Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 4

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Schneck­bar

Am näch­sten Schul­tag merkt Jakob, dass er mit dem Sobie­gal­la aus der ersten Bank­rei­he den glei­chen Nach­hau­se­weg hat. Über die Moh­ren­stra­ße. Sie ver­tra­gen sich gleich von Anfang an, weil der Sobie­gal­la auf der Moh­ren­brücke beim Fluss­spucken mit­macht und weil er im Spucken ziem­lich gut ist. Auch er biegt mit ihm immer in die Rast­stra­ße ein, ver­ab­schie­det sich aber gleich an der ersten Querstraße.

Er hat also schon einen Bekann­ten, der ganz in sei­ner Nähe wohnt. Der Sobie­gal­la muss ein ech­ter Cobur­ger sein, weil sei­ne Schwe­ster bei den Amis arbei­tet. Der erzählt immer etwas von einer Schneck­bar in der Spi­tal­gas­se. Da wür­de sie den Amis Schnaps ein­schen­ken. Heu­te Nach­mit­tag müss­te er sowie­so dahin.

Ihr eine fri­sche Schür­ze brin­gen. Ob Jakob mit­geht. Der fin­det es eklig, Schnecken zu essen. Will aber schon mal sehen, wie die das machen, die Amis. Bis heu­te ist er nur zwei­mal in der Spi­tal­gas­se gewe­sen. Wie sie den Hand­wa­gen mit den Kof­fern vom Flücht­lings­la­ger bis zur Rast­stra­ße gezo­gen hatten.

Damals hat­ten sie sich kaum nach links oder rechts zu schau­en getraut. Wegen dem ärm­li­chen Gepäck.

Jetzt staunt er zum ersten Mal über die vie­len unzer­stört geblie­be­nen Geschäfts­häu­ser. Der Sobie­gal­la deu­tet auf das Haus, in dem sei­ne Schwe­ster arbei­tet. Auf den ersten Blick sieht Jakob, dass die Amis das Wort Schnecke ganz anders schrei­ben. Der Sobie­gal­la hat die Schür­ze in sei­nem Netz. Er stößt die Pen­del­tür auf, ver­schwin­det im Spalt. Ein Schwall von lau­ter Trom­pe­ten­mu­sik quillt her­aus auf die Spi­tal­gas­se. Dann sieht er durch die gro­ße Schei­be ein lächeln­des Gesicht. Ein ein­la­den­der Winkearm.

Der Sobie­gal­la schaut durch den Spalt der Pendeltür.

Los rein!

Jakob betritt das frem­de Ami-Reich. Gleich neben der Pen­del­tür sit­zen die Sol­da­ten auf hohen Hockern mit Fuß­stüt­zen, nip­pen an Glä­sern mit rotem, grü­nen und blau­en Zeug. Ihre Käp­pis lugen den mei­sten zusam­men­ge­fal­tet aus den Schul­ter­klap­pen her­vor. Man­che strei­chen sich mit der Hand über ihren Bürstenschnitt.

Die Schwe­ster vom Sobie­gal­la lässt sich die Schlei­fe ihrer alten Schür­ze von einem Ami auf­zie­hen. Sie quietscht dabei.

Dann legt sie sich die fri­sche Schür­ze um. Alle Bedie­nun­gen haben rosa Schlei­fen im Haar, tra­gen hell­blaue Kit­tel. Man­che unter­hal­ten sich schon mit den Sol­da­ten, lachen, wenn auch die lachen.

Las­sen sich ihre Hand hal­ten, wenn sie gera­de ein­mal nichts zu ser­vie­ren haben. Im hin­te­ren, dunk­len Teil ein gro­ßes Radio mit bun­ten Lämp­chen. Ein Ami steht auf und wirft ein Geld­stück in den Appa­rat. Die Musik geht gleich wei­ter. Jakob ver­sucht immer noch, irgend­wo die Schnecken zu fin­den, fragt schließ­lich. Der Sobie­gal­la meint, das hei­ße bloß so, habe mit Schnecken nichts zu tun.

Gebannt ver­folgt er den Strom des Ziga­ret­ten­rauchs, der unter den oran­ge­far­be­nen Decken­lam­pen vor­bei streicht und im Ven­ti­la­tor auf die Spi­tal­gas­se hin­aus­ge­quirlt wird. Er über­legt sich, was er tun müss­te, soll­te ihn einer der Amis anspre­chen. Direkt Angst hat er nicht davor. Mit rus­si­schen Sol­da­ten hat­te er so etwas ja schon ein­mal erlebt. Es war nichts Schlim­mes passiert.

Er hat­te damals immer nur gelä­chelt und dabei die Schul­tern gehoben.

Das, glaubt er, ist ein gutes Mit­tel, damit Sol­da­ten einem nichts Böses tun. Aber nie­mand fragt, beach­tet oder bedroht ihn hier.

Sie gehen wie­der durch die Spi­tal­gas­se zurück. Jakob weiß nicht, ob es lan­ge oder kurz gedau­ert hat, dass er in der Schneck­bar gewe­sen war.

Der Sobie­gal­la biegt in sei­ne Kreuz­wehr­stra­ße ab und meint noch ein­mal: „Also, das heißt bloß so. Mit Schnecken hat das nix zu tun.“


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den von Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839