Aus der Forch­hei­mer Leser­post: Umgang mit Kin­dern in der Corona-Krise

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Mein Name ist Ulri­ke Petry-Fär­ber, ich bin Mut­ter zwei­er Kin­der im Alter von 11 und 13 Jah­ren. Ich stand lan­ge hin­ter den Coro­na-Maß­nah­men bis Ende Febru­ar bei schon wie­der stei­gen­den Infek­ti­ons­zah­len Öff­nun­gen für Fri­seu­re, kör­per­na­he Dienst­lei­stun­gen, Gärt­ne­rei­en, Blu­men­lä­den und Bau­märk­te beschlos­sen wur­den. Und zu dem Zeit­punkt wur­de über die Schü­ler der Mit­tel­stu­fe, die seit 16.12.2021 noch nicht einen Tag Prä­senz­un­ter­richt hat­ten, noch nicht ein­mal gespro­chen. Ich war ver­zwei­felt, weil ich das Gefühl bekam, dass mei­ne bei­den Kin­der kei­ne Chan­ce mehr bekom­men soll­ten, in die­sem Schul­jahr noch ein­mal in die Schu­le zu kom­men, weil wei­ter stei­gen­de Infek­ti­ons­zah­len abzu­se­hen waren.

Stand Ende April hat­ten mei­ne Kin­der bis­her der Fünft­kläss­ler 5 Tage und der Siebt­kläss­ler 4 Tage Prä­senz­un­ter­richt seit Mit­te Dezem­ber, weil die Inzi­denz­zah­len in Forch­heim seit der Woche vor Ostern frei­tags jeweils über 100 lagen und die Schu­len am 13.04.2021 nach nur zwei Tagen Prä­senz­un­ter­richt von einem Tag auf den ande­ren wie­der geschlos­sen wur­den. Seit eini­gen Mona­ten habe ich das Gefühl, dass die Bekämp­fung der Maß­nah­men fast aus­schließ­lich noch auf dem Rücken der Kin­der, Jugend­li­chen und Fami­li­en aus­ge­tra­gen wird. In den Schu­len wer­den die streng­sten Kri­te­ri­en für Schul­öff­nun­gen fest­ge­legt und das trotz Hygie­ne­maß­nah­men und Testun­gen in den Schu­len. In Unter­neh­men gibt kei­ne Test­pflicht, die nach­ge­wie­sen wer­den muss, kei­ne inzi­denz­ab­hän­gi­ge Schlie­ßung von Unter­neh­men, eine Mas­ken­pflicht, die nicht kon­trol­liert wird. Ich darf mit einem nega­ti­ven Test auch bei einer Inzi­denz über 100 zum Ein­kau­fen gehen, mei­ne Kin­der dür­fen aber nicht mit einem nega­ti­ven Test in die Schu­le. Das ist für mich nicht mehr nach­zu­voll­zie­hen und eine unver­hält­nis­mä­ßi­ge Benachteiligung.

Mei­ne bei­den Kin­der wei­nen immer öfter, sind ver­zwei­felt. Sie haben kei­ne Moti­va­ti­on mehr, obwohl sich ihre Lehr­kräf­te wirk­lich bemü­hen. Sie sehen ein­fach kei­ne Per­spek­ti­ve und haben nur noch einen Wunsch, dass sie end­lich wie­der zur Schu­le gehen dürfen.

