Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­lern stel­len super­har­te mul­ti­funk­tio­nel­le Koh­len­stoff­nitri­de her

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Kon­kur­renz für Diamanten

In einer bahn­bre­chen­den For­schungs­ar­beit haben Wis­sen­schaft­ler lang gesuch­te Koh­len­stoff-Stick­stoff-Ver­bin­dun­gen syn­the­ti­siert und das Poten­zi­al von Koh­len­stoff­nitri­den als neue Klas­se von super­har­ten mul­ti­funk­tio­nel­len Mate­ria­li­en erschlos­sen, die es mit Dia­mant auf­neh­men könn­ten. Die Arbeit wur­de nun in der Zeit­schrift Advan­ced Mate­ri­als veröffentlicht. 

Kon­se­quen­zen die­ser Erkenntnisse: 

Die­ser Durch­bruch ver­spricht eine Fül­le von tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­ten in ver­schie­de­nen Berei­chen, von der Mate­ri­al­wis­sen­schaft über die Elek­tro­nik bis hin zur Optik und dar­über hin­aus. Die poten­zi­el­len Anwen­dun­gen die­ser ultra­kom­pri­mier­ba­ren Koh­len­stoff­nitri­de sind enorm, da sie trans­pa­ren­te Breit­band-Halb­lei­ter sind und star­ke lumi­nes­zie­ren­de, pie­zo­elek­tri­sche und nicht­li­nea­re opti­sche Eigen­schaf­ten besit­zen. Die­se wer­den vor allem in der Energie‑, Umwelt‑, Luft- und Raum­fahrt­tech­no­lo­gie und ande­ren Bran­chen gebraucht. Damit sind die­se neu­en Koh­len­stoff­nitri­de die ulti­ma­ti­ven tech­ni­schen Mate­ria­li­en, die mit Dia­man­ten kon­kur­rie­ren können.

Seit 1989, als in der Zeit­schrift Sci­ence eine Koh­len­stoff-Stick­stoff-Ver­bin­dung C₃N₄ mit außer­ge­wöhn­li­chen mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten ange­kün­digt wor­den war, die mög­li­cher­wei­se die Här­te von Dia­mant über­tref­fen, arbei­ten Forscher*innen welt­weit an die­sem The­ma. Der Durch­bruch wur­de jetzt von einem inter­na­tio­na­len Team von Hochdruckwissenschaftler*innen der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und Uni­ver­si­tät Edin­burgh erzielt.

Sie setz­ten ver­schie­de­ne Koh­len­stoff-Stick­stoff-Vor­stu­fen unglaub­lich hohen Drücken zwi­schen 70 und 135 Giga­pas­cal (GPa) aus, wobei 100 GPa dem 1.000.000-fachen des Atmo­sphä­ren­drucks ent­spre­chen, und erhitz­ten sie in Dia­mant­stem­pel­zel­len auf über 2000 Kel­vin. Anschlie­ßend wur­den die Pro­ben mit­tels Ein­kri­stall-Rönt­gen­beu­gung an drei Teil­chen­be­schleu­ni­gern cha­rak­te­ri­siert: der Euro­pean Syn­chro­tron Rese­arch Faci­li­ty (ESRF, Frank­reich), dem Deut­schen Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY, Deutsch­land) und der Advan­ced Pho­ton Source (APS, Ver­ei­nig­te Staa­ten). Die Ergeb­nis­se zeig­ten vier Koh­len­stoff­nitri­de mit den Zusam­men­set­zun­gen CN, CN₂ und C₃N₄ und unter­schied­lich kom­ple­xen Struk­tu­ren. Die Kri­stall­struk­tu­ren der C₃N₄ Allo­tro­pe (Abbil­dung 1) bestehen aus einem Gerüst aus ecken­tei­len­den CN₄-Tetra­edern, was ein Schlüs­sel zu ihren über­le­ge­nen mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten – Ultrain­kom­pres­si­bi­li­tät (Inkom­pres­si­bi­li­tät herrscht, wenn das Volu­men eines Kör­pers trotz Drucks fast kon­stant ange­nom­men wer­den kann) und Super­här­te – ist, die in die­ser Arbeit expe­ri­men­tell nach­ge­wie­sen wur­den. Die Tat­sa­che, dass die Hoch­druck-C₃N₄-Koh­len­stoff­nitri­de Abdrücke auf einer Dia­man­tober­flä­che hin­ter­las­sen (Abbil­dung 2), ist ein Beweis für ihre Här­te, die mit der von Dia­mant selbst ver­gleich­bar ist.

