Kulm­bach-Lich­ten­fel­ser Akti­ons­bünd­nis „Volks­be­geh­ren Arten­viel­falt“ zur Reform der gemein­sa­men Agrar­po­li­tik (GAP) der Euro­päi­schen Union

Die Ver­hand­lun­gen zur Reform der gemein­sa­men Agrar­po­li­tik (GAP) der Euro­päi­schen Uni­on für die Jah­re 2023–2026 tre­ten in Brüs­sel z.Z. auf der Stel­le – ein „Super-Tri­log“ soll­te den Durch­bruch brin­gen: Ver­tre­ter des Euro­päi­schen Rats, des Euro­pa­par­la­ments und der EU-Kom­mis­si­on haben Ende März getagt. Was das gebracht hat: Man sei einem Abkom­men zwar einen Schritt näher, für eine rasche Eini­gung brau­che es aber mehr Fle­xi­bi­li­tät des Rates, so die Pres­se­infor­ma­ti­on aus dem Euro­pa­par­la­ment. Auch in Ber­lin ver­han­del­ten die Bun­des­mi­ni­ste­ri­en für Umwelt und für Land­wirt­schaft lan­ge, bis sie sich gestern auf einen Kom­pro­miss zur natio­na­len Umset­zung der EU-Agrar­re­form einigten.

Aus die­sem Anlass ent­stand die fol­gen­de Stel­lung­nah­me des Akti­ons­bünd­nis „Volks­be­geh­ren Arten­viel­falt“ zur Agrarpolitik:

Mit­te Febru­ar haben Land­wir­tin­nen und Land­wir­te bun­des­weit gegen das neue Insek­ten­schutz­ge­setz mobil gemacht, auf das sich das Kabi­nett nach lan­gem Streit zwi­schen dem Bun­des­land­wirt­schafts– und dem Bun­des­um­welt­mi­ni­ste­ri­um geei­nigt hat. Auch der regio­na­le Bau­ern­ver­band hat pro­te­stiert, die regio­na­len Medi­en haben umfas­send berich­tet. Wir vom Bünd­nis Arten­viel­falt, Bay­ern möch­ten mit die­sem Bei­trag unse­re deut­lich abwei­chen­de Posi­ti­on darstellen.

Land­wirt­schaft geht alle an. Sie erzeugt die Nah­rung, von der wir leben. Wie unse­re Land­wirt­schaft arbei­tet und in wel­che Rich­tung sie poli­tisch gesteu­ert wird, hat sehr gro­ßen Ein­fluss auf die Kli­ma­po­li­tik, natio­nal und welt­weit. In Bay­ern nutzt die Land­wirt­schaft knapp die Hälf­te der Flä­che Bay­erns und prägt damit die Land­schaft ent­schei­dend mit. Sie beein­flusst die Qua­li­tät von Boden und Was­ser und den Lebens­raum von Tier- und Pflan­zen­ar­ten. Somit ist die gan­ze Gesell­schaft auf viel­fäl­ti­ge Wei­se betrof­fen und hat ein natür­li­ches Mit­spra­che­recht bei der Gestal­tung. Dies ergibt sich auch aus der Tat­sa­che, dass aktu­ell zwi­schen 40 und 60% der Ein­kom­men in der Land­wirt­schaft aus Prä­mi­en und Zah­lun­gen der EU sowie der Län­der stammen.

Der Ver­lust an Bio­di­ver­si­tät ist so dra­ma­tisch wie die Kli­ma­kri­se. Schlim­mer noch: Die bei­den Kri­sen bedin­gen sich gegen­sei­tig und kön­nen daher auch nur gemein­sam gelöst wer­den. Die Arten­viel­falt der Agrar­land­schaft nimmt seit Jahr­zehn­ten dra­stisch ab. Die Roten Listen und die dra­ma­ti­sche nega­ti­ve Bestands­ent­wick­lung vie­ler Vogel- und Insek­ten­ar­ten müs­sen als Not­si­gnal der Natur erkannt wer­den und die­sem Trend ent­ge­gen­zu­wir­ken muss ober­ste Prä­mis­se allen Han­delns werden.

