BN lehnt Gift­ein­satz gegen Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner ab

Man­che Kom­mu­nen in Bay­ern star­ten der­zeit mit der Bekämp­fung des Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ners. Der BUND Natur­schutz in Bay­ern (BN) hin­ge­gen kri­ti­siert den Ein­satz von Bio­zi­den, weil hier oft Gif­te „vor­beu­gend“ in die Umwelt gebla­sen wer­den, ohne dass zuvor ein star­ker Befall fest­ge­stellt und Alter­na­ti­ven geprüft wurden.

In Erlan­gen wur­de bereits im Früh­jahr eine Fir­ma beauf­tragt, Bio­zi­de zu sprit­zen. Auch in Kam­mer­stein, Lkr. Roth und in Ober­as­bach, Lkr. Fürth-Land wur­de offen­bar pro­phy­lak­tisch gespritzt. Die Stadt Münch­berg, Lkr. Hof, hat sogar eine eige­ne Sprüh­ka­no­ne ange­schafft, um bis zu 35 m hoch in die Bäu­me sprit­zen zu kön­nen. Laut Baye­ri­schem Rund­funk emp­fiehlt die Stadt Donau­wörth sogar Pri­vat­per­so­nen, die Eichen im Gar­ten haben, ihre Bäu­me auch gegen den Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner sprit­zen zu lassen.

Der BUND Natur­schutz lehnt den Gift­ein­satz gegen den Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner ab.

„Wir haben erst im letz­ten Jahr ein Volks­be­geh­ren zum Arten­schutz gehabt, weil das Insek­ten­ster­ben ein erschrecken­des Aus­maß ange­nom­men hat und mitt­ler­wei­le uns Men­schen selbst bedroht. Der Baye­ri­sche Land­tag hat den Gesetz­ent­wurf ange­nom­men und ein Begleit­ge­setz beschlos­sen, um das Arten­ster­ben zu begren­zen. Mit dem Gift­ein­satz wird genau das Gegen­teil von Insek­ten­schutz gemacht, weil selbst die bio­lo­gi­schen Mit­tel wie Neem-Pro­tect ja nicht nur den Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner tref­fen, son­dern alle Insek­ten töten, deren Rau­pen an Blät­tern fres­sen. Die Aus­lö­schung der Früh­lings- und Som­mer­bo­ten, der Schmet­ter­lin­ge und vie­ler ande­rer Insek­ten geht sonst wei­ter“, so Mar­tin Geil­hu­fe, BN-Lan­des­be­auf­trag­ter. Gera­de Eichen gel­ten als beson­ders arten­rei­cher Lebens­raum, mehr als 2.000 Arten sind auf Eichen nachgewiesen.

Der Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner ist eine in Deutsch­land ein­hei­mi­sche Schmet­ter­lings­art. Die Rau­pen bil­den ab dem drit­ten Ent­wick­lungs­sta­di­um Brenn­haa­re aus, die ein Nes­sel­gift ent­hal­ten. Die­ses kann beim Kon­takt mit Men­schen Haut­aus­schlä­ge ver­ur­sa­chen. In sel­te­nen Fäl­len kön­nen auch Rei­zun­gen der Augen oder der Bron­chi­en auf­tre­ten. Von daher kann vom Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner tem­po­rär eine gesund­heit­li­che Gefahr, ins­be­son­de­re im Umfeld von Kin­der­gär­ten und Spiel­plät­zen, aus­ge­hen, die eine Bekämp­fung rechtfertigen.

„Das Mit­tel der Wahl ist mecha­ni­sche Besei­ti­gung durch Fach­leu­te. So machen es zahl­rei­che Kom­mu­nen, z. B. die Städ­te Nürn­berg oder Ans­bach“, so Tom Konop­ka, Regio­nal­re­fe­rent des BN für Mit­tel- und Oberfranken.

„Wir for­dern die Kom­mu­nen auf, die vor­beu­gen­den Gift­sprit­zun­gen ein­zu­stel­len, weil das nach den Anwen­dungs­be­stim­mun­gen für Dipel Es oder NEEM Pro­tect ver­bo­ten ist“, so Tom Konop­ka, BN-Regio­nal­re­fe­rent für Mit­tel- und Ober­fran­ken. „Wir for­dern zudem die Gewer­be­auf­sichts­äm­ter als Kon­troll­be­hör­den auf, hier end­lich tätig zu wer­den. Es ist ein Skan­dal, dass hier seit vie­len Jah­ren offen­bar weg­ge­schaut wird.“ Der BN hat­te sich zu dem The­ma Gift­ein­sät­zen gegen Schmet­ter­lin­ge bereits 2011 an ver­schie­de­ne Mini­ste­ri­en gewandt.

