Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Kli­ma­be­ding­tes Arten­ster­ben mög­li­cher­wei­se durch neu ent­deck­ten Effekt abgeschwächt“

Grundlage für Untersuchungen über das Zusammenwirken lang- und kurzzeitiger Temperaturänderungen im Verlauf der Erdgeschichte waren die fossilen Überreste bereits ausgestorbener Lebewesen (hier: Moostierchen und Fragmente von Seelilien). Foto: Axel Munnecke.
Grundlage für Untersuchungen über das Zusammenwirken lang- und kurzzeitiger Temperaturänderungen im Verlauf der Erdgeschichte waren die fossilen Überreste bereits ausgestorbener Lebewesen (hier: Moostierchen und Fragmente von Seelilien). Foto: Axel Munnecke.

„Kli­ma­än­de­run­gen, die sich in kur­zen Zeit­räu­men ereig­nen, beein­flus­sen die Bio­di­ver­si­tät. Für eine rea­li­sti­sche Ein­schät­zung die­ser Fol­gen ist es erfor­der­lich, auch frü­he­re, weit in die Erd­ge­schich­te zurück­rei­chen­de Tem­pe­ra­tur­ent­wick­lun­gen ein­zu­be­zie­hen. Dies zei­gen For­scher der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und der Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg in einem Bei­trag für „Natu­re Eco­lo­gy and Evo­lu­ti­on“. Das künf­ti­ge kli­ma­be­ding­te Arten­ster­ben könn­te dem­nach schwä­cher aus­fal­len, als es Pro­gno­sen befürch­ten las­sen, die sich nur auf den aktu­el­len Trend der Erd­er­wär­mung stüt­zen. Ent­war­nung geben die For­scher nicht: Der­zeit wer­den die Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels durch Ein­grif­fe des Men­schen noch verstärkt.

Prof. Dr. Manuel Steinbauer. Foto: privat

Prof. Dr. Manu­el Stein­bau­er. Foto: privat

Das For­scher­team unter der Lei­tung des Bay­reu­ther Öko­lo­gen Prof. Dr. Manu­el Stein­bau­er hat anhand von paläo­bio­lo­gi­schen und kli­ma­wis­sen­schaft­li­chen Model­len unter­sucht, wie sich eine über lan­ge Zeit­räu­me erstrecken­de Tem­pe­ra­tur­ent­wick­lung und eine dar­an anschlie­ßen­de kurz­zei­ti­ge Tem­pe­ra­tur­än­de­rung zusam­men auf das Arten­ster­ben aus­wir­ken. Hier­für wur­den For­schungs­da­ten zu acht ver­schie­de­nen Grup­pen von Mee­res- und Land­tie­ren zusam­men­ge­führt und ana­ly­siert. Ins­ge­samt gehö­ren die­sen Grup­pen rund 3.200 Gat­tun­gen und mehr als 46.000 Arten an. Eines der zen­tra­len Ergeb­nis­se der Stu­die lau­tet: Wie sich kurz­zei­ti­ge Tem­pe­ra­tur­än­de­run­gen auf die Arten­viel­falt aus­wir­ken, hängt wesent­lich vom erd- und kli­ma­ge­schicht­li­chen Kon­text ab. Wird eine lang­an­hal­ten­de Abküh­lung durch eine anschlie­ßen­de kurz­zei­ti­ge Abküh­lung ver­stärkt, erhöht sich das kli­ma­be­ding­te Aus­ster­be­ri­si­ko der unter­such­ten Gat­tun­gen um bis zu 40 Pro­zent. Die­ses Risi­ko sinkt jedoch, falls auf eine Lang­zeit­ab­küh­lung der Erde, wie sie vor 40 Mil­lio­nen Jah­ren bis hin zum Indu­strie­zeit­al­ter statt­ge­fun­den hat, eine kurz­zei­ti­ge Erwär­mung folgt.

