Schwar­zer Stick­stoff: Bay­reu­ther For­scher ent­decken neu­es Hoch­druck-Mate­ri­al und lösen ein Rät­sel des Periodensystems

Symbolbild Bildung
Dr. Dominique Laniel, Humboldt-Forschungsstipendiat am Bayerischen Geoinstitut (BGI). Foto: Christian Wißler.

Dr. Domi­ni­que Lani­el, Hum­boldt-For­schungs­sti­pen­di­at am Baye­ri­schen Geo­in­sti­tut (BGI). Foto: Chri­sti­an Wißler.

Im Peri­oden­sy­stem gilt für Koh­len­stoff, Sau­er­stoff und ande­re leich­te Ele­men­te eine Gol­de­ne Regel: Unter hohen Drücken besit­zen sie ähn­li­che Struk­tu­ren wie schwe­re­re Ele­men­te in der glei­chen Ele­ment­grup­pe. Nur Stick­stoff schien bis­her aus der Rei­he zu tan­zen. Jetzt aber haben Hoch­druck-For­scher der Uni­ver­si­tät Bay­reuth die­sen Son­der­sta­tus wider­legt. Sie haben aus Stick­stoff eine Kri­stall­struk­tur erzeugt, die unter Nor­mal­be­din­gun­gen bei Schwar­zem Phos­phor und Arsen vor­kommt. Die Struk­tur ent­hält zwei­di­men­sio­na­le ato­ma­re Schich­ten und ist inso­fern von gro­ßem Inter­es­se für die High­tech-Elek­tro­nik. In den „Phy­si­cal Review Let­ters“ stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre Ent­deckung vor, die sie „Schwar­zen Stick­stoff“ genannt haben.

Stick­stoff – eine Aus­nah­me im Periodensystem?

Ord­net man die che­mi­schen Ele­men­te auf­stei­gend nach der Anzahl ihrer Pro­to­nen und ach­tet dabei auf ihre Eigen­schaf­ten, dann fällt auf, dass bestimm­te Eigen­schaf­ten in grö­ße­ren Abstän­den („Peri­oden“) wie­der­keh­ren. Das Peri­oden­sy­stem der Ele­men­te macht die­se Wie­der­ho­lun­gen sicht­bar: Ele­men­te mit ähn­li­chen Eigen­schaf­ten sind jeweils in der glei­chen Säu­le unter­ein­an­der plat­ziert und bil­den so eine Ele­ment­grup­pe. Am Kopf einer Säu­le steht das­je­ni­ge Ele­ment, das im Ver­gleich mit den ande­ren Grup­pen­mit­glie­dern die wenig­sten Pro­to­nen und das gering­ste Gewicht hat. Stick­stoff führt die Ele­ment­grup­pe 15 an, galt aber bis­her als „Schwar­zes Schaf“ die­ser Grup­pe. Der Grund: Stick­stoff zeig­te bei frü­he­ren Hoch­druck-Expe­ri­men­ten kei­ne Ähn­lich­kei­ten mit Struk­tu­ren, wel­che die schwe­re­ren Ele­men­te die­ser Grup­pe – ins­be­son­de­re Phos­phor, Arsen und Anti­mon – unter Nor­mal­be­din­gun­gen auf­wei­sen. Genau sol­che Ähn­lich­kei­ten konn­ten bei hohen Drücken in den benach­bar­ten, von Koh­len­stoff und Sau­er­stoff ange­führ­ten Ele­ment­grup­pen beob­ach­tet werden.

Schwar­zer Stick­stoff – ein Hoch­druck-Mate­ri­al mit tech­no­lo­gisch attrak­ti­ven Eigenschaften

Tat­säch­lich stellt Stick­stoff jedoch kei­ne Aus­nah­me dar. Dies konn­ten die For­scher am Baye­ri­schen Geo­in­sti­tut (BGI) und am Labor für Kri­stal­lo­gra­phie der Uni­ver­si­tät Bay­reuth jetzt mit Hil­fe eines von ihnen kürz­lich ent­wickel­ten Mess­ver­fah­rens nach­wei­sen. Unter der Lei­tung von Dr. Domi­ni­que Lani­el haben sie eine unge­wöhn­li­che Ent­deckung gemacht: Bei sehr hohen Drücken und Tem­pe­ra­tu­ren bil­den Stick­stoff­ato­me eine Kri­stall­struk­tur, die für Schwar­zen Phos­phor – eine spe­zi­el­le Modi­fi­ka­ti­on des Phos­phors – cha­rak­te­ri­stisch ist und eben­so bei Arsen und Anti­mon vor­kommt. Die­se Struk­tur setzt sich aus zwei­di­men­sio­na­len Schich­ten zusam­men, in denen Stick­stoff-Ato­me nach einem ein­heit­li­chen Zick-Zack-Muster ver­netzt sind. Die­se 2D-Schich­ten ähneln hin­sicht­lich ihrer elek­tro­ni­schen Eigen­schaf­ten dem Gra­phen, das ein star­kes Poten­zi­al für High­tech-Anwen­dun­gen hat. Daher wird zur­zeit unter­sucht, ob Schwar­zer Phos­phor künf­tig als Mate­ri­al für hoch­ef­fi­zi­en­te Tran­si­sto­ren, Halb­lei­ter und ande­re elek­tro­ni­sche Bau­tei­le infra­ge kommt.