Sub­ven­tio­nen in die fal­sche Richtung

Die bio­lo­gi­sche Viel­falt ist von zen­tra­ler Bedeu­tung für das Leben. Ihre fort­schrei­ten­de Gefähr­dung birgt völ­lig unkal­ku­lier­ba­re Risi­ken. Das haben zahl­rei­che, durch Mono­kul­tu­ren und unüber­leg­tes, rein am kurz­fri­sti­gen Ertrag ori­en­tier­tes Wirt­schaf­ten ver­ur­sach­te, Umwelt­ka­ta­stro­phen immer wie­der gezeigt.

Das aktu­el­le För­der­sy­stem für die Land­wirt­schaft zwingt vie­le Land­wir­tin­nen und Land­wir­te zur Fokus­sie­rung auf kurz­fri­stig maxi­ma­le Erträ­ge und zu immer inten­si­ve­rer Nut­zung von Böden und Tie­ren. Es wird plan­los die rei­ne Mas­se sub­ven­tio­niert. Die hohen Fol­ge­ko­sten für Was­ser­rei­ni­gung und Kli­ma­schutz trägt die All­ge­mein­heit. Daher ist eine Trend­wen­de in der Land­wirt­schaft unaus­weich­lich. Öko­lo­gi­scher Land­bau, und die Öko­lo­gi­sie­rung der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft sind das ein­zi­ge pro­ba­te Mit­tel, das poli­tisch jetzt aus unse­rer Sicht ange­sagt ist.

Ver­brau­cher­ver­hal­ten bestimmt mit. Poli­tik ent­schei­det über Förderkonditionen

Von all die­sen Zusam­men­hän­gen blei­ben wir alle als Ver­brau­cher natür­lich nicht unbe­rührt. Der Kampf um den letz­ten Cent, den der Liter Milch noch bil­li­ger wer­den muss. Immer neue Tiefst­prei­se für Fleisch, das unter – für Mensch und Tier – oft­mals wider­wär­ti­gen Bedin­gun­gen pro­du­ziert wird. Jede Frucht zu jeder Jah­res­zeit. Das alles ist absurd. Jeder Ein­zel­ne soll­te dar­über nach­den­ken, wenn es ans Ein­kau­fen geht.

Teil­wei­se sind die Verbraucher*Innen aber schon wei­ter, als die natio­na­le Pro­duk­ti­on. Aktu­ell wächst der Markt für Bio-Lebens­mit­tel schnel­ler als der Anbau, der Import-Anteil steigt also. Ein Grund mehr für vie­le Land­wir­tin­nen und Land­wir­te über die Umstel­lung auf Bio nach­zu­den­ken. Die Bereit­schaft ist hoch, laut Bau­ern­ver­band konn­ten sich 2019 über 18 % der kon­ven­tio­nel­len Betrie­be einen Umstieg kon­kret vor­stel­len. Und das obwohl die, von der Agrar­lob­by gesteu­er­te land­wirt­schaft­li­che Aus­bil­dung, natür­li­ches Wirt­schaf­ten eher ver­teu­felt als lehrt.

Zie­le erreich­bar machen

Ende 2020 wur­den erst 13% der land­wirt­schaft­li­chen Flä­che Bay­erns nach den Grund­sät­zen der bio­lo­gi­schen Land­wirt­schaft bewirt­schaf­tet. Für Bay­ern hat unser Akti­ons­bünd­nis für das Volks­be­geh­ren Arten­viel­falt durch­ge­setzt, dass das Ziel 30% bis 2030 im Natur­schutz­ge­setz fest­ge­schrie­ben ist. Eben­so ein Bio­top­ver­bund auf 15 % der Offen­land­flä­chen in Bayern.

Lei­der tut die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung noch zu wenig, um das eige­ne, ehr­gei­zi­ge Ziel zu errei­chen. Wir brau­chen geän­der­te För­der­richt­li­ni­en, völ­lig ande­re Anreiz­sy­ste­me und Sicher­heit für die Betrie­be, die umstel­len. Trotz fal­scher Vor­ga­ben aus Brüs­sel haben die Mit­glieds­staa­ten und auch die Bun­des­län­der genü­gend Spiel­räu­me, um in Rich­tung Bio zu steu­ern und zu investieren.

