Exper­te der Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Inter­es­sen der Kin­der und Jugend­li­chen sowie der jun­gen Fami­li­en nicht aus den Augen verlieren“

Symbolbild Bildung

Der­zeit wird inten­siv über die Wahr­schein­lich­keit debat­tiert, dass Kin­der sich mit dem Coro­na-Virus infi­zie­ren oder die­ses Virus auf ande­re Men­schen über­tra­gen. Prof. Dr. mult. Eck­hard Nagel, Inha­ber des Lehr­stuhls für Medi­zin­ma­nage­ment und Gesund­heits­wis­sen­schaf­ten und Direk­tor des gleich­na­mi­gen Insti­tuts an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und Prof. Dr. med. Dr. h.c. Axel Haverich, Direk­tor der Kli­nik für Herz‑, Thorax‑, Gefäß- und Trans­plan­ta­ti­ons­chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver, beto­nen: „Alle bis­he­ri­gen Erkennt­nis­se unter­stüt­zen die For­de­rung nach einer umge­hen­den, wohl­über­leg­ten und wis­sen­schaft­lich struk­tu­riert beglei­te­ten Wie­der­eröff­nung von Kitas und Grund­schu­len. Es darf kei­ne Zeit mehr ver­lo­ren wer­den.“ Hier folgt ihre gemein­sa­me Stellungnahme:

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Inter­es­sen der Kin­der und Jugend­li­chen sowie der jun­gen Fami­li­en nicht aus den Augen ver­lie­ren“  –

das for­der­te die Deut­sche Gesell­schaft der Kin­der und Jugend­ärz­te bereits vor einer Woche. Neue­ste Stu­di­en aus den letz­ten Tagen unter­strei­chen nun, dass die Vor­stel­lung, Kin­der wür­den sich sel­te­ner infi­zie­ren als Erwach­se­ne, unver­än­dert als rich­tig ange­nom­men wer­den muss. Eine in dem renom­mier­ten Wis­sen­schafts­jour­nal Sci­ence ver­öf­fent­lich­te Kon­takt­stu­die zur Ver­brei­tung der Coro­na­vi­rus-Infek­ti­on sieht die Infek­ti­ons­wahr­schein­lich­keit von Kin­dern im Alter von 0–14 Jah­re bei nur 1/3 im Ver­gleich zu nor­ma­len Erwach­se­nen im Alter von 15–64 Jah­ren. Älte­re Men­schen haben dage­gen ein 1,5 mal so hohes Risi­ko sich zu infizieren.

Es bleibt auch dabei, dass die berich­te­ten Fäl­le von Pati­en­ten im Kin­des­al­ter bei heu­te mehr als 3,25 Mil­lio­nen mit SARS-CoV 2 infi­zier­ten Men­schen nur eine ver­schwin­dend gerin­ge Anzahl aus­ma­chen. Und über 90 Pro­zent die­ser Kin­der haben einen weit­ge­hend unkom­pli­zier­ten Krank­heits­ver­lauf. Von aktu­ell 121 doku­men­tier­ten Kran­ken­haus­auf­nah­men in Deutsch­land in die­sem Zusam­men­hang konn­ten 96 bereits wie­der als geheilt ent­las­sen wer­den. Ledig­lich 14 jun­ge Pati­en­ten muss­ten inten­siv­me­di­zi­nisch behan­delt werden.

Bei der Dis­kus­si­on um die Wie­der­eröff­nung von Kitas und Grund­schu­len spielt zudem die Fra­ge eine zen­tra­le Rol­le, ob die Kin­der beson­ders gefähr­lich in der Ansteckung ande­rer Per­so­nen sein könn­ten. Bis­he­ri­ge epi­de­mio­lo­gi­sche Stu­di­en z.B. aus Island oder den Nie­der­lan­den gehen nicht davon aus. Auch die oben erwähn­te chi­ne­si­sche Stu­die ver­neint ein sol­ches spe­zi­el­les Risi­ko. Die Sor­ge rührt daher, dass man bei ande­ren Infek­ti­ons­krank­hei­ten – z.B. Influ­en­za (Grip­pe) – nach­wei­sen konn­te, dass im Kin­der­ra­chen ein Viel­fa­ches an Viren von dem vor­han­den ist, was bei Erwach­se­nen gefun­den wird. Begrün­det wird dies durch die Tat­sa­che, dass die Kin­der nur unge­nü­gend über Abwehr­zel­len ver­fü­gen, die das Virus­wachs­tum ein­däm­men können.

Hier nun kann eine zwar bis­her unge­prüf­te aber sorg­fäl­tig vor­ge­tra­ge­ne Stu­die der Cha­ri­té in Zusam­men­ar­beit mit der Uni­ver­si­ty of Cam­bridge beru­hi­gen: die soge­nann­te Virus­last war bei den jüng­sten Kin­dern am gering­sten. Gene­rell gab es nur klei­ne Unter­schie­de zwi­schen Kin­dern und Erwach­se­nen. Auch wenn auf­grund der gerin­gen Zahl klei­ne­rer Kin­der – bei ca. 60.000 Unter­such­ten fan­den sich ledig­lich 37 infi­zier­te Kin­der im Alter von 0–6 Jah­ren – die Aus­sa­gen sta­ti­stisch nur Ten­den­zen beschrei­ben, so kor­re­liert die Virus­last mit dem Alter. Dies lässt es in Zusam­men­schau mit den chi­ne­si­schen Ergeb­nis­sen als wahr­schein­lich erschei­nen, dass Kin­der sich nicht nur sel­te­ner infi­zie­ren, son­dern auf­grund ihrer Grö­ße, Kraft, Kör­per­bau etc. auch sel­te­ner ande­re anstecken.

All die­se Erkennt­nis­se erge­ben aktu­ell noch ein unvoll­stän­di­ges Bild, unter­stüt­zen aber die bis­he­ri­gen Annah­men und beru­hi­gen dahin­ge­hend, dass Kin­der als Grup­pe von die­ser neu­en Erkran­kung nur sehr sel­ten gefähr­det wer­den. Sie unter­stüt­zen damit die For­de­rung nach einer umge­hen­den, wohl­über­leg­ten und wis­sen­schaft­lich struk­tu­riert beglei­te­ten Wie­der­eröff­nung von Kitas und Grundschulen.

Es darf kei­ne Zeit mehr ver­lo­ren wer­den, denn die gra­vie­ren­den Schä­den für Kin­der und Jugend­li­che, die durch Kita- und Schul­schlie­ßun­gen erkenn­bar aus­ge­löst wer­den, und die schwer­wie­gen­den Bela­stun­gen für jun­ge Fami­li­en dür­fen nicht noch wei­ter zunehmen.

Ein sol­cher Schritt berück­sich­tigt zwei wei­te­re wich­ti­ge Über­le­gun­gen im Umgang mit den gesell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen der Corona-Pandemie:

  1. Mög­li­che, von man­chen befürch­te­te Risi­ken wer­den im Sep­tem­ber nicht anders sein als aktu­ell im Mai.
  2. Bei sorg­sam umge­setz­ter wis­sen­schaft­li­cher Beglei­tung wird die Ver­folg­bar­keit mög­li­cher Infek­ti­ons­ket­ten nach Öff­nen von Kitas/​Schulen sehr viel eher mög­lich und kon­trol­lier­bar sein, als nach dem Öff­nen von Gren­zen, Hotels oder Restaurants.

Bay­reuth und Han­no­ver, 1. Mai 2020

Univ.-Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h. c. Eck­hard Nagel,

Uni­ver­si­tät Bayreuth

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Axel Haverich, Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le Hannover