HC Erlangen: Großer Kampf in beeindruckender Atmosphäre
Als das Licht unmittelbar vor Anwurf erlosch und tausende Wunderkerzen die Arena Nürnberger Versicherung in eine magische, eine fast mystische Atmosphäre tauchten. Als schwerer, weißer Nebel aufs Spielfeld schwappte und lodernde Flammen gen Hallendach schossen, immer, wenn ein Spieler des HC Erlangen das Feld betrat, da hätte man es eigentlich schon ahnen können.
„Die Atmosphäre war einzigartig“, fand sogar der große Olafur Stefansson später. Der Co-Trainer des HC Erlangen hat gewonnen, was man gewinnen kann im Handballsport. Er hat gesehen, was man sehen kann und erlebt, was man nur erleben kann: Olympische Spiele, Champions League- und EHF-Pokal-Finals, spanische, deutsche, dänische, ja sogar eine katarische Meisterschaft. Er zählt zu den besten, die jemals einen Handball warfen – und jener Stefansson, er war tatsächlich tief beeindruckt von dem, was ihn am Samstagabend in der traditionellen BlackNight in der Arena in Nürnberg erwartet hatte. „Leidenschaft, Kampf, Begeisterung und Freude“, so Stefansson, das hatte er nach 60 Minuten hochintensivem Angriffshandball beobachtet. „Zwei starke Offensiven“, das auch, beim am Ende unglücklichen 36:38 seines HCE gegen den haushohen Favoriten, den SC Magdeburg, und „zwei nicht ganz so starke Defensiven“.
Wobei: Auf diese wollte sich der HC Erlangen eigentlich stützen mit dem Selbstbewusstsein von drei Bundesliga-Siegen in Folge, von sichtbaren, wichtigen Schritten in der Gesamtentwicklung. Die feinen Magdeburger Zahnräder, die schon beim Final Four im Pokal in Hamburg so beeindruckend ineinander gegriffen hatten, die wollte man von Beginn an mit Leidenschaft und Aggressivität gar nicht erst ins Laufen bringen lassen, sich immer wieder wuchtig dazwischenwerfen in den Motor der Gäste, der, wenn er mal ins Rollen kommt, für kaum eine Mannschaft der Welt derzeit zu halten ist. „Mutig“, so Raul Alonso, der Cheftrainer und Sportdirektor, wollte seine Mannschaft ja trotzdem sein, „wir haben noch etwas gut zu machen“, hatte Niko Büdel, der HCE-Spielmacher, im Vorfeld ans verlorene Pokal-Halbfinale erinnert.
Die nötige Extraenergie, die dafür nötig war, lieferte die Kulisse – auch wenn einer gar nicht mit hineinlaufen konnte in das stimmungsvolle Wunderkerzen-Meer: Klemen Ferlin, der Torhüter, der so oft schon den Unterschied gemacht hatte, fehlte mit Magen-Darm-Infekt. Dafür begann Martin Ziemer. Und wie: Kaum war das Licht wieder angeschaltet, klatschte ein Wurf von Philipp Weber nur an die Latte, den nächsten Angriff entschärfte Ziemer mit der Hand gegen Daniel Pettersson. Und wer es kurz zuvor noch nicht geahnt hatte, der wusste spätestens jetzt, als Simon Jeppsson wuchtig zum 2:0 getroffen hatte, dass die BlackNight traditionell auch die Fähigkeit besitzt, die üblichen Kräfteverhältnisse des Handballs aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Zwar kam nun auch Magdeburg mehr und mehr ins Spiel, Erlangen jedoch waren durch den starken Auftakt bereits schwarze Flügel gewachsen. Den Wind darunter, den brachte das Publikum zum Tosen – ganz in Schwarz gekommen, wie es zur BlackNight seit Jahrzehnten Tradition ist, tobte von Beginn an ein Erlanger Vulkan auf den Rängen. Frenetisch wurde jeder Treffer bejubelt, jede gute Aktion eifrig beklatscht, „das bringt dir unglaublich Energie, selbst wenn du irgendwann eigentlich gar nicht mehr kannst: Du machst einfach weiter, du denkst nicht einmal daran, aufzuhören oder nachzulassen“, beschrieb es Johannes Sellin später.
So ging es auf Augenhöhe Richtung Pause. Erlangen legte meist vor, doch Magdeburg zog fast ein wenig zu mühelos immer wieder nach. Weil die Gastgeber von den ersten drei Siebenmeter nur einen verwandelten, büßte Erlangen bald den knappen Vorsprung wieder ein, reihenweise Zeitstrafen nahmen zudem jeglichen Spielfluss. „Es ist ungemein schwer, diese kleinen Angriffsspieler zu verteidigen, weil sie sich ja immernoch zusätzlich klein machen“, klagte der großgewachsene Antonio Metzner. So war das Zupacken fast nicht möglich – und wenn, dann rutschten die Arme der Erlanger Riesen Nikolai Link, Sebastian Firnhaber oder Petter Overby fast automatisch an Hals oder Kopf der wendigen Magdeburger. Die Folge waren zuhauf Zeitstrafen, so dass der HCE von den ersten zwölf Minuten die Hälfte mit einem Mann weniger auf dem Feld stand.
