Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Zwei neue Groß­pro­jek­te zur Frie­dens- und Konfliktforschung

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Die Uni­ver­si­tät Bay­reuth baut einen neu­en Schwer­punkt in der inter­dis­zi­pli­nä­ren Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung auf. Als Mit­glied eines Ver­bunds, der sich mit Deu­tungs­kämp­fen und ihrem Ein­fluss auf Kon­flik­te befasst, ist sie an der Grün­dung eines regio­na­len Zen­trums für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung in Bay­ern betei­ligt. Zudem ist sie Part­ner in einem neu­en Kom­pe­tenz­netz­werk, das kolo­ni­al gepräg­te und bis heu­te fort­wir­ken­de Macht­struk­tu­ren in Kon­flik­ten und Frie­dens­be­mü­hun­gen unter­sucht. Das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung för­dert bei­de Vor­ha­ben ab 1. April 2022 für vier Jah­re, die Uni­ver­si­tät Bay­reuth erhält ins­ge­samt rund zwei Mil­lio­nen Euro.

Die Pro­jek­te wol­len neben der Grund­la­gen­for­schung ins­be­son­de­re den Dia­log mit Öffent­lich­keit und Poli­tik über Fra­gen von Krieg und Frie­den stär­ken. Alle geplan­ten Arbei­ten zur Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung sind ent­schie­den pra­xis­ori­en­tiert: Aus den in inter­dis­zi­pli­nä­rer Zusam­men­ar­beit gewon­ne­nen Erkennt­nis­sen sol­len neue Impul­se für die Bera­tung poli­ti­scher und zivil­ge­sell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen, aber auch für den Wis­sens­trans­fer in die Medi­en und die Öffent­lich­keit hervorgehen.

„Der Krieg in der Ukrai­ne und sei­ne schreck­li­chen Fol­gen machen uns bewusst, wie unent­behr­lich eine wis­sen­schaft­li­che For­schung ist, die den Ursa­chen von Kon­flik­ten und den Vor­aus­set­zun­gen fried­li­cher Koexi­stenz auf den Grund zu gehen ver­sucht. Umso mehr freut es mich, dass For­schen­de und Leh­ren­de unse­rer Uni­ver­si­tät ihre sozi­al- und geschichts­wis­sen­schaft­li­chen Kom­pe­ten­zen in zwei neue und weg­wei­sen­de Netz­wer­ke zur Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung ein­brin­gen wer­den. Die Ent­schei­dung des BMBF, die­se Vor­ha­ben nach zwei hoch­kom­pe­ti­ti­ven Aus­schrei­bun­gen zu för­dern, ist für alle Betei­lig­ten ein gro­ßer Ver­trau­ens­be­weis. Sei­tens der Hoch­schul­lei­tung wer­de ich mich dafür ein­set­zen, dass die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren baye­ri­schen Uni­ver­si­tä­ten in die­sem neu­en Schwer­punkt dau­er­haft in einem regio­na­len Zen­trum für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung insti­tu­tio­nell ver­an­kert wird“, sagt Prof. Dr. Ste­fan Leib­le, Prä­si­dent der Uni­ver­si­tät Bayreuth.

Ein Ver­bund für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung in Bayern

Prof. Dr. Jana Hönke, Universität Bayreuth. Foto: UBT / J. Rennecke.

Prof. Dr. Jana Hön­ke, Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: UBT / J. Rennecke.