Den Land­wir­tin­nen und Land­wir­ten gebührt hohe Aner­ken­nung für ihre täg­li­che Arbeit. Die Rah­men­be­din­gun­gen für die­se Arbeit dür­fen nicht erschwert, son­dern müs­sen opti­miert wer­den. Es gilt bäu­er­li­che Struk­tu­ren zu stär­ken, regio­na­le Wert­schöp­fungs­ket­ten und soli­da­ri­sche Syste­me zu för­dern. Die Export­ori­en­tie­rung der Land­wirt­schaft zula­sten ande­rer Regio­nen muss abge­baut wer­den. Ziel ist, dass es für Bäue­rin­nen und Bau­ern eine ech­te Alter­na­ti­ve zum System „Wach­se oder Wei­che“ gibt. Die Neu­aus­rich­tung zur umfas­sen­den Öko­lo­gi­sie­rung ist aber zwingend!

Für neue Reform­an­sät­ze müs­sen sich die Poli­tik und die Land­wirt­schafts­ver­bän­de öff­nen. Auch die Land­wirt­schaft muss, wie vie­le ande­re Pro­duk­ti­ons­be­rei­che, neue Wege gehen. wenn die Gesell­schaft Natur- und Kli­ma­schutz wirk­sam umset­zen will. Land­wir­tin­nen und Land­wir­te pro­du­zie­ren nicht nur Pro­duk­te, son­dern auch die Land­schaft, in der wir leben. „Bio­di­ver­si­tät“ muss ihnen also als Lei­stung gleich­wer­tig zur Pro­duk­ti­on aner­kannt und ver­gü­tet werden.

Fak­ten­check

Die mei­sten Vogel­ar­ten der Kul­tur­land­schaft wie Braun­kehl­chen, Feld­ler­che, Grau­am­mer, Hei­de­ler­che, Kie­bitz, Neun­tö­ter, Reb­huhn, Rot­mi­lan und Stein­kauz ste­hen in Bay­ern auf der Roten Liste, eini­ge sind vom Aus­ster­ben bedroht. Auch Feld­ha­se, Feld­ham­ster, Schmet­ter­lin­ge, ja selbst der Feld-Gras­hüp­fer sind zu sel­te­nen Tie­ren der Feld­flur gewor­den. Den Acker­wild­kräu­tern geht es nicht besser.

Ein Haupt­grund für die­se bedroh­li­che Ent­wick­lung liegt in der Ver­ar­mung der Land­schaft an Bio­top­struk­tu­ren wie Feld­rai­nen, Ran­ken, Weg­säu­men, Brach­einseln und Hecken sowie die immer enge­ren Frucht­fol­gen. Für die Brut­vö­gel feuch­ter Wie­sen und Moo­re ist die bereits Jahr­hun­der­te andau­ern­de Trocken­le­gung der Land­schaft fatal. Vie­len Arten macht auch die star­ke Dün­gung von Äckern und Wie­sen zu schaffen:

Arten- und blü­ten­rei­che Wie­sen kön­nen sich nur auf mage­ren bis mäßig nähr­stoff­rei­chen Stand­or­ten ent­wickeln. In Getrei­de­äckern hin­ge­gen wach­sen heut­zu­ta­ge die Bestän­de so dicht, dass sie für die am Boden leben­den Vögel kaum mehr nutz­bar sind. Und schließ­lich führt die flä­chi­ge Ver­wen­dung von Her­bi­zi­den und Pesti­zi­den dazu, dass es nahe­zu kei­ne Acker­wild­kräu­ter mehr gibt, wes­halb die­se zu den am mei­sten gefähr­de­ten Pflan­zen Bay­erns gehören.

Ent­spre­chend hat auch die Men­ge an Insek­ten, Spin­nen und ande­ren Klein­tie­ren in den letz­ten 40 Jah­ren dra­stisch abge­nom­men (um durch­schnitt­lich 75 Pro­zent!). Äußerst pro­ble­ma­tisch ist auch der Umbruch von Grün­land in Acker und die ver­brei­te­te Acker­nut­zung auf ehe­ma­li­gen Nie­der­moor­bö­den: sie füh­ren zur Frei­set­zung von geschmack­li­chen Gasen in gro­ßen Mengen.

Die ein­sei­ti­ge Aus­rich­tung der Pro­duk­ti­on auf Maxi­mal­erträ­ge mit immer wei­te­rer Inten­si­vie­rung schä­digt die lebens­wich­ti­gen Res­sour­cen Was­ser, Boden, Luft und Arten­viel­falt. Die hohen Fol­ge­ko­sten für Was­ser­rei­ni­gung und Kli­ma­schutz trägt die All­ge­mein­heit. Daher ist eine Trend­wen­de in der Land­wirt­schaft unausweichlich.