Pre­digt von Regio­nal­bi­schö­fin Dr. Grei­ner zur Ver­ab­schie­dung vom Geschäfts­füh­rer des Bay­ri­schen Bünd­nis­ses für Tole­ranz, Demo­kra­tie und Men­schen­wür­de schützen

Pre­digt zur Ver­ab­schie­dung von Mar­tin Becher am 27. Sep­tem­ber 2023 in Bad Alexandersbad

Lie­be anwe­sen­de Gemein­de, vor allem, lie­ber Mar­tin Becher,

in die­sem Got­tes­dienst ver­ab­schie­den wir Dich aus Dei­nem Dienst als Geschäfts­füh­rer des Bay­ri­schen Bünd­nis­ses für Tole­ranz, Demo­kra­tie und Men­schen­wür­de schüt­zen und damit auch als Lei­ter der Pro­jekt­stel­le gegen Rechts­extre­mis­mus am EBZ Bad Alex­an­ders­bad. Du gehst noch­mals eine neue Auf­ga­be an: Die Stär­kung des kirch­li­chen Netz­werks rund um die Demokratiearbeit.

Dei­nen Dienst im Bünd­nis und unser Leben möch­te ich im Licht des Wochen­spruchs aus dem zwei­ten Timo­theus­brief (1,10b) betrach­ten, der für die­se Woche ohne­hin das lei­ten­de Bibel­wort ist:
„Jesus hat dem Tod die Macht genom­men und das Leben und ein unver­gäng­li­ches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“.
Was bedeu­tet das: Jesus hat dem Tod die Macht genom­men? Jesus nimmt uns ja nicht unse­re End­lich­keit. Dein Ein­satz auf der Pro­jekt­stel­le endet. Unser aller Leben wird enden. Natür­lich hat der Tod Macht – aber, und das ist die Bot­schaft unse­res Bibel­wor­tes – eine durch Jesus begrenzte.
„Das Wun­der der Auf­er­ste­hung Chri­sti hebt die Ver­göt­zung des Todes, wie sie unter uns herrscht, aus den Angeln.“ Die­ser Satz Bon­hoef­fers ist fas­zi­nie­rend, weil sei­ne Begleit­bot­schaft ist: Wir geben dem Tod viel zu viel Macht. Aber die soll er nicht haben – und: durch die Auf­er­ste­hung ist sei­ne Macht gebrochen.
Du, lie­ber Mar­tin, hast Dir das Lied von Diet­rich Bon­hoef­fer gewünscht „Von guten Mäch­ten wun­der­bar gebor­gen, erwar­ten wir getrost, was kom­men mag“. Wenn wir Angst haben vor dem Tod, nimmt er uns doch jetzt schon das Leben. Die Gebor­gen­heit des Glau­bens, nimmt uns nicht jede Angst, aber nimmt der Angst ihre bestim­men­de Macht. Bei­spiel­haft für uns Chri­sten ver­trau­te Bon­hoef­fer, dass so wie Jesus auf­er­stand, auch er auf­er­ste­hen wird und nach sei­nem Tod bei Chri­stus sein wird.
Die Ent­mach­tung des Todes durch Jesus Chri­stus hat­te zum einen für ihn selbst trö­sten­de, stär­ken­de, Wir­kung. An Geor­ge Bell schrieb er kurz vor sei­ner Ermor­dung: „Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens.“

Zum ande­ren aber war sein Glau­be auch sei­ne inner­ste Kraft zum Wider­stand gegen die tod­brin­gen­den und angst­ver­strö­men­den Mäch­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Es mach­te ihn resi­li­ent gegen Bedro­hung von außen.

Es ist ja nicht so, dass unse­re Zeit heu­te frei wäre von natio­nal­so­zia­li­sti­schem Gedankengut.
Wider­stands­fä­hig­keit gegen Rechts­extre­mis­mus und Rechts­po­pu­lis­mus braucht es drin­gend in der Gegenwart.
Bon­hoef­fer hat bis heu­te gro­ße Prä­ge­kraft, weil er gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus kämpf­te und weil er ein kla­res posi­ti­ves Bild hat­te, von dem, wie Leben sein kann und soll. Für ihn und uns Chri­sten ist es das Leben, wie Jesus es ans Licht gebracht hat.
Das Leben, das Jesus leb­te, war voll Zuwen­dung gera­de zu denen, die schon längst aus der Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen waren. Die Lepra­kran­ken berühr­te und heil­te er, sodass sie wie­der inmit­ten des Dor­fes leben konnten.
Einem Blin­den, stell­te er die Fra­ge: Was willst Du, dass ich Dir tun soll. Jesus ließ die­sen Men­schen bestim­men, wie sei­ne Hil­fe aus­schau­en soll­te. Die­ser Mensch hat­te für Jesus nicht erst nach der Hei­lung Wür­de, son­dern so wie er war.
Jesus hat mit sei­nem Leben ein Leben ans Licht gebracht, das die­sen Namen auch verdient.

