Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Echt­zeit-Ein­blicke in das Innen­le­ben von Pflanzen

Campusrondell der Universität Bayreuth
Campusrondell der Universität Bayreuth. Foto: © UBT

Neu­er Bio­sen­sor macht Steue­rungs­hor­mon Auxin in Zel­len sichtbar

Das Hor­mon Auxin hat eine zen­tra­le Bedeu­tung für die Ent­wick­lung von Pflan­zen. Wissenschaftler*innen an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und am Max-Planck-Insti­tut für Ent­wick­lungs­bio­lo­gie in Tübin­gen haben jetzt einen neu­ar­ti­gen Sen­sor ent­wickelt, der die räum­li­che Ver­tei­lung von Auxin in den Zel­len leben­der Pflan­zen in Echt­zeit sicht­bar macht. Der Sen­sor eröff­net der For­schung völ­lig neue Ein­sich­ten in das Innen­le­ben von Pflan­zen. Auch Ein­flüs­se wech­seln­der Umwelt­be­din­gun­gen auf das Wachs­tum kön­nen jetzt zeit­nah auf­ge­spürt wer­den. In der Zeit­schrift Natu­re stellt das Team sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se vor.

Keimling der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana). Die Lupe vergrößert die Wurzelspitze: Die Zellkerne sind mit zunehmender Auxin-Menge von blau über grün und gelb bis rot gefärbt. Das meiste Auxin befindet sich dort, wo die Neigung (Gravitationsvektor) am größten ist. Unten: die chemische Struktur von Auxin. Grafik: S. Shanmugaratnam, A.C. Stiel, M. Kolb.

Keim­ling der Acker-Schmal­wand (Ara­bi­d­op­sis tha­lia­na). Die Lupe ver­grö­ßert die Wur­zel­spit­ze: Die Zell­ker­ne sind mit zuneh­men­der Auxin-Men­ge von blau über grün und gelb bis rot gefärbt. Das mei­ste Auxin befin­det sich dort, wo die Nei­gung (Gra­vi­ta­ti­ons­vek­tor) am größ­ten ist. Unten: die che­mi­sche Struk­tur von Auxin. Gra­fik: S. Shan­mu­ga­rat­nam, A.C. Stiel, M. Kolb.

Vor fast 100 Jah­ren wur­den die Wir­kun­gen des Pflan­zen­hor­mons Auxin erst­mals wis­sen­schaft­lich beschrie­ben. Heu­te weiß man, dass Auxin unzäh­li­ge Pro­zes­se in pflanz­li­chen Zel­len steu­ert – sei es bei der Ent­wick­lung des Embry­os im Samen, der Aus­bil­dung des Wur­zel­ge­flechts oder bei der Aus­rich­tung des Wachs­tums am ein­fal­len­den Son­nen­licht. In allen Fäl­len hat das Hor­mon die Funk­ti­on, die Ant­wor­ten der Pflan­ze auf äuße­re Rei­ze zu koor­di­nie­ren. Dafür muss es inner­halb des Zell­ge­we­bes immer dort zur Stel­le sein, wo die Ant­wort auf einen äuße­ren Reiz aus­ge­löst wer­den muss. Oft geschieht es, dass Auxin in kür­ze­ster Zeit an ganz unter­schied­li­chen Stel­len im Zell­ge­we­be benö­tigt wird. Dann kommt es zu schnel­len räum­li­chen Umver­tei­lun­gen. Mit dem neu­en Bio­sen­sor, kurz Aux­Sen genannt, lässt sich die Dyna­mik die­ser Pro­zes­se erst­mals in Echt­zeit beob­ach­ten. Licht­si­gna­le zei­gen an, wo sich das Auxin im Zell­ge­we­be befin­det. Das Beson­de­re an die­sem Sen­sor ist: Es han­delt sich nicht um ein tech­ni­sches Gerät, das in die Pflan­zen ein­ge­führt wer­den muss, son­dern um ein künst­li­ches Pro­te­in, das die Pflan­zen selbst produzieren.

Die Anwen­dung des Bio­sen­sors hat bereits zu über­ra­schen­den Erkennt­nis­sen geführt. Ein Bei­spiel ist die schnel­le Umver­tei­lung des Auxins, wenn eine Pflan­ze gedreht wird. Zeigt die Wur­zel­spit­ze nicht mehr nach unten, son­dern schräg nach oben, sam­meln sich die für das Wur­zel­wachs­tum zustän­di­gen Auxin-Mole­kü­le bereits nach einer Minu­te auf der neu­en Unter­sei­te der Wur­zel­spit­ze. Und nach einer Rück­dre­hung ist die alte Ver­tei­lung von Auxin eben­falls schon nach einer Minu­te wiederhergestellt.

