Offe­ner Brief der Gemein­de Ober­haid an Bun­des­mi­ni­ste­rin Kla­ra Geywitz

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Eva­lu­ie­rung des § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB zur Pri­vi­le­gie­rung von Frei­flä­chen­pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen ent­lang von Auto­bah­nen und mehr­spu­ri­gen Eisen­bahn­strecken; Offe­ner Brief der Gemein­de Ober­haid auf­grund einer erheb­li­chen Ein­schrän­kung des ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­ten Rechts auf Selbstverwaltung

Sehr geehr­te Frau Geywitz,

mit der Eva­lu­ie­rung des BauGB zum 01.01.2023 wur­de das „Gesetz zur sofor­ti­gen Ver­bes­se­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für die erneu­er­ba­ren Ener­gien im Städ­te­bau­recht“ erlas­sen. Hier­durch wur­de in § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB eine Pri­vi­le­gie­rung für Frei­flä­chen­pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen auf­ge­nom­men, wenn sich die Anla­ge inner­halb eines 200-Meter-Kor­ri­dors ent­lang einer mehr­spu­ri­gen Bahn­li­nie oder einer Auto­bahn befin­det. Folg­lich muss für den pri­vi­le­gier­ten Bereich, ent­ge­gen der bis dahin gän­gi­gen Pra­xis, für eine neue Pho­to­vol­ta­ik­an­la­ge kein Bau­leit­plan­ver­fah­ren mehr durch­ge­führt wer­den. Dies gilt unab­hän­gig der Lei­stung als auch der über­bau­ten Flä­che für zukünf­tig geplan­te Anla­gen. Für Vor­ha­ben­trä­ger bedeu­tet die Ände­rung im BauGB eine deut­li­che Erleich­te­rung, da die zum Teil lang­wie­ri­gen und kosten­in­ten­si­ven Bebau­ungs­plan-Auf­stel­lungs­ver­fah­ren und Flä­chen­nut­zungs­plan-Ände­rungs­ver­fah­ren obso­let gewor­den sind.

Für die Kom­mu­nen, durch deren Gemein­de­ge­biet eine Bahn- oder Auto­bahn­strecke ver­läuft, bedeu­tet die Ände­rung in § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB jedoch haupt­säch­lich, dass die gemeind­li­che Pla­nungs­ho­heit als Aus­fluss des ver­fas­sungs­recht­lich garan­tier­ten Rechts auf Selbst­ver­wal­tung, die bis dato das Haupt­in­stru­ment zur ört­li­chen Steue­rung der Ansied­lung von Frei­flä­chen­pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen dar­stell­te, in einem so erheb­li­chen Maße ein­ge­schränkt wur­de, dass dies­be­züg­lich ein fak­ti­scher Ent­zug der Pla­nungs­ho­heit vorliegt.

Wie sicher­lich auch ande­re Gemein­den im Bun­des­ge­biet ist die Gemein­de Ober­haid gleich dop­pelt von die­ser neu­en Vor­schrift betrof­fen, da sowohl die Bun­des­au­to­bahn A 70 als auch die mehr­spu­ri­ge Bahn­strecke „Bam­berg-Rot­ten­dorf“ quer durch das gesam­te Gemein­de­ge­biet verläuft.

Erwar­tungs­ge­mäß gin­gen in den letz­ten Wochen und Mona­ten zahl­rei­che Anfra­gen von Inve­sto­ren bei der Ver­wal­tung ein, die, über den gesam­ten pri­vi­le­gier­ten Bereich ver­teilt, ein­zel­ne, teils klei­ne­re bis mit­tel­gro­ße Anla­gen errich­ten wol­len. Nach­dem es in der Gemein­de bereits ca. 10 Hekt­ar Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen gibt, die damals noch über die Gemein­de mit­tels Bau­leit­plan­ver­fah­ren errich­tet wur­den, und wei­te­re ca. 10 Hekt­ar als schwim­men­de Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen (sog. „Floa­ting­Pho­to­vol­ta­ik“) der­zeit in Pla­nung sind, möch­te sich die Gemein­de hin­sicht­lich des wei­te­ren Zubaus von Frei­flä­chen­pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen zunächst eher zurück­hal­ten. Die­se Grund­ein­stel­lung kann nun auf­grund der Pri­vi­le­gie­rung in § 35 BauGB jedoch umgan­gen wer­den, da ein Ein­ver­neh­men mit der Gemein­de, anders als bei einem Bau­leit­plan­ver­fah­ren, nun nicht mehr erfor­der­lich ist.