Ich habe bis­her die Wor­te Tole­ranz, Demo­kra­tie und Men­schen­wür­de nicht ver­wen­det, aber wir sind doch längst in die­sem The­men­feld. Lie­be ist noch viel mehr als Tole­ranz – aber es gibt kei­ne christ­li­che Lie­be ohne Tole­ranz. Jesus war kein Staats­mann, sag­te sogar: „Mein Reich ist nicht von die­ser Welt“ aber er ver­ström­te die Hal­tun­gen, die den Kern der Demo­kra­tie aus­ma­chen. Er schenk­te und schenkt gro­ße Frei­heit im Den­ken und Han­deln und ein­fa­chen Men­schen Mün­dig­keit und Gestal­tungs­kraft. Men­schen­wür­de war und ist in sei­ner Nähe erfahrbar.

Die­sem Leben, das Jesus ans Licht gebracht hat, trau­en wir; ihm wol­len wir Raum ver­schaf­fen. Ich bin der festen Über­zeu­gung, dass die Grün­dung des Bünd­nis­ses für Tole­ranz, Demo­kra­tie und Men­schen­wür­de schüt­zen im Jahr 2005 dazu bei­trug, die­sem Leben, wie Jesus es ans Licht gebracht hat, Raum zu verschaffen.
Du, lie­ber Mar­tin, wur­dest im Jahr 2010 Geschäfts­füh­rer des Bünd­nis­ses. Zuvor warst Du gut acht Jah­re afa-Geschäfts­füh­rer bei unse­rem kirch­li­chen Dienst in der Arbeits­welt, davor drei Jah­re päd­ago­gi­scher Lei­ter der Fran­ken­aka­de­mie in Schney. Die hat­te Dich – als gebür­ti­gen Münch­ber­ger – zurück nach Ober­fran­ken aus Dei­nem 16 Jah­re wäh­ren­den Auf­ent­halt in Ber­lin gelockt.
Dort in Ber­lin hat­test Du Dein in Bam­berg begon­ne­nes Päd­ago­gik- und Poli­tik­stu­di­um abge­schlos­sen und Dei­ne ersten beruf­li­chen Erfah­run­gen gesam­melt in Gedenk­stät­ten­ar­beit, poli­ti­scher Jugend­bil­dung – und teils auf uni­ver­si­tä­ren Stellen.

Die Geschäfts­stel­le des Bünd­nis­ses brauch­te 2010 einen Neu­start. Welch hohen Stel­len­wert sowohl Bünd­nis wie Neu­start für uns als Lan­des­kir­che hat­te, zeigt sich dar­an, dass Lan­des­bi­schof Fried­rich selbst die Aus­wahl­ge­sprä­che lei­te­te. Dass Du, lie­ber Mar­tin, der neue Geschäfts­füh­rer wur­dest, war ein Segen.

Die Pro­jekt­stel­le ist kei­ne Stel­le unse­rer Lan­des­kir­che, auch wenn sie der größ­te Geld­ge­ber ist, son­dern eben des Bünd­nis­ses, das mit sei­nen 90 Mit­glie­dern die Stel­le finan­ziert. Sie ist am Evan­ge­li­schen Bil­dungs­zen­trum Alex­an­ders­bad ange­sie­delt, das treu­hän­de­risch die Auf­ga­ben der Finanz- und Per­so­nal­wirt­schaft wahrnimmt.

Eigent­lich hat die­se Stel­le in den fast genau 13 Jah­ren, in denen Du sie aus­füll­tes, unge­fähr alle vier Jah­re einen neu­en Schwer­punkt erhal­ten. Bis 2014 galt es, die Stel­le hier in der Regi­on zu ver­an­kern. Wenn Mini­ste­ri­en Mit­glie­der sind, so muss­te Ver­trau­en wach­sen, dass die Geschäfts­stel­le par­tei­über­grei­fend arbei­tet und den Men­schen, die sich gegen den Rechts­extre­mis­mus enga­gie­ren, den Rücken stärkt.
Im Jahr 2014 gelang es, den all­jähr­li­chen Auf­marsch der Nazis in Wun­sie­del zum Spen­den­lauf umzu­funk­tio­nie­ren. Das war der Durch­bruch an Ver­trau­ens­ge­winn, Wirk­sam­keit und Bekannt­heits-grad. Die Mar­schie­ren­den wur­den mit mein Mampf – Bana­nen – beschenkt. Die­ser Spen­den­lauf zeig­te, dass wir ohne Ver­bis­sen­heit, aber mit Humor und Krea­ti­vi­tät stark sind. Die Macht der Angst, die mar­schie­ren­de Nazis mit ihrem Geba­ren ver­brei­ten, wur­de gebrochen!

In der zwei­ten Pha­se ab 2015 gewann die Idee Gestalt, Stel­len für Demo­kra­tie leben am EBZ ein­zu­rich­ten. Das gelang! Mitt­ler­wei­le sind dafür 12 Per­so­nen angestellt.
Wir haben das Ver­trau­en von Land­krei­sen und kreis­frei­en Städ­ten für die Demo­kra­tie­ar­beit gewon­nen und sind selbst dank­bar am EBZ ihre Part­ner zu sein.
Durch die­se Ver­an­ke­rung der Demo­kra­tie­ar­beit in der Regi­on und am EBZ wur­de es Dir mög­lich, Dich selbst auf EKD- und Bun­des­ebe­ne zu enga­gie­ren, so etwa im Vor­stand der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Kir­che und Rechtsextremismus.

