Leser­brief: „Das Span­nungs­ver­hält­nis von Mei­nungs­frei­heit und Menschenrechten“

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„Töte(t) Bill!“, for­dert laut einer Abbil­dung im Frän­ki­schen Tag (Aus­ga­be vom 27. Mai 2020) ein Demon­strant auf Eng­lisch. Er betei­ligt sich wohl an einer Kund­ge­bung gegen die Coro­na-Maß­nah­men der Staats- sowie der Bun­des­re­gie­rung. Sei­ne For­de­rung kann ich auf sei­ner Mas­ke gut lesen. Kurz phan­ta­sie­re ich, wie er die­se Tötung mei­nen könn­te. Schreck­lich! Das wäre ja so nicht wort­wört­lich zu ver­ste­hen, wird er mir ver­mut­lich ver­si­chern. Ich neh­me ihm das auch ab. Denn hin­ter der Mas­ke erken­ne ich den sanf­ten Metal­ler, den ich aus mei­ner Jugend­ar­beit noch gut ken­ne. Sehr wahr­schein­lich wird er mir die Vor­wür­fe nen­nen, die er wie vie­le ande­re Mit­de­mon­strie­ren­den gegen Bill (Gates) erhebt. Auf Nach­fra­ge wird auch er mir kei­ne gesi­cher­te Infor­ma­ti­ons­quel­le nen­nen kön­nen. Darf er sei­ne Mei­nung mit die­sem Mord­auf­ruf äußern?

Ich bin froh, dass wir in Deutsch­land das Recht auf Mei­nungs­frei­heit haben. Es ist gut und wich­tig, sich für das eine oder ande­re Inter­es­se stark zu machen. Viel­leicht pral­len dabei unter­schied­li­che Mei­nun­gen auf­ein­an­der. Wenn man sich zudem noch gegen­sei­tig zuhört und ver­sucht, die Sicht­wei­se des Gegen­übers zu ver­ste­hen, dann ist dies m.E. Demo­kra­tie in Höchst­form. Wird einer Mei­nung wider­spro­chen, soll­te man die­sen Wider­spruch nicht als Maul­korb ver­ste­hen. Zur Mei­nungs­frei­heit gehört untrenn­bar auch die Widerspruchsfreiheit.

Was sichert mir das Recht auf Mei­nungs­frei­heit? „Jeder hat das Recht, sei­ne Mei­nung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu ver­brei­ten…“ heißt es im deut­schen Grund­ge­setz (Art. 5 GG (1)). Die All­ge­mei­ne Erklä­rung der Men­schen­rech­te (AEMR) unter­streicht die­ses Recht in ihrem Arti­kel 19: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Mei­nung und Mei­nungs­äu­ße­rung; die­ses Recht umfasst die Frei­heit, sich Infor­ma­tio­nen und Ideen mit allen Ver­stän­di­gungs­mit­teln ohne Rück­sicht auf Gren­zen zu beschaf­fen, zu emp­fan­gen und zu ver­brei­ten.“ (vgl. https://www.menschenrechte.jugendnetz.de/menschenrechte/artikel‑1–30/artikel-19/)

Kann ich nun gren­zen­los mei­ne Mei­nung äußern? Wo wird even­tu­ell die Gren­ze des Sag­ba­ren gezo­gen? Ich bin kein Jurist. Zudem weiß ich, dass Juri­sten über die­se Fra­ge vor­treff­lich strei­ten kön­nen. Trotz­dem kann mir eine Annä­he­rung auf die Ant­wort gelin­gen, indem ich wie­der­um in das Grund­ge­setz sowie in die Men­schen­rechts­re­so­lu­ti­on blicke. „Die Wür­de des Men­schen ist unan­tast­bar. Sie zu ach­ten und zu schüt­zen ist Ver­pflich­tung aller staat­li­chen Gewalt. Das Deut­sche Volk bekennt sich dar­um zu unver­letz­li­chen und unver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­ten als Grund­la­ge jeder mensch­li­chen Gemein­schaft, des Frie­dens und der Gerech­tig­keit in der Welt.“ (Art. 1 GG (1/2), „Die­se Rech­te fin­den ihre Schran­ken in den Vor­schrif­ten der all­ge­mei­nen Geset­ze, den gesetz­li­chen Bestim­mun­gen zum Schut­ze der Jugend und in dem Recht der per­sön­li­chen Ehre.“ (Art. 5 GG (2)), „Alle Men­schen sind frei und gleich an Wür­de und Rech­ten gebo­ren. Sie sind mit Ver­nunft und Gewis­sen begabt und sol­len ein­an­der im Gei­ste der Brü­der­lich­keit begeg­nen.“ (Art. 1 AEMR), „Jeder hat Anspruch auf die in die­ser Erklä­rung ver­kün­de­ten Rech­te und Frei­hei­ten ohne irgend­ei­nem Unter­schied, wie etwa nach Ras­sen, Far­be, Geschlecht, Spra­che, Reli­gi­on, poli­ti­scher oder son­sti­ger Her­kunft, nach Eigen­tum, Geburt oder son­sti­gen Umstän­den. Des Wei­te­ren darf kei­ne Unter­schei­dung gemacht wer­den auf Grund der poli­ti­schen, recht­li­chen oder inter­na­tio­na­len Stel­lung des Lan­des oder Gebie­tes, dem eine Per­son ange­hört, ohne Rück­sicht dar­auf, ob es unab­hän­gig ist, unter Treu­hand­schaft steht, kei­ne Selbst­re­gie­rung besitzt oder irgend­ei­ner ande­ren Beschrän­kung sei­ner Sou­ve­rä­ni­tät unter­wor­fen ist.“ (Art. 2 AEMR (1/2)) und „Nie­mand darf will­kür­lich Ein­grif­fen in sein Pri­vat­le­ben, sei­ne Fami­lie, sein Heim oder sei­nen Brief­wech­sel noch Angrif­fen auf sei­ne Ehre und sei­nen Ruf aus­ge­setzt wer­den. Jeder Mensch hat Anspruch auf recht­li­chen Schutz gegen der­ar­ti­ge Ein­grif­fe oder Anschlä­ge.“ (Art. 12 AEMR).