Doch das entmutigte die Gastgeber nicht etwa, es brachte ihnen nur noch mehr Aufwind unter die Flügel: Erlangen blieb bissig, Erlangen blieb treffsicher und Erlangen blieb dran – nun war es Magdeburg, das sich nicht absetzen konnte. Hinzu kam eine gelebte Leidenschaft: Christopher Bissel warf sich wie ein furchtloser Klippenspringer auf einen freien Ball, den Nikolai Link mit seinen Pranken geblockt hatte, Tim Zechel sprang dem starken Omar Ingi Magnusson wie eine Klette im Wiesengrund ans Hemd und ließ gar nicht mehr los. Das ärgerte, das störte die sonst so souveränen Magdeburger Filigranhandballer: Gästetrainer Bennet Wiegert sah vor lauter Unmut gar die Gelbe Karte. Doch das Spitzenteam blieb im Sinne eines Spitzenteams geduldig und wartete auf die klitzekleinen Fehler der mutigen, der tapferen Erlanger. Als Christoph Steinert und kurz darauf Bissel jeweils nur den Pfosten trafen, setzte sich der Tabellenführer erstmals überhaupt mit zwei Toren ab (15:17, 27.). Weil Steinert gegen seinen Ex-Klub aber noch mit der Halbzeitsirene einen Kegel-Wurf durch die Beine von Keeper Jannick Green schickte, ging es mit einem knappen 18:20 und einem erwartungsfrohen Schlusstosen des begeisterten Publikums in die Pause. Aus der kam der HCE ohne jede Schwäche, Bissels 19:20 schaltete sofort wieder Strom auf die Anlagen auf dem Feld und den Tribünen. Doch das Glück, es ließ Erlangen nun warten: Zum einen schossen ein paar Würfe am Ziel vorbei, zum anderen sorgten höchst unglückliche Pfiffe für weitere Zeitstrafen und immer mehr Unmut auf den Rängen. Der HCE drohte nun, den Zugriff zu verlieren, Magdeburg sich aus dem festen Griff der Gastgeber endlich herauswinden zu können (20:23, 35.). Doch angepeitscht vom nimmermüden, schwarz gekleideten Orkan dachte der HCE gar nicht daran, aufzugeben. Er lenkte vielmehr die schwarzen Flügel wieder in den Wind und ließ sich Richtung Sensation tragen: Immer wieder tankte sich nun Tim Zechel – stark freigespielt von Jeppsson, Büdel oder Fäth – am Kreis durch, ein bemerkenswert treffsicherer Johannes Sellin steuerte selbst aus schier unmöglichen Spitzwinkeln am Ende neun Treffer bei. Und dennoch blieb Magdeburg mit seiner Klasse immer ein paar Millimeter weiter vorn. Am weitesten nach 45 Minuten, als ein Wurf ins verwaiste Erlanger Tor – mal wieder musste man in Unterzahl agieren – zum 25:29 einschlug. Doch wer nun dachte, die Gäste dürften nun endlich sorgenfrei auf die Zielgeraden einbiegen, hatte seine Rechnung noch einmal ohne die Erlanger Moral und Leidenschaft getan: Eine Auszeit von Trainer Alonso, ein Kempatrick von Bissel und Steinert, eine Parade von Martin Ziemer und Treffer von Zechel und Sellin später stand es, als sogar Overby sicher traf, wieder 32:33. Auch die überharte Entscheidung, Petter Overby nach einem Zweikampf mit Magnusson mit dritter Zeitstrafe zum Duschen zu schicken, brachte den HCE nun nicht mehr vom eingeschlagenen Kurs ab. Die Mannschaft hatte sich mit ihrem Publikum längst festgebissen, sie ließ nun nicht mehr los.
Magdeburg legte vor, Erlangen zog mit gewaltiger Energieleistung immer wieder nach – sogar in Unterzahl. Das Dach der Arena drohte erstmals wegzufliegen, als Bissel das 35:36 gelang, kurz darauf ebenso, als der überragende Sellin zum 36:37 mitten ins Glück traf. 30 Sekunden waren da nur noch auf der Uhr – die Zeit, sie war an diesem Tag wohl Magdeburgs Rettung. Sichtlich angeknockt von so viel Gegenwehr ließ sich der Gast erschöpft ins Ziel fallen, die Uhr stoppte bei 36:38 und nach übergroßem Kampf, wildem Hin und Her und einem fast schon irren offensiven Schlagabtausch.
„Ob ich 74 Tore in einem Spiel schon einmal erlebt habe?“, Olafur Stefansson, derjenige, der eigentlich alles schon gesehen hatte: er wusste es nicht. Was er aber wusste war, dass es nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause eine aufregende, ein begeisternde, eine hochspannende und leidenschaftliche BlackNight gewesen war.
HC Erlangen: Ziemer, Sonne; Sellin (9), Overby (1), Fäth, Firnhaber (2), Büdel (2), Bissel (4), Metzner (4), Link, Jeppsson (3), Steinert (5/3), Zechel (6).
SC Magdeburg: Green, Jensen; Chrapkowski, Kristjansson (5), Pettersson (2), Magnusson (9/4), Hornke (2), Weber (6), Gullerud (3), Mertens (5), Jensen (4), O’Sullivan, Bezjak, Smits (1); Damgaard.Schiedsrichter: Reich, Brodbeck. – Zuschauer: 5287. – Zeitstrafen (in Minuten): 16:10. – Rote Karte: Overby (55., dritte Zeitstrafe).
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