War­mes Wet­ter ver­wirrt Tier- und Pflanzenwelt

Wenn der Trauerschnäpper aus seinem Winterquartier zurückgekehrt, haben sich die Standvögel aufgrund der milden Temperaturen schon die besten Brutplätze gesichert. © Rosl Roessner
Wenn der Trauerschnäpper aus seinem Winterquartier zurückgekehrt, haben sich die Standvögel aufgrund der milden Temperaturen schon die besten Brutplätze gesichert. © Rosl Roessner

Mil­der Win­ter bringt Rhyth­mus der Natur durch­ein­an­der: eini­ge Arten schon jetzt im Frühjahrsmodus

Das aktu­ell war­me Wet­ter ohne Frost und Schnee bis in die Höhen­la­gen ist unge­wöhn­lich für den Janu­ar in Bay­ern. Solch früh­lings­haf­te Tem­pe­ra­tu­ren haben Aus­wir­kun­gen auf die Tier- und Pflanz­welt. „Die mil­de Wit­te­rung seit den Weih­nachts­ta­gen mit einem Wär­me­rekord an Sil­ve­ster haben die Natur vor­zei­tig aus dem Win­ter­schlaf geris­sen. Wer seit­dem genau­er hin­hört, kann vie­ler­orts in Bay­ern Amseln und Kohl­mei­sen wie im Früh­ling sin­gen hören“, sagt LBV-Orni­tho­lo­gin Dr. Ange­li­ka Nel­son. Der baye­ri­sche Natur­schutz­ver­band LBV (Lan­des­bund für Vogel- und Natur­schutz) erklärt die unter­schied­li­chen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels auf die Natur und mahnt die Anstren­gun­gen im Kli­ma­schutz drin­gend zu ver­schär­fen. „Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en aus den letz­ten zehn Jah­ren lie­fern ein­deu­ti­ge Indi­zi­en, dass die Ver­än­de­run­gen des Kli­mas die Tier- und Pflan­zen­welt mas­siv beein­flus­sen und ver­än­dern. Öko­lo­gi­sche Zusam­men­hän­ge und bis­lang ver­trau­te Tier- sowie Pflan­zen­ge­mein­schaf­ten wer­den erheb­lich durch­ein­an­der­ge­wir­belt“, erklärt Nelson.

Die hei­mi­schen Vogel­be­stän­de sind ein wich­ti­ger Anzei­ger für den Kli­ma­wan­del in Bay­ern: Wär­me­lie­ben­de Vogel­ar­ten wie Gir­litz und Wie­de­hopf pro­fi­tie­ren von war­men Som­mern und mil­den Win­tern. Dage­gen brau­chen alpi­ne Arten wie das Alpen­schnee­huhn, nor­di­sche Gän­se­ar­ten und die Gold­am­mer, die auch Win­ter­ler­che genannt wird, kal­te Wohl­fühl­tem­pe­ra­tu­ren. Bei stei­gen­den Tem­pe­ra­tu­ren zie­hen sie sich in höhe­re Lagen sowie nord­wärts zurück. Die Bestän­de sind gefähr­det, weil die­se Rück­zugs­or­te geo­gra­fisch begrenzt sind. „Die Ver­brei­tung und Viel­falt der Arten ver­än­dern sich kon­ti­nu­ier­lich durch die Kli­ma­kri­se. Das betrifft auch hei­mi­sche, über­win­tern­de Vogel­ar­ten. Blau­mei­sen, Sumpf­mei­sen und Klei­ber über­le­ben mil­de Win­ter in gro­ßer Zahl. Bei anhal­tend war­men Tem­pe­ra­tu­ren bal­zen und brü­ten sie frü­her im Jahr. Zur Füt­te­rung ihrer Jun­gen fin­den sie dann oft nicht aus­rei­chend Nah­rung wie zum Bei­spiel Rau­pen“, erklärt Ange­li­ka Nelson.

Wer erst im Lau­fe des Früh­jahrs aus dem Win­ter­quar­tier nach Bay­ern zurück­kehrt, hat das Nach­se­hen. Das betrifft den Kuckuck, der sein Ei ins gemach­te Nest ande­rer Vogel­ar­ten legt. Die­se Nester wer­den von den Wirts­vo­gel­el­tern immer frü­her mit eige­nen Eiern bestückt. Auch der Trau­er­schnäp­per gehört zu den Ver­lie­rern des Kli­ma­wan­dels. „Wenn der Lang­strecken­zie­her im April und Mai aus Afri­ka zurück­kehrt, sind gute Nist­plät­ze bereits von Stand­vö­geln wie Kohl­mei­se und Blau­mei­se besetzt, die die­se auch vehe­ment ver­tei­di­gen. Außer­dem droht Gefahr durch akti­ve Beu­te­grei­fer wie den Sie­ben­schlä­fer, die schon frü­her unter­wegs sind. Stu­di­en zei­gen, dass in man­chen Regio­nen Euro­pas der Bestand des Trau­er­schnäp­pers bereits um 90 Pro­zent gesun­ken ist“, sagt die LBV-Vogelexpertin.