Mir geht es dabei nicht nur um die Lern­lücken, die ent­ste­hen, mir geht es vor allem dar­um, dass in den vie­len Mona­ten in allen Jahr­gangs­stu­fen die per­sön­li­che Ent­wick­lung der Kin­der und Jugend­li­chen auf der Strecke bleibt. Schu­le ist ein­fach mehr, als nur die Ver­mitt­lung von Fach­wis­sen. Hier wer­den auch die für das spä­te­re Berufs­le­ben so wich­ti­gen soge­nann­ten Soft­s­kills ver­mit­telt, wie Team‑, Koope­ra­ti­ons- und Kon­flikt­lö­se­fä­hig­keit. Dar­über hin­aus ist für uns als Eltern der Spa­gat zwi­schen Home­of­fice, ande­ren beruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen und der Betreu­ung der eige­nen Kin­der kaum mehr leist­bar. Und was man auch nicht ver­ges­sen darf ist, dass zu allem noch dazu­kommt, dass sport­li­che Akti­vi­tä­ten in Ver­ei­nen, Tref­fen mit Gleich­alt­ri­gen und alle ande­ren außer­schu­li­schen Akti­vi­tä­ten extrem ein­ge­schränkt sind.

Kin­dern und Jugend­li­chen wird ihr Recht auf Bil­dung und gesun­de Ent­wick­lung vor­ent­hal­ten, aus Grün­den des Fremd­schut­zes. Auch wenn sie selbst fast nie schwer an Coro­na erkran­ken, sol­len sie an vor­der­ster Stel­le die Aus­brei­tung des Virus brem­sen, was sowie­so nicht zu schaf­fen ist, wenn nicht an ande­rer Stel­le, z. B. in der Wirt­schaft ähn­lich stren­ge Maß­nah­men ergrif­fen wer­den. Außer­dem weist die Deut­sche Gesell­schaft für Päd­ia­tri­sche Infek­tio­lo­gie wie­der­holt dar­auf hin, dass kein Zusam­men­hang zwi­schen Kita- und Schul­öff­nun­gen und der Bele­gung der Inten­siv­sta­tio­nen nach­weis­bar ist. Die Ansteckun­gen gehen bekannt­lich wei­ter und das obwohl die mei­sten Schu­len zu sind und die Schü­ler zuhau­se. Ich bin der Mei­nung, dass alle Kin­der aller Jahr­gangs­stu­fen ein Recht auf Bil­dung haben, nicht nur die Schü­ler der Abschluss­klas­sen, die inzi­denz­un­ab­hän­gig in die Schu­len dür­fen. Sie wer­den aber nicht gehört, obwohl Kin­der- und Jugend­ärz­te, Kin­der- und Jugend­psy­cho­the­ra­peu­ten und ande­re Fach­leu­te seit Mona­ten Alarm schla­gen und vor den mas­si­ven phy­si­schen und psy­chi­schen Fol­gen war­nen. Mich erschreckt es, dass ich in einem Land lebe, in dem ich für den Schul­be­such mei­ner Kin­der kämp­fen muss. Ande­re Euro­päi­sche Län­der machen uns vor, wie es auch gehen kann, um Kin­dern und Fami­li­en Prio­ri­tät ein­zu­räu­men. Län­der wie Frank­reich, Spa­ni­en, Däne­mark, Schweiz, Schwe­den hat­ten die Schu­len auch in der Drit­ten Wel­le bei hohen Inzi­denz­zah­len geöff­net, weil in die­sen Län­dern Schu­le einen viel höhe­ren Stel­len­wert hat als in Deutschland.

Um mich in die­ser Situa­ti­on nicht mehr ohn­mäch­tig zu füh­len, habe ich mich der Initia­ti­ve Fami­li­en ange­schlos­sen, ein noch im Auf­bau befind­li­cher bun­des­wei­ter Ver­ein, der für die Rech­te von Kin­dern und Fami­li­en ein­tritt. Zusam­men mit einem ste­tig wach­sen­den Unter­stüt­zer­kreis orga­ni­sie­re ich nun am Sams­tag, 08.05.2021 um 11 Uhr die drit­te Kund­ge­bung auf dem Para­de­platz, um unse­ren Kin­dern eine Stim­me zu geben, in der Hoff­nung, dass sie end­lich von den Ent­schei­dungs­trä­gern gehört wer­den. Mit uns gehen zeit­gleich die Städ­te Mün­chen und Nürn­berg auf die Straße.

Ulri­ke Petry-Färber
Dipl.-Sozialpädagogin (FH)
Forch­heim