Fach­ar­bei­ter­man­gel? Ein äthio­pi­scher Flücht­ling macht sei­ne Gesel­len­prü­fung in Herogenaurach

Von Wolf­gang Seitz, Flücht­lings­be­treu­ung Herzogenaurach

Es ist eine nicht all­täg­li­che Geschich­te: Temam Osman Tefo, geb. 3.7.1997 in Asassa (Äthio­pi­en), gehört der Eth­nie der Oro­mo an, ist Mus­lim, hat drei Schwe­stern und drei Brü­der. Er besucht in Asassa von 2004 – 20012 die Ele­men­tar­schu­le, von 2012 – 2015 die High School. 2015 eska­liert der Ter­ror des äthio­pi­schen Tigray-Regimes gegen die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit der Oro­mo, Amha­ren und Soma­li, vie­le Äthio­pi­er flie­hen aus ihrer Hei­mat. In Asassa wer­den Ämter und das Rat­haus in Brand gesetzt, in der High School Schü­ler ermor­det. Temam ver­steckt sich bei Ver­wand­ten, wird ver­haf­tet und im Gefäng­nis schwer miss­han­delt. Es gelingt ihm zu flie­hen, er ver­lässt Äthio­pi­en im Früh­jahr 2016 und gelangt über den Sudan nach Liby­en, im Juni mit einem Boot nach Ita­li­en, von dort am 9.7.2016 nach Deutsch­land. Er wird dem Land­kreis Erlan­gen-Höch­stadt und der Stadt Her­zo­gen­au­rach zuge­wie­sen und hier zusam­men mit acht wei­te­ren äthio­pi­schen Flücht­lin­gen in zwei Räu­men einer Sam­mel­un­ter­kunft untergebracht.

Temam stellt einen Asyl­an­trag, der wegen sei­ner Erst­re­gi­strie­rung in Ita­li­en als unzu­läs­sig abge­lehnt wird. Als „Dub­lin-Fall“ fürch­tet er, nach Ita­li­en abge­scho­ben zu wer­den und dort ohne Ver­sor­gung auf der Stra­ße zu lan­den. Pfar­rer Hel­mut Het­zel und die Katho­li­sche Pfar­rei St.Magdalena gewäh­ren ihm Kirchenasyl.

Ab Sep­tem­ber 2016 besucht Temam die Berufs­in­te­gra­ti­ons­klas­sen des Staat­li­chen Beruf­li­chen Schul­zen­trums Her­zo­gen­au­rach und schließt sie im Juli 2019 mit beacht­li­chen Ergeb­nis­sen ab. Er lei­stet ein halb­jäh­ri­ges schu­li­sches Prak­ti­kum bei Metall­bau­mei­ster Wal­ter Dre­bin­ger in Her­zo­gen­au­rach ab, der in sei­ner Beur­tei­lung schreibt: Auf Grund sei­ner sehr guten Lei­stun­gen bie­ten wir Herrn Tefo ab sofort eine Aus­bil­dungs­stel­le zum Metall­bau­er Fach­rich­tung Kon­struk­ti­ons­tech­nik an….. Da wir für die­ses Jahr wie­der kei­nen Aus­zu­bil­den­den auf dem regu­lä­ren Arbeits­markt fin­den konn­ten, wür­de die Mög­lich­keit, Herrn Osman Tefo als Aus­zu­bil­den­den ein­zu­stel­len, auch unse­rem klei­nen Hand­werks­be­trieb sehr weiterhelfen.

Am 15.08.2017 fin­det in Zirn­dorf die Anhö­rung durch das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge statt. Mit Schrei­ben vom 7.09. wird sein Asyl­an­trag abge­lehnt. Sei­nen per­sön­li­chen Erleb­nis­sen fehl­ten Kon­kret­heit, Anschau­lich­keit und Detail­reich­tum, er habe den Haft­be­fehl, Unter­la­gen zum Gefäng­nis­auf­ent­halt und zum Kran­ken­haus nicht vor­le­gen kön­nen. Er hat sein Hei­mat­land somit unver­folgt ver­las­sen. Ich lese Temam die Ein­zel­hei­ten des Beschei­des nicht vor, weil ich mich schäme.

Temam legt über sei­nen Anwalt Kla­ge beim Ver­wal­tungs­ge­richt Ans­bach ein, über die – nach Coro­na-beding­ter Unter­bre­chung – erst im Juni 2023 ent­schie­den wird.

Da eine Arbeits- und Aus­bil­dungs­er­laub­nis durch das Land­rats­amt – trotz Ermes­sens­spiel­raum – nicht in Aus­sicht steht, bewirbt sich Temam als Lager­ar­bei­ter bei einem Sport­ar­ti­kel­her­stel­ler. Zugleich bewirbt er sich, weil eine schu­li­sche Aus­bil­dung gestat­tet wer­den kann, um eine Auf­nah­me in die Berufs­fach­schu­le für Fer­ti­gungs­tech­nik BFS in Nürn­berg, nimmt an einer Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung und an Bera­tungs­ge­sprä­chen teil, unter­zieht sich einer Auf­nah­me­prü­fung, lei­der ohne Erfolg. Nach einem Bera­tungs­ge­spräch mel­det er sich in Höch­stadt an der Staat­li­chen Berufs­fach­schu­le für Sozi­al­pfle­ge für das Schul­jahr 2019/20 an.