Für die von ihnen ent­deck­te Stick­stoff-Modi­fi­ka­ti­on schla­gen die Bay­reu­ther For­scher eine ana­lo­ge Bezeich­nung vor: Schwar­zer Stick­stoff. Eini­ge tech­no­lo­gisch attrak­ti­ve Eigen­schaf­ten, ins­be­son­de­re deren Rich­tungs­ab­hän­gig­keit (Aniso­tro­pie), sind hier noch stär­ker aus­ge­prägt als beim Schwar­zen Phos­phor. Aller­dings kann der Schwar­ze Stick­stoff nur dank der außer­ge­wöhn­li­chen Druck- und Tem­pe­ra­tur­ver­hält­nis­se exi­stie­ren, unter denen er im Labor ent­steht. Unter Nor­mal­be­din­gun­gen löst er sich sofort auf. „Wegen die­ser Insta­bi­li­tät sind indu­stri­el­le Anwen­dun­gen der­zeit aus­ge­schlos­sen. Den­noch bleibt Stick­stoff ein für die Mate­ri­al­for­schung hoch­in­ter­es­san­tes Ele­ment. Unse­re Stu­die zeigt bei­spiel­haft: Hohe Drücke und Tem­pe­ra­tu­ren kön­nen Mate­ri­al­struk­tu­ren und ‑eigen­schaf­ten her­vor­brin­gen, von denen die For­schung zuvor nicht wuss­te, ob es sie über­haupt geben kann“, sagt Laniel.

Struk­tur­auf­klä­rung mit Teilchenbeschleunigern

Es bedurf­te gera­de­zu extre­mer Bedin­gun­gen, um Schwar­zen Stick­stoff zu erzeu­gen: Der Kom­pres­si­ons­druck war 1,4 Mil­lio­nen mal höher als der Druck der Erd­at­mo­sphä­re, die Tem­pe­ra­tur über­stieg 4.000 Grad Cel­si­us. Um her­aus­zu­fin­den, wie sich die Ato­me unter die­sen Ver­hält­nis­sen anord­nen, haben die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler mit dem Deut­schen Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY) in Ham­burg und der Advan­ced Pho­ton Source (APS) am Argon­ne Natio­nal Labo­ra­to­ry in den USA koope­riert. Hier tra­fen durch Teil­chen­be­schleu­ni­gung erzeug­te Rönt­gen­strah­len auf die Mate­ri­al­pro­ben. “Wir waren über­rascht und fas­zi­niert, als die Mess­da­ten uns plötz­lich die für Schwar­zen Phos­phor cha­rak­te­ri­sti­sche Struk­tur lie­fer­ten. Wei­te­re Expe­ri­men­te und Berech­nun­gen haben die­sen Befund mitt­ler­wei­le bestä­tigt. Damit steht zwei­fels­frei fest: Stick­stoff ist kein Aus­nah­me-Ele­ment, son­dern folgt eben­so wie Koh­len­stoff und Sau­er­stoff der glei­chen Gol­de­nen Regel des Peri­oden­sy­stems”, sagt Lani­el, der 2019 als For­schungs­sti­pen­di­at der Alex­an­der von Hum­boldt-Stif­tung an die Uni­ver­si­tät Bay­reuth gekom­men ist.

Inter­na­tio­na­le Kooperationen:

Als For­schungs­part­ner der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben neben dem Deut­schen Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY) in Ham­burg und der Advan­ced Pho­ton Source (APS) in Illinois/​USA auch die Goe­the Uni­ver­si­tät Frank­furt am Main und das inter­na­tio­na­le Soft­ware-Unter­neh­men BIO­VIA an der neu­en Stu­die mitgewirkt.

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG), dem Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) und der Alex­an­der von Hum­boldt-Stif­tung gefördert.

Ver­öf­fent­li­chung:

Domi­ni­que Lani­el et al.: High-Pres­su­re Poly­me­ric Nitro­gen Allo­tro­pe with the Black Phos­pho­rus Struc­tu­re. Phy­si­cal Review Let­ters (2020), DOI: https://​doi​.org/​1​0​.​1​1​0​3​/​P​h​y​s​R​e​v​L​e​t​t​.​1​2​4​.​2​1​6​001