Gregor Mathes M.Sc., Erstautor der Studie. Foto: Anna Mathes

Gre­gor Mathes M.Sc., Erst­au­tor der Stu­die. Foto: Anna Mathes

Die For­scher erklä­ren die­sen von ihnen ent­deck­ten Effekt damit, dass jede Gat­tung im Ver­lauf ihrer Evo­lu­ti­on Anpas­sun­gen an bestimm­te kli­ma­ti­sche Gege­ben­hei­ten ent­wickelt. Die­se Anpas­sun­gen behält sie über einen Zeit­raum von Hun­dert­tau­sen­den oder Mil­lio­nen von Jah­ren bei. Eine lang­zeit­li­che Abküh­lung ent­fernt die Gat­tung daher immer wei­ter von den für sie gün­sti­gen Lebens­be­din­gun­gen und lässt das Aus­ster­be­ri­si­ko stei­gen. Folgt jetzt eine kurz­zei­ti­ge Erwär­mung, nähert sich der Lebens­raum der Gat­tung wie­der dem bevor­zug­ten Kli­ma an. „Noch bedarf es wei­te­rer Stu­di­en, um die Ergeb­nis­se unse­rer jetzt ver­öf­fent­lich­ten Arbei­ten auf den aktu­el­len Kli­ma­wan­del zu über­tra­gen. Es erscheint aber sehr gut mög­lich, dass der mit dem Indu­strie­zeit­al­ter begin­nen­de, vom Men­schen ver­ur­sach­te Trend der Erd­er­wär­mung die glo­ba­le Bio­di­ver­si­tät nicht so stark gefähr­det, wie dies in eini­gen Pro­gno­sen ange­nom­men wird“, erklärt Gre­gor Mathes M.Sc., Erst­au­tor der Stu­die, der zur­zeit an den Uni­ver­si­tä­ten Bay­reuth und Erlan­gen-Nürn­berg eine paläo­bio­lo­gi­sche Dok­tor­ar­beit verfasst.

„In den kom­men­den zwei Jah­ren wol­len wir noch genau­er unter­su­chen, inwie­fern der­zei­ti­ge Pro­gno­sen zum kli­ma­be­ding­ten Arten­ver­lust ange­passt wer­den soll­ten, weil sie den erd- und kli­ma­ge­schicht­li­chen Kon­text aus­blen­den. In der aktu­el­len Bio­di­ver­si­täts­kri­se kommt hin­zu, dass der Kli­ma­wan­del nur eine von vie­len Ursa­chen des Arten­ster­bens ist. Wir Men­schen grei­fen so umfas­send in die Natur ein, dass dadurch eine Viel­zahl von Arten gefähr­det oder bereits für immer von unse­rem Pla­ne­ten ver­schwun­den ist“, fügt Prof. Dr. Manu­el Stein­bau­er vom Bay­reu­ther Zen­trum für Öko­lo­gie und Umwelt­for­schung (Bay­CE­ER) hinzu.

Das For­schungs­team aus Bay­reuth und Erlan­gen ist Teil der For­schungs­grup­pe TER­SA­NE („Tem­pe­ra­tu­re-Rela­ted Stres­ses as a Uni­fy­ing Prin­ci­ple in Anci­ent Extinc­tions“), in der Wissenschaftler*innen aus ganz Deutsch­land mit Hil­fe von Fos­si­li­en das kli­ma­be­ding­te Aus­ster­ben erforschen.

Ver­öf­fent­li­chung:
Gre­gor H. Mathes, Jero­en van Dijk, Wolf­gang Kies­s­ling, Manu­el J. Stein­bau­er: Extinc­tion risk con­trol­led by inter­ac­tion of long-term and short-term cli­ma­te chan­ge. Natu­re Eco­lo­gy and Evo­lu­ti­on (2021), DOI: 10.1038/s41559-020–01377‑w.

For­schungs­för­de­rung:
Die For­schungs­ar­bei­ten, die zu der jetzt erschie­ne­nen Stu­die geführt haben, wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft inner­halb der For­schungs­grup­pe TER­SA­NE aus dem Pro­jekt „Past­Key“ und vom Euro­päi­schen For­schungs­rat (ERC) aus dem Pro­jekt „Humans on Pla­net Earth (HOPE)“ gefördert.