Mil­des Wet­ter unter­bricht den Winterschlaf

Der Win­ter­schlaf von Igel, Fle­der­maus und Sie­ben­schlä­fer wird über eine „inne­re Uhr“ gesteu­ert, sodass die Tie­re nicht stän­dig bei kur­zen Pha­sen mil­der Wit­te­rung aus dem Win­ter­schlaf auf­wa­chen. „Pro­ble­ma­tisch wird es, wenn län­ger anhal­ten­de mil­de Wet­ter­pe­ri­oden sich zu häu­fig mit Käl­te­ein­brü­chen abwech­seln. Dann ver­brau­chen die Säu­ge­tie­re für jedes Auf­wa­chen aus dem Win­ter­schlaf wich­ti­ge Ener­gie­re­ser­ven. Unter Umstän­den rei­chen die ange­leg­ten Fett­re­ser­ven dann nicht mehr aus, um die rest­li­che kal­te Jah­res­zeit gut zu über­ste­hen“, so Ange­li­ka Nelson.

Auch der Jah­res­rhyth­mus von Amphi­bi­en wird durch den war­men Win­ter durch­ein­an­der­ge­bracht. „Für Frö­sche, Krö­ten und Mol­che ist das rich­ti­ge Ver­hält­nis von Tages­län­ge, Tem­pe­ra­tur und Luft­feuch­tig­keit das Start­si­gnal für Früh­jahrs­wan­de­run­gen zum Lai­chen. Bleibt es kon­stant warm, ist ab Ende Janu­ar mit den ersten paa­rungs­be­rei­ten Spring­frö­schen zu rech­nen“, sagt die LBV-Bio­lo­gin. Sind sie ein­mal los­ge­lau­fen, stel­len plötz­li­che Käl­te­ein­brü­che eine mas­si­ve Gefahr dar. Wan­dern­de Amphi­bi­en kön­nen sich nicht mehr recht­zei­tig durch Ein­gra­ben vor der Käl­te schüt­zen und erfrieren.

Fol­gen für Pflan­zen- und Insektenwelt

Win­ter­lin­ge und Kro­kus­se schicken für gewöhn­lich im Febru­ar die ersten bun­ten Früh­jahrs­grü­ße. Doch man­cher­orts trei­ben sie jetzt schon aus. „Das frü­he Aus­trei­ben kann dafür sor­gen, dass der Blüh­zeit­punkt von Pflan­zen nicht mehr mit dem Flug­zeit­punkt von Insek­ten über­ein­stimmt“, sagt Ange­li­ka Nel­son. Doch auch Insek­ten ver­än­dern ihr Ver­hal­ten. Wild- und Honig­bie­nen, man­che Hum­mel- und Schmet­ter­lings­ar­ten sind immer öfter bereits im Janu­ar aktiv und drän­gen sich um das spär­li­che Blü­ten­an­ge­bot. Die Tier- und Pflan­zen­ge­mein­schaf­ten müs­sen sich den kli­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen anpas­sen. „Wenn wir vie­le ver­schie­de­ne hei­mi­sche Pflan­zen, die zu unter­schied­li­chen Zei­ten blü­hen, im Gar­ten oder auf dem Bal­kon anbau­en, grei­fen wir den Insek­ten unter die Flü­gel“, rät Nelson.


Über den LBV

1909 gegrün­det ist der LBV – Lan­des­bund für Vogel- und Natur­schutz in Bay­ern e. V. – der älte­ste Natur­schutz­ver­band in Bay­ern und zählt aktu­ell über 115.000 Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer. Der LBV setzt sich durch fach­lich fun­dier­te Natur- und Arten­schutz­pro­jek­te sowie Umwelt­bil­dungs­maß­nah­men für den Erhalt einer viel­fäl­ti­gen Natur und Vogel­welt im Frei­staat ein. Mehr Infos: www​.lbv​.de/​u​e​b​e​r​-​uns.