Die drit­te Pha­se begann als im Okto­ber 2018 die AFD in den Land­tag ein­zog. Die­ser Schock öff­ne­te uns die Augen und auch die Augen der Ver­ant­wort­li­chen in demo­kra­ti­schen Par­tei­en und der Staats­re­gie­rung, dass Demo­kra­tie von innen zer­stört wer­den kann durch eine Par­tei, die das demo­kra­ti­sche System nutzt um es von innen aus­zu­höh­len. Der Staat spür­te: er braucht star­ke Part­ner für Demo­kra­tie, braucht das Bünd­nis. Nie habe ich Par­tei­po­li­tik auf die Kan­zel getra­gen bis die AfD gewählt wur­de. Denn da waren mit die­ser Par­tei Hal­tun­gen und Grund­wer­te des Lebens – wie Jesus es will – in Fra­ge gestellt.

Du, lie­ber Mar­tin, hat­test inzwi­schen das Ver­trau­en aller demo­kra­ti­schen Par­tei­en, ja sogar der Poli­zei, dass Du zu einer – in Frie­den wehr­haf­ten – Demo­kra­tie unver­zicht­ba­re Bei­trä­ge lei­stest. Unse­re Regie­rung spür­te Dei­ne Grund­über­zeu­gung, die besagt:
Ange­sichts des furcht­erre­gen­den Macht­zu­wach­ses des Rechts­po­pu­lis­mus brau­chen wir einen guten inhalt­li­chen Kon­ser­va­ti­vis­mus, der für Wer­te steht und inte­gra­ti­ve Posi­ti­on bezieht.

Mein Ver­trau­en hat­test Du schon lan­ge. Als die Flücht­lings­wel­le 2015 kam, brauch­te ich – um Geflüch­te­ten hel­fen zu kön­nen – Exper­ten, um zum einen die Struk­tur und Logik der Asyl­ver­fah­ren und zum ande­ren die Wege popu­li­sti­schen Miss­brauch zu durch­schau­en. Von da an gehör­test Du zu den Men­schen, die ich um Rat frag­te, weil ich schätz­te, wie dif­fe­ren­ziert, nüch­tern und klar for­mu­lie­rend Du ana­ly­sie­ren und beur­tei­len konntest.
Wenn Du wie­der­um mich frag­test mit­zu­ma­chen, sag­te ich, ohne viel nach­zu­den­ken ja: So im ober­frän­ki­schen Pro­jekt gegen Anti­zi­ga­nis­mus oder auch bei der Begeg­nung in der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de in Hof zum Jah­res­schwer­punkt des Bünd­nis­ses „Jüdi­sches Leben in Bay­ern – Demo­kra­tie und Men­schen­wür­de schützen“.

Nur auf den Rechts­po­pu­lis­mus zu schimp­fen reicht nicht. Unse­re Demo­kra­tie braucht eine För­de­rung ihrer Resi­li­enz, ihrer Wider­stands­kraft von innen her­aus. Ich ken­ne kei­ne bes­se­re Resi­li­enz­för­de­rung für die see­li­sche Gesund­heit von Men­schen und von demo­kra­ti­schen Syste­men als auf den zu schau­en und von dem zu ler­nen, der dem Tod – und der Angst vor ihm – die Macht genom­men hat und ein unver­gäng­li­ches Leben ans Licht gebracht hat – ein Leben, das die­sen Namen auch verdient.

Das Bünd­nis ist eine Schnitt­stel­len­or­ga­ni­sa­ti­on, in der Staat, Zivil­ge­sell­schaft und Reli­gi­ons­ge­mein­schaft zusam­men­wir­ken. Als Chri­sten brin­gen wir ein, wor­aus wir unse­re Kraft und Ori­en­tie­rung gewinnen.
Weil Jesus sich doch sein Volk aus allen Völ­ker immer schon gesam­melt hat, bricht das die Macht jeden natio­na­li­sti­schen Denkens.
Weil Jesus durch Hei­lung Men­schen, die aus­ge­sto­ßen waren, in die mensch­li­che Gemein­schaft zurück­hol­te, kann christ­li­che Gemein­schaft kei­ne Aus­gren­zung leben.
Weil Jesus doch gera­de den Ver­ach­te­ten mit beson­de­rer respekt­vol­ler Zuwen­dung begeg­net, hat Men­schen­ver­ach­tung kei­ne Chance.
Jesus hat dem viel­ge­stal­ti­gen Tod die Macht genom­men. Das Leben, das er ans Licht gebracht hat, ist in gewis­ser Wei­se der Him­mel; aber es beginnt nicht erst im Him­mel, son­dern mit ihm und durch ihn immer hier und jetzt.

Amen.