Ob nun durch die oben genann­te Äuße­rung des Demon­stran­ten die Rechts­gü­ter „Wür­de“ und „Ehre“ für Bill Gates ver­letzt wur­den, mag jeder selbst und schließ­lich die Justiz urtei­len. Mei­ne per­sön­li­che Gren­ze des guten Geschmacks wäre jedoch weit überschritten.

Unter kei­nen Umstän­den tole­rie­re ich die zutiefst anti­se­mi­ti­schen, frem­den­feind­li­chen und geschichts­klit­ten­den Äuße­run­gen, wel­che die Wort­füh­rer sol­cher Anti-Coro­na-Maß­nah­men-Demon­stra­tio­nen mas­siv in einem Instant-Mes­sa­ging-Dienst sowie wäh­rend den Kund­ge­bun­gen unwi­der­spro­chen ver­brei­ten. Sol­che Aus­sa­gen sind weder mit den Grund­la­gen der Demo­kra­tie ver­ein­bar noch im Rah­men des guten Stils. An die­ser Stel­le neh­me ich Abstand von einer Nen­nung die­ser Zita­te und von einer Illu­stra­ti­on sol­cher Bil­der. Sie sind nicht nur wider­lich, sie könn­ten für die Justiz noch bedeu­tend sein.

Auf­grund der im Cha­rak­ter unde­mo­kra­ti­schen Äuße­run­gen, die letzt­lich die groß­ar­ti­ge – für die Demo­kra­tie wesent­li­che – Mei­nungs­frei­heit miss­brau­chen, ver­öf­fent­lich­te das Bam­ber­ger Bünd­nis gegen Rechts­extre­mis­mus und Ras­sis­mus die­se Stel­lung­nah­me: „…Uns als Bünd­nis ist es wich­tig, die Bürger*innen dafür zu sen­si­bi­li­sie­ren genau hin­zu­se­hen, von wem die Demon­stra­tio­nen ange­mel­det wer­den und wer dort mit­läuft. Es ist sowie­so ein Wahn­witz, dass gera­de die Fein­de unse­rer Demo­kra­tie in Coro­na­zei­ten ver­meint­lich unse­re Demo­kra­tie ret­ten wol­len. Wir möch­ten daher alle Bürger*innen dazu ermu­ti­gen, sol­che Demon­stra­tio­nen und Kund­ge­bun­gen kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und sich nicht von den Fein­den unse­rer Demo­kra­tie instru­men­ta­li­sie­ren zu lassen…“

Wann darf eine Demon­stra­ti­on ver­bo­ten wer­den? Das ent­schei­det letzt­lich die Justiz. Der Mei­nungs­frei­heit wil­len ist es ange­bracht, auch Demon­stra­tio­nen mit anti­de­mo­kra­ti­schen Mei­nungs­äu­ße­run­gen zuzu­las­sen. Als Demo­krat muss ich die­se Tat­sa­che aus­hal­ten. Die­ses Dilem­ma lässt sich nicht so ein­fach lösen. Aber als Demo­krat ver­spü­re ich die Ver­pflich­tung, anti­de­mo­kra­ti­schen Äuße­run­gen deut­lich zu wider­spre­chen. Ein sol­ches Wider­spre­chen ist wie oben bereits gesagt kein Maul­korb. Das muss mein Gegen­über eben­so aus­hal­ten. Auch wenn er mir unter­stellt, ich wür­de ihm das Reden über sein The­ma ver­bie­ten, indem er den sehr bekann­ten Satz sagt: „Das wird man doch mal sagen dürfen!“

Gene­rell muss eine Demon­stra­ti­on immer ord­nungs­ge­mäß beim Ord­nungs­amt ange­mel­det sein und ent­spre­chend den Auf­la­gen (Bescheid gut durch­le­sen!) durch­ge­führt wer­den. Das dient letzt­lich auch dem eige­nen Schutz. Die Poli­zei beglei­tet die Lei­tung der Demon­stra­ti­on im Vor­feld sowie in der Durch­füh­rung bera­tend und ggf. schüt­zend. Den Anwei­sun­gen der Poli­zei ist Fol­ge zu lei­sten. Soll­te sich ein Anti­de­mo­krat oder ein laut­star­ker Geg­ner des Demo­zwecks in die Demon­stra­ti­on ein­ge­schleust haben, darf die Demo­lei­tung ihr Haus­recht anwen­den und die­sen des Plat­zes ver­wei­sen, ggf. mit poli­zei­li­cher Unterstützung.

Zusam­men­fas­send möch­te ich zuru­fen: Lasst uns gesit­tet strei­ten und unse­re Mei­nun­gen aus­tau­schen. Ver­ges­sen wir dabei nicht die Wür­de und die Ehre all unse­rer Mit­men­schen. All unser Tun möge viel­mehr dem Leben die­nen – auch einem Leben des guten Miteinanders!

Huber­tus Schaller
Bam­ber­ger Bünd­nis gegen Rechts­extre­mis­mus und Rassismus