Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 30

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Ver­pfle­gungs­bom­be

Der star­ke Klaus hat es gut. Der wohnt direkt an der Itz. Die Leu­te, die an einem Fluss woh­nen, das müs­sen ganz beson­de­re Leu­te sein, denkt sich Jakob. Der Klaus weiß Sachen, von denen er kei­ne Ahnung hat. Dass zum Bei­spiel ein Motor Zylin­der hat.

Oder dass der Stru­del bei der Hei­lig-Kreuz-Kir­che zehn Meter tief sein soll.

Auch kennt er vie­le Erwach­se­ne, mit denen er sich so ganz selbst­ver­ständ­lich unter­hält, als wären sie von sei­nem Alter. Zur Zeit hat er – so drückt er sich aus – eine Ver­pfle­gungs­bom­be in Bear­bei­tung. Vor Bom­ben und sol­chem Zeug hat Jakob einen Hei­den­re­spekt, seit dem er schon ein­mal mit Andi in einen Bom­ben­an­griff gera­ten war, spä­ter die Där­me vom Sig­gi gese­hen hat­te, der eine FLAK-Gra­na­te auf­klop­fen woll­te. Aber der Klaus wür­de schon wis­sen, was er tut.

*

Das Pro­be­vier­tel­jahr auf dem Erne­sti­num hat­te der Klaus aller­dings nicht geschafft. Der gefürch­te­te blaue Brief war zu ihm in sein Haus am Fluss gekom­men. Jetzt soll­te er erst ein­mal die Volks­schu­le fer­tig machen, etwas Kauf­män­ni­sches ler­nen und dann die Staub­sauger­ver­tre­tung sei­nes Vaters übernehmen.

Aber vor dem Kauf­män­ni­schen muss­te er unbe­dingt eine Ver­pfle­gungs­bom­be beschaffen.

Jakob und Andi ste­hen mit dem Hand­wa­gen am Zaun der Schrott­fir­ma im Kano­nen­weg. Ein spit­zer Pfiff. Die Luft ist rein. Am Gat­ter steht der Klaus schon mit sei­ner Beu­te bereit.

Er hat sie steil ange­lehnt und braucht sie nur noch anzuheben.

Danach schram­men sie das geheim­nis­vol­le Ding über die Zaun­spit­zen. Es sieht aus, wie ein vor­ne und hin­ten abge­run­de­tes Pad­del­boot. In der Dun­kel­heit füh­len sie das Raue von rosti­gem Blech und schar­fe Metall­kan­ten, an denen man sich schnell die Hän­de auf­rei­ßen kann. Auf dem Hand­wa­gen ragt es so weit über, dass Jakob eine Schnur an die Deich­sel kno­ten muss.

Klaus und Andi stüt­zen das Mon­strum an den Sei­ten. Auf dem Pfla­ster der Cal­len­ber­ger Stra­ße beginnt das Ding zu dröhnen.

Sie wun­dern sich, dass da kei­ne Fen­ster auf­ge­hen. Wenn jetzt der Volks­wa­gen der Stadt­po­li­zei auf­taucht – sie wür­den in blin­der Angst über Zäu­ne und quer durch Gär­ten flie­hen, wür­den die Beu­te samt Hand­wa­gen ste­hen las­sen. Jakob will sich als Jüng­ster vor Andi und Klaus nicht bla­mie­ren und fragt nicht, was eine Ver­pfle­gungs­bom­be ist. Im Schein einer Taschen­lam­pe ver­täut Klaus die geklau­te Blech­zi­gar­re an einem über­hän­gen­den Ast und schiebt sie ins Was­ser. Sie schwimmt. Andi fun­zelt hin­ein. Das Ding ist dicht. Sie haben ein Boot.

Bei Tages­licht häm­mern sie sich aus Brett­re­sten und ange­schwemm­ten Lat­ten zwei Stech­pad­del zurecht. Jetzt sehen sie auch den gezack­ten Blech­rand. Vor ihm muss man sich beim Ein­stei­gen beson­ders in Acht neh­men. Jetzt, als Zu dritt haben sie sich hin­ein gepfercht, sit­zen tief unten am Blech­bo­den. An ein Pad­deln über die hohen Blech­zacken hin­weg ist nicht zu den­ken. Ihre Ver­pfle­gungs­bom­be treibt quer zur Strö­mung hilf­los auf die Bahn­hofs­brücke zu. Der star­ke Klaus macht noch einen ver­zwei­fel­ten Ver­such, sein Pad­del ein­zu­tau­chen. Die kiel­lo­se Blech­zi­gar­re bekommt Schlag­sei­te, schöpft gie­rig gur­gelnd Was­ser. Sinkt heck­la­stig und schürft am Fluss­bo­den. Ein paar Meter vor der Brücke sit­zen sie schul­ter­tief im Fluss. Sein Dezem­ber­was­ser schnürt ihnen den Atem ab. Andi blickt zur Brücke hoch. Ein alter Mann mit Man­tel, Schal und Ohren­schüt­zern sieht auf das Ereig­nis her­ab, schüt­telt den Kopf und geht wei­ter. Sie stei­gen am stei­len Ufer hin­auf, dre­hen sich zu ihrem Boot um. Wie ein dicker, dun­kel­brau­ner Rie­sen­fisch schim­mert es vom Fluss­bo­den her­auf. Sie begin­nen zu schlot­tern, mit den Zäh­nen zu klappern.

Die Eltern vom star­ken Klaus sind nicht da. Der gewal­ti­ge Guss­ei­sen­ofen im Wohn­zim­mer. Nach dem Aus­wrin­gen in der Bade­wan­ne hän­gen sie die Sachen über den Ofen­schirm. Nackt sit­zen sie am schwe­ren Wohn­zim­mer­tisch und spie­len Mensch Ärge­re Dich Nicht. Der star­ke Klaus hat unten her­um schon Haa­re. Aber er spot­tet nicht, dass sie noch kei­ne haben.

Klaus’ Mut­ter kommt vom Ein­kauf zurück. Er geht ihr in den Flur ent­ge­gen, spricht zu ihr ganz ruhig. Bald bringt sie Tee und geht. Jakob fin­det es gut, dass man sich bei den Fluss­leu­ten nicht zu genie­ren braucht.

*

Am näch­sten Tag hat die Strö­mung ihre Ver­pfle­gungs­bom­be unter die Brücke gewälzt. Der Klaus spricht inzwi­schen schon von einer alten Bade­wan­ne. Die sei viel schwe­rer und kön­ne des­halb nicht so leicht kip­pen, meint er. Und dass er bei der Schrott­fir­ma im Kano­nen­weg schon eine gese­hen habe.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839