Kein prä­ven­ti­ver Einsatz!

Was nach Ansicht des BUND gar nicht sein darf, ist, das Mit­tel prä­ven­tiv, d.h. ohne Nach­weis, dass über­haupt ein Befall vor­liegt, ein­zu­set­zen. Das mag zwar unterm Strich preis­wer­ter und beque­mer sein, offen­bart aber ein selt­sa­mes Ver­ständ­nis von Natur­schutz und ist recht­lich nicht zuläs­sig. Auf Pha­sen der Mas­sen­ver­meh­rung des Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ners in der Ver­gan­gen­heit folg­ten immer wie­der Popu­la­ti­ons­ein­brü­che und danach Pha­sen, in denen die Art kaum in Erschei­nung trat.

Gefahr wird überschätzt

Das gesund­heit­li­che Pro­blem wird bis­her völ­lig über­schätzt. Ver­gli­chen mit Gefah­ren des täg­li­chen Lebens ist der Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner ein eher gerin­ges Übel: Über 3.000 Men­schen ster­ben jähr­lich im Stra­ßen­ver­kehr in Deutsch­land (Stand 2019), noch mehr ster­ben bei Unfäl­len im Haus­halt. Etwa 390.000 Ver­letz­te gibt es jähr­lich im deut­schen Stra­ßen­ver­kehr (Stand 2019).

Sta­ti­sti­ken zu all­er­gi­schen Schocks und ern­sten Gesund­heits­ge­fah­ren durch Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner­haa­re gibt es nicht, bei Ver­öf­fent­li­chun­gen wer­den nur Ein­zel­fäl­le ange­ge­ben. Die Baye­ri­sche Lan­des­an­stalt für Wald und Forst­wirt­schaft spricht nur von „Beein­träch­ti­gung der Gesund­heit: mecha­ni­sche Rei­zung der Haut und Schleim­häu­te nach Haut­kon­takt, nach Ein­at­men von Gift­haa­ren all­er­gi­sche Reak­tio­nen auf den Gift­stoff Thau­me­to­po­ein (Sen­si­bi­li­tät zuneh­mend), jucken­de, ent­zünd­li­che Haut­aus­schlä­ge, Rötun­gen, Quad­deln und Bläs­chen. Beschwer­de­bil­der Ent­zün­dun­gen der Augen­bin­de­haut (sel­ten), Rei­zun­gen im Rachen, Hals­schmer­zen, Hustenreiz.“

Ob bis­her über­haupt Men­schen nach all­er­gi­schen Schocks an den Fol­gen von Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner­haa­ren star­ben, ist unklar, wäh­rend laut Sta­ti­sti­schem Bun­des­amt jähr­lich zwi­schen zehn und 30 Men­schen infol­ge Kon­takt mit Wes­pen, Bie­nen und Hor­nis­sen ster­ben. Die Beein­träch­ti­gun­gen sind eher mit der Bela­stung durch Mücken­sti­che zu ver­glei­chen. Wür­de man alle Stech­mücken mit Gift bekämp­fen, hät­te das nicht nur ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die Natur, son­dern wür­de die Bestäu­bung der Nutz­pflan­zen durch Bie­nen been­den und öko­no­mi­sche Schä­den in Mil­li­ar­den­hö­he ver­ur­sa­chen. Von den Öko­sy­stem­fol­gen ganz zu schwei­gen. Zu Recht wer­den Stech­mücken in aller Regel nicht mit Gift bekämpft.

Mecha­ni­sches Ent­fer­nen besser

Bei Befall soll­ten daher mecha­ni­sche Bekämp­fungs­maß­nah­men – zum Bei­spiel das Absau­gen, Abfläm­men oder Absam­meln von Rau­pen und Gespin­sten oder tem­po­rä­re Sper­run­gen von betrof­fe­nen Gebie­ten – in Betracht gezo­gen werden.