„Es wird erwar­tet, dass die in die­ser Arbeit syn­the­ti­sier­ten Koh­len­stoff­nitri­de neben ihren mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten meh­re­re außer­ge­wöhn­li­che Funk­tio­na­li­tä­ten auf­wei­sen und das Poten­zi­al haben, tech­ni­sche Mate­ria­li­en der glei­chen Kate­go­rie wie Dia­mant zu sein. Aber im Gegen­satz zu Dia­mant kön­nen sie leicht mit etwas ange­rei­chert wer­den, was bei ‚Dia­man­t­elek­tro­nik‘ immer ein Pro­blem ist“, sagt Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia vom Labor für Kri­stal­lo­gra­phie an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, eine Haupt­au­to­rin der For­schungs­ar­beit. Die theo­re­ti­schen Unter­su­chun­gen der phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten wur­den von Wissenschaftler*innen der Uni­ver­si­tät Lin­kö­ping (Schwe­den) durch­ge­führt. Sie haben gezeigt, dass die­se stark kova­lent gebun­de­nen Mate­ria­li­en nicht nur ultrain­kom­pres­si­bel und super­hart sind, son­dern auch eine hohe Ener­gie­dich­te und pie­zo­elek­tri­sche Eigen­schaf­ten besit­zen, zusätz­lich zu expe­ri­men­tell in Bay­reuth fest­ge­stell­ten pho­to­lu­mi­nes­zen­ten und nicht­li­nea­ren opti­schen Eigenschaften .

Bemer­kens­wert ist auch, dass alle vier Hoch­druck-Koh­len­stoff­nitri­de bis auf Umge­bungs­druck und ‑tem­pe­ra­tur zurück­ge­won­nen wer­den kön­nen. „Die Rück­ge­win­nung kom­ple­xer Mate­ria­li­en, die ober­halb von 100 GPa syn­the­ti­siert wur­den, ist ein bis­her ein­ma­li­ger Fall und eröff­net damit neue Per­spek­ti­ven für die Hoch­druck-Mate­ri­al­wis­sen­schaft im All­ge­mei­nen“, sagt Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky vom Baye­ri­schen Insti­tut für Expe­ri­men­tel­le Geo­che­mie und Geo­phy­sik an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, ein Haupt­au­tor der Forschungsarbeit.

Publi­ka­ti­on:

Syn­the­sis of Ultra-Incom­pres­si­ble and Reco­vera­ble Car­bon Nitri­des Fea­turing CN₄ Tetrahedra,

Domi­ni­que Lani­el, Flo­ri­an Try­bel, Andrey Aslandu­kov, Sai­a­na Khand­ark­hae­va, Timo­fey Fedo­ten­ko, Yuqing Yin, Nobuy­o­shi Miya­ji­ma, Ferenc Tas­ná­di, Ale­na V. Pono­mar­e­va, Nity­a­sa­gar Jena, Fari­ia Ias­min Akbar, Bjoern Wink­ler, Adri­en Néri, Stel­la Cha­ri­ton, Vita­li Pra­ka­pen­ka, Vic­tor Mil­man, Wolf­gang Schnick, Alex­an­der N. Ruden­ko, Advan­ced Mate­ri­als, 2023

DOI : https://​online​li​bra​ry​.wiley​.com/​d​o​i​/​1​0​.​1​0​0​2​/​a​d​m​a​.​2​0​2​3​0​8​030