lie­feran­do muss sich end­lich zu fai­ren Löh­nen und bes­se­ren Arbeits­be­din­gun­gen beken­nen. Das Unter­neh­men darf der Grün­dung von Betriebs­rä­ten nicht län­ger Stei­ne in den Weg legen“, so Grundl mit Blick auf bis­he­ri­ge Ver­su­che des Anbie­ters, die Wahl von Arbeit­neh­mer­ver­tre­tun­gen zu ver­hin­dern. An die Beschäf­tig­ten appel­liert der Gewerk­schaf­ter, Rat bei der NGG zu suchen. Je mehr Fah­re­rin­nen und Fah­rer sich für ihre Belan­ge ein­setz­ten, desto schnel­ler könn­ten tarif­li­che Stan­dards für die Lie­fer­bran­che aus­ge­han­delt werden.

Zudem soll­ten Beschäf­tig­te ihre Lohn­ab­rech­nun­gen genau prü­fen. Nach Gewerk­schafts­in­for­ma­tio­nen pas­sie­re es immer wie­der, dass Zah­lun­gen zu spät kämen oder sogar aus­blie­ben. Auch die häu­fig aus­fal­len­de Online-Funk­ti­on für Trink­gel­der, auf die Beschäf­tig­te wegen der nied­ri­gen Löh­ne ange­wie­sen sei­en, sor­ge für Pro­ble­me. „Für die Fah­rer kommt es auf jeden Euro an. Im Ernst­fall soll­ten sie sich von der NGG bera­ten las­sen“, so Grundl. Für Gewerk­schafts­mit­glie­der sei ein Lohn-Check kosten­los. Nach dem Ver­schwin­den von Mar­ken wie Lie­fer­held, Foodo­ra, Deli­veroo und piz​za​.de gilt Lie­feran­do unter den Online-Essens­be­stell­dien­sten in Deutsch­land als unan­ge­foch­te­ner Markt­füh­rer. Im ver­gan­ge­nen Jahr stieg der Umsatz des Mut­ter­kon­zerns „Just Eat Takea­way“ nach Unter­neh­mens­an­ga­ben um 54 Pro­zent auf 2,4 Mil­li­ar­den Euro. Das Unter­neh­men steht immer wie­der im Zusam­men­hang mit pre­kä­ren Arbeits­be­din­gun­gen in der Kri­tik. Gastro­no­men, die wegen der Coro­na-Beschrän­kun­gen nur außer Haus ver­kau­fen kön­nen, kri­ti­sie­ren die hohen Pro­vi­sio­nen von bis zu 30 Pro­zent des Umsatzes.