Umwelt­schä­den durch Biozide

Der Ein­satz von Bio­zi­den ist immer mit wei­te­ren Umwelt­schä­den ver­bun­den. Das gilt auch für Neem Pro­tect, ein Mit­tel, das z.B. in Münch­berg zum Ein­satz kom­men soll. Neem­Pro­tect mit dem Wirk­stoff Mar­gosa-Extrakt des indi­schen Neem-Baums ist ein Fraß­gift und führt zum Fraß­stopp. Es hat laut Umwelt­bun­des­amt eine hohe aqua­ti­sche Toxi­zi­tät und wirkt auch auf alle ande­ren Insek­ten. Ein Ein­satz mit Spritz­ka­no­nen ist nur erlaubt, wenn min­de­stens 90 m Abstand zu Gewäs­sern ein­ge­hal­ten wird. Es besteht auch das Risi­ko indi­rek­ter Wir­kun­gen v.a. für Vogel- und Fledermausarten.

Das alter­na­tiv ein­ge­setz­te Mit­tel ‚Dipel ES (Foray ES)‘ mit dem Wirk­stoff Bacil­lus thu­rin­gi­en­sis kurs­ta­ki (Btk) ist auch ein Fraß­gift. Es führt zur Darm­per­fo­ra­ti­on bei Rau­pen. Pro­blem: Es wirkt spe­zi­fisch auf alle Rau­pen nicht nur des Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ners. V.a. für Vogel- und Fle­der­maus­ar­ten mit spe­zi­fi­schem Beu­te­spek­trum kann das nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen haben.

Sprüh­ver­fah­ren unge­nau, angren­zen­de Flä­chen wer­den vergiftet

Ein wei­te­res Pro­blem dabei: Die für die Aus­brin­gung ein­ge­setz­ten Ver­fah­ren, wie das Sprü­hen mit Boden­ka­no­nen oder das Sprit­zen mit Hub­schrau­bern, sind ver­gleichs­wei­se unprä­zi­se und die Aus­bring­ge­nau­ig­keit ist zusätz­lich von einer Viel­zahl äuße­rer Fak­to­ren wie Wind­drift abhän­gig. Die ein­ge­setz­ten Insek­ti­zi­de gelan­gen somit nicht nur auf die befal­le­nen Eichen, son­dern auch auf ande­re Pflan­zen und angren­zen­de Flä­chen, die eigent­lich nicht behan­delt wer­den sollten.
Das Umwelt­bun­des­amt kon­sta­tiert des­halb, dass die Aus­brin­gung von Bio­zid­pro­duk­ten im Frei­land damit zu einem zum Teil erheb­li­chen Ein­griff in den Natur­haus­halt füh­ren kann, ver­bun­den mit dem Risi­ko unan­nehm­ba­rer Aus­wir­kun­gen auf die Umwelt, ohne dabei für den Gesund­heits­schutz von aus­rei­chen­dem Nut­zen zu sein.

Erfolg­rei­cher Ein­satz des BN

Bereits im Som­mer 2010 pran­ger­te der BUND Natur­schutz die von Kom­mu­nen, Staat­li­chen Bau­äm­tern und der Auto­bahn­di­rek­ti­on Nord­bay­ern durch­ge­führ­ten Spritz­ak­tio­nen mit dem Bio­zid Diflu­ben­zu­ron gegen den Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ner an und warn­te vor den Fol­gen für Gesund­heit und Umwelt. Hun­der­te Kilo­me­ter Auto­bahn wur­den allein in Nord­bay­ern prä­ven­tiv gespritzt. Durch die BN-Kam­pa­gne und Land­tags­an­fra­gen von Bünd­nis90-Die Grü­nen konn­te erreicht wer­den, dass die Auto­bahn­di­rek­ti­on die prä­ven­ti­ve Spritz­ak­ti­on ein­stell­te und nur noch in sehr gerin­gem Umfang bei Befall spritzt. Das Gift Diflu­ben­zu­ron hat mitt­ler­wei­le kei­ne Zulas­sung mehr.

Kli­ma­kri­se begün­stigt das Auf­tre­ten des Eichenprozessionsspinners

Die der­zei­ti­ge loka­le oder regio­na­le Ver­meh­rung des Eichen­pro­zes­si­ons­spin­ners wird mit dem Kli­ma­wan­del in Ver­bin­dung gebracht: Die Art gilt als wär­me­lie­bend, des­halb als von der Kli­ma­er­wär­mung begün­stigt und wird damit als Indi­ka­tor für den Kli­ma­wan­del angeführt.