Das baye­ri­schen Innen­mi­ni­ste­ri­ums erlässt 2019 neue Bestim­mun­gen zur Beschäf­ti­gung und Berufs­aus­bil­dung von Asyl­be­wer­bern. Unter Bezug­nah­me dar­auf bean­tragt Temam beim Aus­län­der­amt des Land­rats­am­tes am 1.09.2019 eine Aus­bil­dungs­er­laub­nis und fügt dem Antrag die erfor­der­li­chen umfang­rei­chen Nach­wei­se sei­ner Bemü­hun­gen um Iden­ti­täts­klä­rung, sei­ner Inte­gra­ti­ons­lei­stun­gen, sei­nes bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments und ein kon­kre­tes Aus­bil­dungs­an­ge­bot von Metall­bau­mei­ster Wal­ter Dre­bin­ger bei. Mit Schrei­ben vom 29.11.2019 gestat­tet das Aus­län­der­amt eine ein­jäh­ri­ge vor­be­rei­ten­de „Ein­stiegs­qua­li­fi­zie­rung“ bis zum 31.07.2020.

Im Mai 2020 bean­tragt Temam die Erlaub­nis für eine regu­lä­re Aus­bil­dung und legt einen Aus­bil­dungs­ver­trag von Herrn Wal­ter Dre­bin­ger zum Metall­bau­er in der Fach­rich­tung Kon­struk­ti­ons­tech­nik vor. Die Aus­bil­dung beginnt am 1. Sep­tem­ber 2020 und dau­ert 3 ½ Jah­re bis zum Febru­ar 2024. In die­ser Zeit besucht Temam die Mar­tin-Segitz-Schu­le (Berufs­schu­le III) in Fürth, Berufs­feld Metallbauer.

Am 15.6.2023 lehnt das Ver­wal­tungs­ge­richt Ans­bach sei­ne Kla­ge gegen die Ableh­nung des Asyl­an­tra­ges ab und über­nimmt dabei die Argu­men­ta­ti­on des BaMF. Damit erlischt sei­ne Auf­ent­halts- und Aus­bil­dungs­er­laub­nis. Er stellt am 1.08.2023 einen Antrag auf Aus­bil­dungs­dul­dung. Die Zen­tra­le Aus­län­der­be­hör­de Mit­tel­fran­ken for­dert ihn zu einem Aus­rei­se­ge­spräch in Zirn­dorf auf: Soll­ten Sie die­ser Auf­for­de­rung nicht Fol­ge lei­sten, stellt dies einen Anhalts­punkt für Flucht­ge­fahr dar, was die Anord­nung einer Abschie­be­haft rechtfertigt.

Temam Osman Tefo mit seinem Gesellenstück in der Werkstatt von Metallbau Drebinger.

Temam Osman Tefo mit sei­nem Gesel­len­stück in der Werk­statt von Metall­bau Drebinger.

In einem aus­ge­spro­chen freund­li­chen und kon­struk­ti­ven Gespräch in Zirn­dorf wird dem Antrag auf Aus­bil­dungs­dul­dung ent­spro­chen und zugleich die Emp­feh­lung gege­ben, umge­hend einen Antrag zur „Chan­cen-Auf­ent­halts­er­laub­nis“ mit Aus­sicht auf ein dau­er­haf­tes Blei­be­recht zu stellen.

Zur Vor­be­rei­tung auf die Zwi­schen- und Gesel­len­prü­fung erhält Temam wöchent­lich in kirch­li­chen Räu­men Unter­stüt­zung durch Herrn Hamid Edris­si, einen im Iran gebo­re­nen Dipl​.Ing. im Ruhe­stand. Er besteht die Zwi­schen­prü­fung und im Janu­ar 2024 die Gesel­len­prü­fung, im prak­ti­schen Teil ist er Beste der gesam­ten Schu­le. Beson­de­re Beach­tung fin­det dabei sein Gesel­len­stück, ein nach einem eige­nen Ent­wurf kunst­voll gefer­tig­tes Gartentürchen.

Am Erfolg von Temam Osman Tefo sind vie­le betei­ligt. Sein Dank gilt den über­aus enga­gier­ten Lehr­kräf­ten der Berufs­schu­len in Her­zo­gen­au­rach und Fürth, vor allem Frau Julia von Keitz, der Flücht­lings­be­treu­ung Her­zo­gen­au­rach, Herrn Hamid Edris­si für sei­ne fach­li­chen und didak­ti­schen Fähig­kei­ten, sei­nen uner­schüt­ter­li­chen Opti­mis­mus und sei­ne Moti­va­ti­ons­kün­ste, Herrn Wal­ter Dre­bin­ger für die täg­li­che gedul­di­ge Wei­ter­ga­be der viel­fäl­ti­gen beruf­li­chen Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten, sei­ne nie nach­las­sen­de Unter­stüt­zung in allen Belan­gen. Temam hat mit sei­nem Arbeits­kol­le­gen Domi­nik Gans­mann auch einen Freund gefun­den, der ihm immer mit Rat und Tat zur Sei­te stand und ihn bei den Prü­fun­gen mit unter­stützt hat.

Am beein­druckend­sten ist für mich Temam Osman Tefo selbst, sei­ne Aus­dau­er, sein Fleiß und sei­ne Gewis­sen­haf­tig­keit, sei­ne Team­fä­hig­keit, die Freu­de an sei­nem Beruf, sein Talent und nicht zuletzt sein Cha­rak­ter. Er hat es geschafft, trotz aller poli­ti­schen und behörd­li­chen Wid­rig­kei­ten und Restrik­tio­nen. Man­che sei­ner Lands­leu­te, die nach Deutsch­land flo­hen, arbei­ten heu­te als Fach­kräf­te in ande­ren Ländern.

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