Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 35

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Der Arsch­krie­cher

Ziem­lich ange­kratzt ist sei­ne Stel­lung in der Rast­stra­ßen­ban­de. Ist die Neu­manns Hel­ga neu­lich wegen ihm vor­zei­tig abge­hau­en? Auf der einen Sei­te früh mit blau­er Müt­ze ins Erne­sti­num gehen und am Nach­mit­tag einen Blö­den ver­spot­ten, ihm sogar noch einen schwe­ren Stein hin­ter­her wer­fen. Die Hel­ga zeigt sich noch nicht mal am Fen­ster. Auf ewi­ge Zei­ten wird er bei ihr ver­schis­sen haben. Sie ist die Ein­zi­ge gewe­sen, die auf­ge­for­dert hat­te, den Idio­ten in Ruhe zu las­sen. Irgend­ei­ner muss­te ihr die­se gan­ze Schei­ße mit dem Pfla­ster­stein erzählt haben.

*

Gera­de kommt Hel­gas Mut­ter auf dem Fahr­rad daher, lehnt es ans Haus und nimmt das Ein­kaufs­netz von der Lenk­stan­ge. Er grüßt und sagt, dass ihr Rad auch mal wie­der das Put­zen nötig habe. Er bie­tet sich direkt an, ihr die­se Arbeit abzu­neh­men, will über die Mut­ter etwas über die Hel­ga erfah­ren. Nach ein paar Minu­ten wirft die ihm einen Lap­pen aus dem Fenster.

Die Rad­fel­gen mit einer samt­ar­ti­gen, ver­öl­ten Staub­schicht über­zo­gen. Vie­le Jah­re muss­te der Lack nicht mehr das Tages­licht gese­hen haben. Er schiebt das Rad von der alten Bier­mann tie­fer in den Hin­ter­hof hin­ein. Von Bekann­ten will er nicht als Schleim­schei­ßer erkannt wer­den. Nach einer lan­gen Stun­de hat er den ölver­schmier­ten Spei­chen und Naben wie­der ihren Nickel­glanz zurück gege­ben. Die dreck­blin­den Schutz­ble­che und der Rah­men spie­geln. Er tritt einen Schritt zurück und betrach­tet sein Werk, stellt das Rad unter das Vor­dach. Sie soll es von oben nicht sehen kön­nen, son­dern muss her­un­ter­kom­men. Er läu­tet. Der Tür­öff­ner schnarrt. Das Rad sei jetzt fer­tig und was er mit dem Lap­pen machen solle.

In ihren schief getre­te­nen Schlap­pen kommt sie her­un­ter, staunt, lobt ihn. Sogar ein Mark­stück will sie ihm in die Hand drücken.

Er mache das doch gern für sie, hört er sei­ne Stim­me lügen.

Die Hel­ga, so erfährt er, gehe jetzt bei ihrem Onkel in die Büro­leh­re und habe kei­ne Zeit mehr zum Spie­len. Schreib­ma­schi­ne, Ste­no und Buch­hal­tung, alles Sachen, von denen er als Gym­na­si­ast kei­ne blas­se Ahnung hat.

Er ist erleich­tert. Mit dem Stein­wurf auf den Egon von der Post hat ihr Ver­schwin­den also nichts zu tun. Sei­nen Traum braucht er nicht zu begra­ben. Den ver­rück­ten Traum, über den er nicht ein­mal mit sei­nem Bru­der Andi gespro­chen hat. Unter Garan­tie hät­te der ihn aus­ge­lacht. Wenn er ihm erzählt hät­te, dass er in zwei Jah­ren auch schon einen Flaum­bart wie der star­ke Klaus und einen Stimm­bruch haben wür­de, sich dann an die Neu­manns Hel­ga ran machen und mit ihr gehen könnte.

*

Nach Wochen – die Cal­len­ber­ger Stra­ße hat­te inzwi­schen eine dün­ne Sand­schicht auf dem fri­schen Asphalt –ist Jakob mit sei­nem Bru­der in Rich­tung des Bis­marck­turms unter­wegs. Der will dort nach­schau­en, ob das Wen­de­hals­nest in dem hoh­len Birn­baum noch bebrü­tet wird. Als sie den schma­len Weg hin­auf­ge­hen, kommt ihnen die Neu­manns Hel­ga ent­ge­gen. Mit ihrer Dau­er­wel­len­fri­sur hät­te Jakob sie fast nicht erkannt.

Hand in Hand mit einem Mann in der grü­nen Uni­form vom Bun­des­grenz­schutz. Sie gehen anein­an­der vor­bei. Die Hel­ga ver­sucht ein gequäl­tes Lächeln. Die Brü­der den­ken nur Verrat.

Beim Wen­de­hals wird schon gefüttert.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839