Der Bay­reu­ther Teil des Ver­bunds für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung in Bay­ern wird von Prof. Dr. Jana Hön­ke, Inha­be­rin des Lehr­stuhls für Sozio­lo­gie in Afri­ka, in Zusam­men­ar­beit mit Dr. Julia Eichen­berg, For­schungs­grup­pen­lei­te­rin am Insti­tut für Frän­ki­sche Lan­des­ge­schich­te, gelei­tet. Das BMBF för­dert den Auf­bau des Zen­trums mit ins­ge­samt 2,5 Mil­lio­nen Euro. Wei­te­re Mit­glie­der des Zen­trums sind die Uni­ver­si­tät Augs­burg und die FAU Erlan­gen-Nürn­berg sowie das Insti­tut für Zeit­ge­schich­te in Mün­chen. Das über­grei­fen­de Rah­men­the­ma „Deu­tungs­kämp­fe im Über­gang“ ist dar­in begrün­det, dass unter­schied­li­che Deu­tun­gen von Bedro­hun­gen und Unsi­cher­heit Kon­flik­te maß­geb­lich beein­flus­sen. Ins­be­son­de­re alte, oft­mals ver­meint­lich über­wun­de­ne Kon­flik­te in Gesell­schaf­ten wir­ken sich auf den Aus­bruch und den lang­fri­sti­gen Ver­lauf von ‚hei­ßen‘ Kon­flik­ten aus. Wer­den sol­che Kon­flikt­li­ni­en mit aktu­el­len poli­ti­schen Inter­es­sen ver­bun­den, beein­flus­sen sie die Wahr­neh­mung. In Form gegen­sätz­li­cher Inter­pre­ta­tio­nen ver­gan­ge­ner Ereig­nis­se und Ent­wick­lun­gen kön­nen sie instru­men­ta­li­siert und zur Eska­la­ti­on ein­ge­setzt wer­den. Die­se Dyna­mik ist ins­be­son­de­re in Über­gangs­zei­ten rele­vant, wie etwa bei der Errich­tung einer Frie­dens­ord­nung nach einem Krieg, bei der Auf­ar­bei­tung einer über­wun­de­nen Gewalt­herr­schaft oder in der aktu­el­len Trans­for­ma­ti­on der inter­na­tio­na­len Ord­nung. „Wir wol­len des­halb die bis­her poli­tik­wis­sen­schaft­lich gepräg­te Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung sozio­lo­gisch und geschichts­wis­sen­schaft­lich öff­nen. Im inter­dis­zi­pli­nä­ren Dia­log wol­len wir die sozia­len Dyna­mi­ken und poli­ti­schen Effek­te von Deu­tungs­kämp­fen über län­ge­re Zeit aus­lo­ten. Eine wich­ti­ge Fra­ge ist dabei, ob und wie Deu­tungs­kämp­fe zu einem nach­hal­ti­gen Frie­den bei­tra­gen kön­nen“, sagt Prof. Dr. Jana Hönke.

Die Uni­ver­si­tät Bay­reuth koor­di­niert die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit der Part­ner­ein­rich­tun­gen. Mit einem Pro­gramm für Gastwissenschaftler*innen för­dert sie die Inter­na­tio­na­li­sie­rung der For­schungs­ar­bei­ten. Zudem unter­sucht ein Pro­jekt in Zusam­men­ar­beit mit PD Dr. Flo­ri­an Kühn (Uni­ver­si­tät Göte­borg) am Bei­spiel aktu­el­ler Kon­flik­te in Afri­ka und Süd­ame­ri­ka das Auf­ein­an­der­tref­fen gegen­sätz­li­cher Kon­struk­tio­nen von Wahr­heit und histo­ri­schem Wis­sen. Ein wei­te­res For­schungs­team unter der Lei­tung von Dr. Julia Eichen­berg befasst sich am Bei­spiel der frän­ki­schen Frei­korps nach dem Ersten Welt­krieg mit der gewalt­sa­men Durch­set­zung natio­na­li­sti­scher Deu­tungs­mu­ster, aber auch mit den Her­aus­for­de­run­gen mili­tä­ri­scher und gesell­schaft­li­cher Demo­bi­li­sie­rung nach gewalt­tä­ti­gen Kon­flik­ten. Ein drit­tes Pro­jekt wid­met sich Deu­tungs­kämp­fen um unter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung für Gewalt.