Die­se Ent­wick­lung berei­tet uns gro­ße Sor­gen, da durch die Viel­zahl an Anfra­gen eine Zer­sie­de­lung des bau­recht­li­chen Außen­be­reichs und eine Zer­split­te­rung der sonst eher kon­zen­triert errich­te­ten Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen zu erwar­ten ist. Dar­über hin­aus wider­spre­chen eini­ge der durch die Inve­sto­ren aus­ge­wähl­ten poten­ti­el­len Stand­or­te dem kon­kre­ten Ent­wick­lungs­ziel der Gemein­de, mit der Fol­ge, dass eine geord­ne­te städ­te­bau­li­che Ent­wick­lung in den Außen­be­reich hin­ein für die Zukunft gefähr­det ist, weil Flä­chen mit Ent­wick­lungs­po­ten­ti­al vor­her durch Frei­flä­chen­pho­to­vol­ta­ik in Anspruch genom­men wur­den. Gera­de auch durch das fest­ge­setz­te Über­schwem­mungs­ge­biet (HQ100) des Mains, von dem die Gemein­de Ober­haid eben­so betrof­fen ist, wird die Gemein­de­ent­wick­lung ohne­hin schon stark ein­ge­schränkt. Kom­men nun noch die pri­vi­le­gier­ten Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen hin­zu, ver­bleibt kaum noch Ent­wick­lungs­po­ten­ti­al für die Zukunft. Dies kann nicht das Ziel und darf nicht das Ergeb­nis des poli­ti­schen Ver­suchs der För­de­rung des Zubaus von Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen sein! Daher besteht drin­gen­der Handlungsbedarf!

Sei­tens der Gemein­de Ober­haid wird kei­nes­falls bezwei­felt, dass der Aus­bau rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien ein grund­le­gen­der Bestand­teil für die Sicher­stel­lung des Ener­gie­be­darfs der Bevöl­ke­rung, sowie zur effek­ti­ven und glo­ba­len Ver­rin­ge­rung des CO2-Aus­sto­ßes, ist. Die Gemein­de Ober­haid ver­folgt die­se Zie­le im Rah­men der Kom­mu­nal­po­li­tik eben­so wie die Bun­des­po­li­tik auf Bun­des­ebe­ne. Für die Errei­chung die­ser Zie­le ist es aus unse­rer Sicht jedoch aus­drück­lich nicht erfor­der­lich, die Pla­nungs­ho­heit einer Kom­mu­ne voll­stän­dig aus­zu­he­beln. Es wäre sicher­lich eben­so effek­tiv und prak­ti­ka­bel, die Kom­mu­nen zu ver­pflich­ten, einen bestimm­ten Anteil des Gemein­de­ge­biets (z.B. 1% oder 2%) bis zu einem gewis­sen Zeit­punkt zur Erzeu­gung rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien aus­zu­wei­sen. So wäre den Kom­mu­nen zumin­dest die Mög­lich­keit erhal­ten geblie­ben, eigen­ver­ant­wort­lich zu bestim­men, an wel­chen Orten im Gemein­de­ge­biet die Pho­to­vol­ta­ik­flä­chen ent­ste­hen sol­len. Durch die Ent­schei­dung vor Ort hät­te damit auch der Aspekt des wei­te­ren städ­te­bau­li­chen Ent­wick­lungs­po­ten­ti­als einer Kom­mu­ne Berück­sich­ti­gung gefunden.

Es bleibt zu hof­fen und es wird erwar­tet, dass sich die Bun­des­re­gie­rung bzw. das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Woh­nen, Stadt­ent­wick­lung und Bau­we­sen noch­mals mit den Aus­wir­kun­gen der Eva­lu­ie­rung des Bau­ge­setz­bu­ches vom 01.01.2023 aus­ein­an­der­setzt und eine Rege­lung erar­bei­tet, die auch die Bedürf­nis­se klei­ne­rer, länd­li­cher Kom­mu­nen mit spe­zi­el­len, lage­be­ding­ten Her­aus­for­de­run­gen, berücksichtigt.

Car­sten Joneitis
Erster Bür­ger­mei­ster

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