Pro­te­in­bio­che­mie und Pflan­zen­bio­lo­gie im Verbund

Die Ent­wick­lung des Bio­sen­sors ist das Ergeb­nis einer lang­jäh­ri­gen inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit: Ein Team von Prof. Dr. Bir­te Höcker, Pro­fes­so­rin für Pro­te­in-Design an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und ein Team von Prof. Dr. Gerd Jür­gens am MPI für Ent­wick­lungs­bio­lo­gie haben ihr Wis­sen und ihre lang­jäh­ri­gen Erfah­run­gen mit­ein­an­der ver­netzt. „Es ist zu erwar­ten, dass der neue Bio­sen­sor in den näch­sten Jah­ren noch vie­le wei­te­re uner­war­te­te Ein­blicke in das Innen­le­ben der Pflan­zen und ihre Reak­ti­on auf äuße­re Rei­ze zuta­ge för­dern wird. Die Ent­wick­lung des Sen­sors war ein lang­jäh­ri­ger Pro­zess, in dem wir grund­le­gen­de Erkennt­nis­se dar­über gewon­nen haben, wie sich die spe­zi­fi­sche Bin­dung von klei­nen Mole­kü­len in Pro­te­inen gezielt ver­än­dern las­sen“, sagt Prof. Dr. Bir­te Höcker.

„Das Inter­es­se an dem neu­en Sen­sor ist schon jetzt sehr groß, und es ist damit zu rech­nen, dass in den näch­sten Jah­ren opti­mier­te Vari­an­ten von Aux­Sen ent­wickelt wer­den, um die viel­fäl­ti­gen Auxin-regu­lier­ten Pro­zes­se in Pflan­zen noch bes­ser ana­ly­sie­ren zu kön­nen. Mit unse­rer neu­en Ver­öf­fent­li­chung in Natu­re wol­len wir die wis­sen­schaft­li­che Com­mu­ni­ty dazu anre­gen, die For­schung wei­ter in die­se Rich­tung vor­an­zu­trei­ben. Unse­re bis­he­ri­gen Ergeb­nis­se sind ein Bei­spiel dafür, wie frucht­bar eine inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit auf die­sem Gebiet sein kann“, erklärt Prof. Dr. Gerd Jür­gens vom Max-Planck-Insti­tut für Ent­wick­lungs­bio­lo­gie in Tübingen.

Vor­zü­ge des Bio­sen­sors: Hohe Signal­qua­li­tät und opti­ma­le Bin­dungs­stär­ke an Auxin

Die Ent­wick­lung des neu­en Bio­sen­sors begann mit einem Pro­te­in aus dem Bak­te­ri­um E. coli, das an die Ami­no­säu­re Tryp­top­han und deut­lich schlech­ter an das che­misch ver­wand­te Auxin bin­det. Die­ses Pro­te­in wur­de mit zwei Pro­te­inen gekop­pelt, die fluo­res­zie­ren, wenn sie mit Licht einer bestimm­ten Wel­len­län­ge ange­regt wer­den. Falls sich die­se Part­ner-Pro­te­ine sehr nahe kom­men, ver­stärkt sich ihre Fluo­res­zenz erheb­lich. Es ent­steht dann ein Fluo­res­zenz-Reso­nanz-Ener­gie-Trans­fer (FRET). Ent­schei­dend war nun der näch­ste Schritt: Das Aus­gangs­pro­te­in soll­te gen­tech­nisch so ver­än­dert wer­den, dass es bes­ser an Auxin und weni­ger gut an Tryp­top­han bin­det. Zugleich soll­te der FRET-Effekt der Part­ner-Mole­kü­le immer dann und nur dann auf­tre­ten, wenn das Pro­te­in an Auxin bin­det. Mit die­sem Ziel haben die Forscher*innen in Bay­reuth und Tübin­gen etwa 2.000 Vari­an­ten des Pro­te­ins erzeugt und gete­stet, bis schließ­lich eine Lösung gefun­den war, die alle Anfor­de­run­gen erfüll­te. Damit war der Bio­sen­sor Aux­Sen gebo­ren: Star­ke Fluo­res­zenz-Signa­le zei­gen an, an wel­chen Stel­len im Zell­ge­we­be sich das lebens­wich­ti­ge Hor­mon befindet.

Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung bestand nun dar­in, Pflan­zen in die Lage zu ver­set­zen, Aux­Sen selbst zu pro­du­zie­ren. Dabei soll­te einer­seits gewähr­lei­stet sein, dass Aux­Sen in mög­lichst allen Zel­len die vor­han­de­nen Auxin-Mole­kü­le bin­det. Denn nur so kann die räum­li­che Ver­tei­lung des Auxins in der Zel­le voll­stän­dig und mit hoher Signal­qua­li­tät abge­bil­det wer­den. Ande­rer­seits aber durf­ten die Auxin-Mole­kü­le durch die Bin­dung an Aux­Sen nicht auf Dau­er an der Erfül­lung ihrer genui­nen Auf­ga­ben im Pflan­zen­or­ga­nis­mus gehin­dert wer­den. Den bei­den For­schungs­teams gelang eine Kom­pro­miss­lö­sung: Pflan­zen wur­den gen­tech­nisch so ver­än­dert, dass sie in ihrem Zell­ge­we­be flä­chen­deckend eine gro­ße Men­ge von Aux­Sen erzeu­gen kön­nen. Aber dies geschieht nur dann, wenn sie durch eine spe­zi­el­le Sub­stanz dazu ange­regt wer­den – und dann auch nur für kur­ze Zeit. So lie­fert der Bio­sen­sor prä­zi­se Moment­auf­nah­men von der Auxin-Ver­tei­lung in den Zel­len, ohne die von Auxin gesteu­er­ten Pro­zes­se dau­er­haft zu beeinträchtigen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Ole Herud-Sik­imić et al.: A bio­sen­sor for the direct visua­lizati­on of auxin. Natu­re (2021), DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-021–03425‑2