Kolo­nia­le Macht­struk­tu­ren und ihre Fol­gen in der Gegenwart

Das Kom­pe­tenz­netz­werk „Post­ko­lo­nia­le Hier­ar­chien“ wie­der­um unter­sucht tra­dier­te Macht­struk­tu­ren, die ihre Wur­zeln im euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus haben und in aktu­el­len Kon­flik­ten wei­ter­wir­ken, nicht sel­ten auch gezielt wie­der­be­lebt wer­den. Es wird eben­falls vom BMBF bis 2026 geför­dert, mit ins­ge­samt 4,1 Mil­lio­nen Euro. Auch in die­sem Ver­bund ste­hen inter­dis­zi­pli­nä­re For­schungs­an­sät­ze im Mit­tel­punkt: In Bay­reuth koope­rie­ren Prof. Dr. Jana Hön­ke (Sozio­lo­gie), Prof. Dr. Sabe­lo Ndl­o­vu-Gats­he­ni (Epi­ste­mo­lo­gien des Glo­ba­len Südens), Prof. Dr. Andrea Beh­rends (Eth­no­lo­gie), Prof. Dr. Joel Glas­man (Geschichts­wis­sen­schaft) und Dr. Maria Ketz­me­rick (Poli­tik­wis­sen­schaft). Sie ste­hen dabei in engem Aus­tausch mit dem Exzel­lenz­clu­ster „Afri­ca Mul­ti­ple“. Die Uni­ver­si­tät Bay­reuth arbei­tet in die­sem Ver­bund mit dem Arnold-Berg­strae­sser-Insti­tut in Frei­burg, der Uni­ver­si­tät Erfurt und der Uni­ver­si­tät Mar­burg zusam­men, die jeweils Sibyl­la-Meri­an-Zen­tren in Indi­en, dem Maghreb und Afri­ka als Part­ner einbringen.

Das Netz­werk befasst sich mit den Aus­wir­kun­gen hier­ar­chi­scher, kolo­ni­al begrün­de­ter Macht­struk­tu­ren auf heu­ti­ge gewalt­sa­me Kon­flik­te. Es geht der Fra­ge nach, wel­che Bedeu­tung die Über­win­dung die­ser Hier­ar­chien bei der Schaf­fung fried­li­cher und gerech­ter Struk­tu­ren in der Gegen­wart hat. „Die For­schungs­ar­bei­ten wer­den das kon­ti­nu­ier­li­che Fort­wir­ken kolo­nia­ler Vor­stel­lungs­wel­ten und Sozi­al­struk­tu­ren, glei­cher­ma­ßen aber auch anti­ko­lo­nia­le Wider­stands­be­we­gun­gen und Pro­zes­se der Deko­lo­nia­li­sie­rung in den Blick neh­men – bis hin zu aktu­el­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit ras­si­sti­schen Denk- und Ver­hal­tens­mu­stern. Ein wich­ti­ger Aspekt wer­den dabei die oft­mals unre­flek­tier­ten Vor­aus­set­zun­gen sein, unter denen bis heu­te Wis­sen über Poli­tik, Frie­den und Kon­flik­te pro­du­ziert und ver­brei­tet wird“, sagt Dr. Maria Ketzmerick.

An der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ange­sie­del­te For­schungs­pro­jek­te beschäf­ti­gen sich unter ande­rem mit Mög­lich­kei­ten der Deko­lo­ni­sie­rung exter­ner Sicher­heits-Gover­nan­ce und huma­ni­tä­rer Hil­fe. Ein wei­te­res The­ma ist das indi­rek­te Fort­wir­ken kolo­nia­ler Hier­ar­chien, aber auch ihre Über­win­dung, in Süd-Süd-Bezie­hun­gen. Auch das Kom­pe­tenz­netz­werk „Post­ko­lo­nia­le Hier­ar­chien“ wird den Dia­log mit der Öffent­lich­keit und mit unter­schied­li­chen Ziel­grup­pen aus Poli­tik, Medi­en und Kul­tur suchen und hier­für neue For­ma­te der Kom­mu­ni­ka­ti­on, bei­spiels­wei­se eine vir­tu­el­le Enzy­klo­pä­die, auf den Weg bringen.