Neu­jahrs­emp­fang des Erz­bis­tums Bam­berg in Hof

Symbolbild Religion

„Ein ‚Wei­ter so‘ ist kei­ne Opti­on“ – Theo­lo­gin Not­hel­le-Wild­feu­er ruft Kir­che zu Refor­men auf allen Ebe­nen auf – Weih­bi­schof Gös­sl: „Wir kön­nen nur gemein­sam in die Zukunft gehen“

Hof. Die Frei­bur­ger Theo­lo­gie­pro­fes­so­rin Ursu­la Not­hel­le-Wild­feu­er ruft die katho­li­sche Kir­che auf, sich in ihrer der­zei­ti­gen Ver­trau­ens­kri­se nicht mit klei­nen Refor­men zufrie­den­zu­ge­ben. Ein „Wei­ter so“ sei kei­ne Opti­on, sag­te sie am Sams­tag in ihrem Fest­vor­trag mit dem The­ma „Gemein­sam für die Zukunft. Geschwi­ster­li­che Kir­che – mis­sio­na­ri­sche Kir­che im 21. Jahr­hun­dert“ auf dem Neu­jahrs­emp­fang des Erz­bis­tums Bam­berg in der Frei­heits­hal­le in Hof.

Von not­wen­di­gen Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen blei­be kei­ne kirch­li­che Ebe­ne ver­schont, sag­te die Inha­be­rin des Lehr­stuhls für Christ­li­che Gesell­schafts­leh­re an der Uni­ver­si­tät Frei­burg. Um zukunfts­fä­hig zu sein, müs­se die Kir­che mis­sio­na­risch, authen­tisch und geschwi­ster­lich sein. „Mis­sio­na­risch-Kir­che-Sein“ gelin­ge nicht unter Aus­schal­tung der Fra­gen und Über­le­gun­gen der Men­schen von heu­te: „Fra­gen las­sen sich nicht ver­bie­ten oder unter­bin­den“, sag­te die Theo­lo­gin und ver­wies auf die Dis­kus­si­on über den Zugang von Frau­en zu Weiheämtern.

Die dra­ma­tisch sin­ken­den Zah­len der Mess­be­su­cher, Prie­ster, Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger sowie die zurück­ge­hen­de Nach­fra­ge nach kirch­li­chem Bei­stand an Lebens­wen­de­punk­ten zie­he einen mas­si­ven Umge­stal­tungs­druck nach sich. Tau­fen, kirch­li­che Trau­un­gen und Beer­di­gun­gen dien­ten oft allen­falls noch als kul­tu­rel­ler und brauch­tums­be­zo­ge­ner Rah­men für ent­spre­chen­de Feste.

Die­se mit­tel- und lang­fri­sti­ge Ent­wick­lung wer­de gegen­wär­tig noch ein­mal beschleu­nigt durch ein wach­sen­des prin­zi­pi­el­les Miss­trau­en Insti­tu­tio­nen gegen­über, wor­un­ter auch die Kir­che lei­de: „Kir­chen gene­rie­ren ihre gesell­schaft­li­che Akzep­tanz nicht mehr aus sich selbst her­aus.“ Hin­zu kom­me, dass durch die Miss­brauchs­skan­da­le „vie­le Men­schen, die sich bis­lang noch der Kir­che zuge­hö­rig gefühlt haben, sich im abso­lu­ten Unver­ständ­nis, in maß­lo­ser Ent­täu­schung, mehr noch, im Zorn von ihr abwen­den“. Der Ver­lust des Ver­trau­ens in die Insti­tu­ti­on Kir­che wer­de noch beför­dert durch einen Ver­lust des Ver­trau­ens in das Personal.

Vie­le Men­schen hät­ten das Gefühl, ihrer kirch­li­chen Hei­mat und Wur­zeln beraubt zu sein und dass sie mit der kirch­li­chen Glau­bens- und vor allem Moral­leh­re nicht mehr über­ein­stim­men kön­nen. „Sie erfah­ren die Kir­che auch nicht als eine Insti­tu­ti­on, die inter­es­siert wäre an ihrem Leben und All­tag, nicht als eine Insti­tu­ti­on, die wahr­haf­tig lern­be­reit wäre.“ Not­hel­le-Wild­feu­er stell­te fest: „Es bestä­tigt sich nun in dra­ma­ti­scher Wei­se, was sich schon lan­ge anbahn­te: Die Volks­kir­che ver­schwin­det.“ Ange­sichts dra­ma­ti­scher Schrump­fungs­pro­zes­se gel­te es daher, alles auf den Prüf­stand zu stellen.

Zum Pathos einer mis­sio­na­ri­schen und geschwi­ster­li­chen Kir­che gehör­ten das Aus­hal­ten von Viel­falt und Unein­deu­tig­keit sowie die Suche nach ver­ant­wor­te­ten Lösun­gen für die jewei­li­gen Men­schen. Fer­ner sei nötig der Mut, sol­che Schrit­te zu gehen und umzu­set­zen – „wie­der­um im Wis­sen um die Mög­lich­keit des Irr­we­ges und des Schei­terns, aber auch des Neu­an­fangs.“ Authen­ti­zi­tät füh­re nicht zu „Lei­stungs­druck für das Him­mel­reich, wohl aber zu immer wie­der neu­en krea­ti­ven Rea­li­sie­rungs- und damit Ver­kün­di­gungs­be­mü­hun­gen, getra­gen von der Hoff­nung, dass die­se Bot­schaft nicht Ver­trö­stung auf das Jen­seits bedeu­tet, son­dern Zuver­sicht auch für das Dies­seits“. Authen­ti­zi­tät füh­re die Men­schen nicht nur auf aus­ge­tre­te­ne und bereits fest­ge­leg­te Pfa­de, son­dern ermu­ti­ge zur Krea­ti­vi­tät und zu neu­en, unge­wohn­ten Wegen.

