Tan­go­klän­ge in Forchheim

Tango Born. Foto: Landkreis Forchheim

Tan­go Born. Foto: Land­kreis Forchheim

Es scheint, als ob sie mit ihren Instru­men­ten im Arm tanz­ten. Einen argen­ti­ni­schen Tan­go vol­ler Anmut, Ero­tik und Hin­ga­be. Dabei ist das bei nüch­ter­ner Betrach­tung gar nicht mög­lich. Schließ­lich sit­zen Wolf­ram und Bet­ti­na Born vor einem Kon­zert­flü­gel und einem Akkor­de­on. Sie bewe­gen sich kei­nen Zen­ti­me­ter vom Platz, und doch umkrei­sen sie ein­an­der, umschlin­gen sich, sto­ßen sich ab, vom ersten bis zum letz­ten Ton, und dar­über hin­aus. In „Mi Tan­go Miste­rio­so“ gelingt dem musi­ka­li­schen Paar aus Jena eine Lie­bes­er­klä­rung an jenen latein­ame­ri­ka­ni­schen Tanz, der so vie­le Ein­flüs­se ver­eint. Afri­ka­ni­schen Rhyth­men, böh­mi­sche Pol­kas oder bra­si­lia­ni­schen Maxi­xe. Das liegt auch dar­an, dass sie sich schon fast drei Jahr­zehn­te damit befas­sen. Der Rausch der Musik erfasst bald alle Zuhö­rer, die das Kam­mer­kon­zert des Kura­to­ri­ums zur För­de­rung von Kunst und Kul­tur im Forch­hei­mer Land, der Stadt und der Volks­hoch­schu­le besuchen.

Anfangs glei­ten die Fin­ger noch ruhig auf den Tasten ent­lang. Die Stim­mung ist melan­cho­lisch, ja fast medi­ta­tiv. Dabei erzählt der Salon-Tan­go „El Mar­ne“ von den gleich­na­mi­gen Schlach­ten des Ersten Welt­krie­ges am Fluss Mar­ne. Edu­ar­do Aro­las kom­po­niert das Mei­ster­werk in Paris, im Lan­de sei­ner Vor­fah­ren, kurz nach­dem das grau­sa­me Gemet­zel ein Ende gefun­den hat. Getreu einem geflü­gel­ten Wort, nach­dem der Tan­go ein trau­ri­ger Gedan­ke ist, den man tan­zen kann. Wäh­rend der Pia­nist mit festem Griff durch die Tak­te führt, darf die Akkor­deo­ni­stin mit leich­ter Hand fol­gen. Wobei sie unmerk­lich die Initia­ti­ve an sich zieht, um sie spä­ter wie­der abzu­ge­ben. Hier befin­den sich zwei gleich star­ke Part­ner auf dem Par­kett. Jeder mit sei­nem unver­wech­sel­ba­ren Thü­rin­ger Tem­pe­ra­ment. Jeder mit der ihm eige­nen Vir­tuo­si­tät und Musikalität.

Frei­lich ist der Abend in der Gere­ons­ka­pel­le auch ein Aus­flug in die Geschich­te des Tan­gos. In eine frü­he Zeit, als nur Män­ner sich zu den Klän­gen afri­ka­ni­scher Trom­meln beweg­ten, weil Frau­en in der Ein­wan­de­rer­ge­sell­schaft Man­gel­wa­re waren. Als der Tan­go noch eine länd­li­che, ziem­lich der­be Geschich­te war, vol­ler Lebens­lust und Fröh­lich­keit und sich nach einem Wort aus der Ban­tu-Spra­che „Milon­ga“ nann­te. Was so viel wie Gere­de bedeu­tet. Gemeint ist ein Gespräch mit den Kör­pern, das kei­ner Wor­te bedarf. Spä­ter wer­den die Schrit­te dann fein­füh­li­ger, der Klang moder­ner, kurz­um städ­ti­scher. Dafür ver­liert sich das star­re rhyth­mi­sche Kor­sett. Nun kann man mit­tels Syn­ko­pen die Beto­nun­gen hin und her schie­ben. Das macht die Sache gleich viel span­nen­der. Aber auch gefährlicher.

Meist aber erzählt der Tan­go eine trau­ri­ge Geschich­te. Wie in Cátu­lo Castil­los „El últi­mo café“. Ganz wie bei dem gleich­na­mi­gen römi­schen Lie­bes­dich­ter Catull, der aller­dings deut­lich fri­vo­le­re Zei­len geschaf­fen hat. In Bue­nos Aires ist es kalt und reg­ne­risch. Der Herbst deu­tet das Ende des Jah­res an. Auch in Sachen Lie­be geht es zu Ende. Eine schmerz­haf­te Tren­nung ist unver­meid­lich. Zum Abschied trinkt man noch einen letz­ten Kaf­fee. Da passt es ganz gut, dass im Kon­zert­pro­gramm Astor Piaz­zollas „Années de Soli­tu­de“ fol­gen: die Jah­re vol­ler Ein­sam­keit. Die bei­den Borns spie­len die­sen Tan­go nue­vo nicht nur. Sie leben ihn. Es gleicht einem Wun­der, dass sich kei­ner aus dem Publi­kum nach vor­ne wagt. Wo man genü­gend Platz gelas­sen hat, um zu tan­zen. Das über­neh­men dann die Zug­vö­gel, denen Astor Piaz­zolla weh­mü­tig hin­ter­her­blickt. In der Bal­la­de „Los paja­ros per­di­dos“ kann man deren fer­nen Flü­gel­schlag gera­de­zu spü­ren. Als der Schwarm der ver­lo­re­nen Vögel ent­schwun­den ist, bleibt nur die Erin­ne­rung an ein wun­der­bar sinn­li­ches, packen­des, lei­den­schaft­li­ches Kon­zert. Aber was heißt „nur“…

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