Tin­ten­fisch im Forch­hei­mer Kellerwald?

Was haben die Don Bos­co – Kin­der denn da neu­lich auf ihrer Herbst­wan­de­rung aus dem Unter­holz des Kel­ler­wal­des Forch­heim gefischt? Signal­rot, meh­re­re ten­ta­kel­för­mi­ge Arme, glänzend–schleimige Ober­flä­che. Ein Tin­ten­fisch im Kellerwald?

Tintenfischpilz im Forchheimer Kellerwald. Foto: Carsten Schlegel

Tin­ten­fisch­pilz im Forch­hei­mer Kel­ler­wald. Foto: Car­sten Schlegel

Was wie eine Zei­tungs­en­te oder ein ver­irr­ter April­scherz anmu­tet, war natür­lich nicht ein intel­li­gen­tes Weich­tier aus der See, aber auch nicht min­der exo­tisch: ein unge­wöhn­li­cher Boden­be­woh­ner aus dem Reich der Pil­ze wur­de hier ent­deckt: Chlath­rus arche­ri, zu deutsch Tin­ten­fisch- oder Krakenarmpilz.

Wenn man von die­sem Wald­be­woh­ner noch nichts gehört hat, zeugt das nicht von feh­len­dem Wis­sen um die hei­mi­sche Lebens­welt. Viel­mehr ist der unge­wöhn­li­che Pilz ein Neo­bi­ont und nicht bei uns hei­misch. Er stammt ursprüng­lich aus dem fer­nen Austra­li­en oder Neu­see­land und wur­de um die vor­letz­te Jahr­hun­dert­wen­de nach Euro­pa ein­ge­schleppt. Seit­dem brei­tet er sich hier wei­ter aus und kommt mitt­ler­wei­le weit­räu­mig, aber nur stel­len­wei­se vor.

Neben der exo­ti­schen Far­be und Her­kunft kann der Tin­ten­fisch­pilz mit wei­te­ren „über­zeu­gen­den“ Eigen­schaf­ten auf­war­ten. Der zur Ver­wandt­schaft der Stink­mor­cheln zäh­len­de Pilz setzt wie sein ein­hei­mi­scher Vet­ter auf Ver­brei­ter zwei­fel­haf­ten Rufes: er lässt sei­ne Spo­ren von Flie­gen und Käfern trans­por­tie­ren, die sonst von Aas oder Kot ange­lockt wer­den. Hier­zu hüllt sich der Frucht­kör­per in ein süß­lich- wider­li­ches Bou­quet, wel­ches bei­de Gerü­che ver­eint. Manch Biologe*in äußert gar die Hypo­the­se, dass mit der röt­li­chen Far­be auch das Aus­se­hen ver­en­de­ter Tie­re imi­tiert wer­den soll. Ob dies zutrifft, sei dahin­ge­stellt. Das Gesamt­pa­ket scheint jeden­falls zu über­zeu­gen, denn auf den Frucht­kör­pern kann man diver­se Flie­gen und bestimm­te Käfer beob­ach­ten, an deren Kör­pern die dunk­le Spo­ren­mas­se kle­ben bleibt und so im Wald ver­brei­tet wird.

Angst vor einem ein­hei­mi­schen Wald der Zukunft, der über­sät mit den auf­fäl­li­gen Frucht­kör­pern ist, braucht man den­noch nicht zu haben: die Art gehört nicht zu den inva­si­ven Neo­bio­ta, die sich in ihrem neu­en Lebens­raum stark aus­brei­ten und ein­hei­mi­sche Arten ver­drän­gen. Wer also ger­ne Hexen­ei­er (die sehr jun­gen, eiför­mi­gen Frucht­kör­per) der ein­hei­mi­schen Stink­mor­cheln isst, muss kei­ne Angst haben, dass die­se sel­te­ner wer­den könn­ten. Die Hexen­ei­er des Tin­ten­fisch­pil­zes gel­ten im übri­gen als unge­nieß­bar, da ihnen schon ein Teil des spä­ter typi­schen Geruchs anhaf­tet. Es bleibt also, mit offe­nen Augen durch den Herbst­wald zu wan­deln und, viel­leicht mit zuge­knif­fe­ner Nase, sich an den exo­tisch anmu­ten­den Frucht­kör­pern zu erfreuen.

Car­sten Schlegel