Ursu­la Not­hel­le-Wild­feu­er war von 2001 bis 2011 Bera­te­rin der Kom­mis­si­on für cari­ta­ti­ve Fra­gen sowie von 2011 bis 2021 Bera­te­rin der Kom­mis­si­on für gesell­schaft­li­che und sozia­le Fra­gen der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Seit 2003 ist sie Mit­glied in der Arbeits­grup­pe für sozi­al­po­li­ti­sche Fra­gen der Bischofs­kon­fe­renz Außer­dem ist sie stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des Auf­sichts­rats des Diö­ze­sanca­ri­tas­ver­ban­des Freiburg.

Weih­bi­schof und Diö­ze­san­ad­mi­ni­stra­tor Her­wig Gös­sl sag­te in sei­ner Begrü­ßung, bei aller Not­wen­dig­keit, Miss­stän­de zu kri­ti­sie­ren und künf­tig zu ver­hin­dern, sei Kir­che mehr als die Sum­me des mensch­li­chen Fehl­ver­hal­tens. „Kir­che baut Gemein­schaft auf, sie bringt Men­schen zusam­men und bringt sie in Berüh­rung mit Gott.“ Der mis­sio­na­ri­sche Auf­trag von Kir­che erge­be sich nicht aus der Not­wen­dig­keit des per­so­nel­len Selbst­er­halts, son­dern aus der Sen­dung, die von Gott aus­ge­he. Die­ser mis­sio­na­ri­sche Auf­trag gel­te unab­hän­gig von der Zahl der ver­blie­be­nen Chri­sten. Es kom­me nicht auf die mensch­li­che Kraft an, son­dern auf den Geist Got­tes, der hin­ter der Sen­dung stehe.

Leben in Gemein­schaft sei kein Spa­zier­gang, nicht in der Fami­lie, nicht in der Gesell­schaft, nicht im Staat und auch nicht in der Kir­che, so Gös­sl. „Wir erle­ben oft, wie viel Ener­gie nötig ist, um die tat­säch­lich vor­han­de­nen Unter­schie­de aus­zu­hal­ten, um trotz Ent­täu­schun­gen bei­ein­an­der zu blei­ben und es wie­der neu mit­ein­an­der zu versuchen.“

Kir­che sei geschwi­ster­li­che Kir­che, was auch deut­lich mache, dass es unter Geschwi­stern nicht immer nur har­mo­nisch zuge­hen müs­se. „Da kann man schon auch rich­tig strei­ten, ent­schei­dend ist, dass man trotz­dem bei­ein­an­der bleibt und für­ein­an­der ein­steht“, sag­te der Weih­bi­schof. „Ohne den Wil­len zur Gemein­schaft gibt es über­haupt kei­ne Zukunft für uns Men­schen. Wir kön­nen nur gemein­sam in die Zukunft gehen, oder wir wer­den über­haupt nicht dort ankommen.“

Die Hofer Ober­bür­ger­mei­ste­rin Eva Döh­la wür­dig­te in ihrem Gruß­wort das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment der Men­schen in der Regi­on: „Sie erfül­len den Anspruch der Soli­da­ri­tät jeden Tag aufs Neue mit Leben. Nur Dank des gro­ßen ehren­amt­li­chen Enga­ge­ments vie­ler unse­rer Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger – sei es in den Blau­licht­or­ga­ni­sa­tio­nen, im Sport, in der Kul­tur oder im sozia­len Bereich – kann unser gesell­schaft­li­ches Zusam­men­le­ben gelin­gen.“ Des­we­gen gel­te ihre beson­de­re Hoch­ach­tung all jenen Men­schen, „die sich vol­ler Eifer und vol­ler Näch­sten­lie­be um ihre Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger küm­mern. Sie sind das Fun­da­ment unse­rer Demokratie.“

Ange­sichts der berech­tig­ten Äng­ste vor Krieg, Ener­gie- und Kli­ma­kri­se rief Döh­la auf, Hoff­nung und Zuver­sicht nicht zu ver­lie­ren. Der Satz „Fürch­tet euch nicht“ aus dem Lukas­evan­ge­li­um sei ihr ein wich­ti­ger Leit­spruch gewor­den. „Schließ­lich kön­nen Furcht und Angst auch unbe­son­nen machen. Doch gera­de in fra­gi­len Zei­ten ist Beson­nen­heit beson­ders wich­tig. Beson­ne­nes, aber muti­ges Han­deln und das Ver­trau­en auf eine hoff­nungs­vol­le Zukunft muss ein Teil der Ant­wort auf die Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit sein.“

Der Neu­jahrs­emp­fang mit zahl­rei­chen Gästen aus Kir­che, Gesell­schaft, Poli­tik und Kul­tur fand nach zwei Jah­ren Coro­na-Pau­se wie­der statt. Nach dem Rück­tritt von Erz­bi­schof Lud­wig Schick zum 1. Novem­ber 2022 lei­tet Weih­bi­schof Gös­sl das Erz­bis­tum als Diö­ze­san­ad­mi­ni­stra­tor bis zur Ernen­nung eines neu­en Erz­bi­schofs durch den Papst.