Forch­hei­mer Wirt­schaft: Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät? – IHK-Vize­prä­si­dent Dr. Micha­el Waas­ner mel­det sich zu Wort

Dr. Micha­el Waas­ner / Foto: Privat

„Die Forch­hei­mer Wirt­schaft steht vor den größ­ten Her­aus­for­de­run­gen seit dem 2. Welt­krieg“, so Dr. Micha­el Waas­ner, IHK-Vize­prä­si­dent der IHK für Ober­fran­ken Bay­reuth und Vor­sit­zen­der des IHK-Gre­mi­ums Forch­heim. 82 Pro­zent der Unter­neh­men erwar­ten – so das Ergeb­nis einer aktu­el­len IHK-Umfra­ge – für 2020 einen Umsatz­rück­gang, jedes drit­te Unter­neh­men rech­net mit einem Per­so­nal­ab­bau, zwölf Pro­zent der Unter­neh­men droht dem­nach sogar die Insol­venz. Umso wich­ti­ger sei es, schritt­wei­se in eine Art „Nor­ma­li­tät“ zurückzukehren.

„Die­ses Gesamt­pa­ket aus Coro­na-Sofort­hil­fe, Aus­wei­tung der Kurz­ar­bei­ter­re­ge­lung, Steu­er­erleich­te­run­gen sowie Kre­dit­pro­gram­men mit weit­ge­hen­der Haf­tungs­frei­stel­lung ist aus­ge­wo­gen zusam­men­ge­stellt“, zeigt sich Waas­ner über­zeugt. Auch im natio­na­len und inter­na­tio­na­len Ver­gleich gibt es nir­gend­wo ähn­lich umfang­rei­che Hilfs­maß­nah­men. „Dafür dan­ke ich im Namen der betrof­fe­nen Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer der Poli­tik“, so der IHK-Ver­tre­ter. Er lobt die Regie­rung von Ober­fran­ken, die bis­her über 10.000 Anträ­ge für die Coro­na-Sofort­hil­fe bear­bei­tet hat, macht aber auch klar, dass es bei vie­len Unter­neh­men buch­stäb­lich auf jeden Tag ankommt. Waas­ner: „Jeder zusätz­li­che Tag ohne Geld­sprit­ze ent­schei­det bei vie­len Unter­neh­men über Exi­stenz oder Pleite.“

Ein­zel­han­del: Unge­rech­te Abgrenzungen?
Waas­ner begrüßt die schritt­wei­se Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät. Dass die­se Öff­nun­gen schritt­wei­se voll­zo­gen wer­den müs­sen, sei nach­voll­zieh­bar. Waas­ner: „Unse­re Mit­glieds­un­ter­neh­men brau­chen aber mög­lichst früh­zei­tig Infor­ma­tio­nen, wann und unter wel­chen Rah­men­be­din­gun­gen sie ihr Geschäft wie­der öff­nen oder aus­wei­ten dür­fen.“ Bei allen Regu­lie­run­gen soll­te dabei der Grund­satz „keep it simp­le“ gelten.

„Hilf­reich wären dazu ein­heit­li­che Regeln für alle Bran­chen. War­um darf der Schuh­la­den oder die Mode-Bou­tique in der Fuß­gän­ger­zo­ne öff­nen, die in einer Shop­ping­mall aber nicht; das ist schwer ver­mit­tel­bar“, so der IHK-Vize­prä­si­dent. „Ich kann die Argu­men­ta­ti­ons­schie­ne nach­voll­zie­hen, trotz­dem hal­te ich es nicht für rich­tig, dass Geschäf­te über 800 Qua­drat­me­ter und alle Geschäf­te in Malls und Fach­markt­zen­tren geschlos­sen blei­ben müs­sen. Das emp­fin­den die betrof­fe­nen Händ­ler als unge­recht, wie auch zahl­rei­che Anru­fe bei der IHK zei­gen.“ Erste gericht­li­che Ent­schei­dun­gen bestä­ti­gen den Zwei­fel an der Recht­mä­ßig­keit die­ser Ein­schrän­kung. Zwei Drit­tel der Ein­zel­händ­ler haben in der IHK-Blitz­um­fra­ge einen Still­stand der geschäft­li­chen Tätig­keit angegeben.

Hart trifft es auch die Unter­neh­men im Ver­an­stal­tungs­sek­tor, im Mes­se­we­sen sowie Schau­stel­ler, da bis auf wei­te­res kei­ne Groß­ver­an­stal­tun­gen, Mes­sen oder Volks­fe­ste stattfinden.

Wann dür­fen Hotels und Gast­stät­ten wie­der öffnen?
Sehr hart trifft es Gastro­no­mie und Hotel­le­rie, die auch wei­ter­hin geschlos­sen blei­ben müs­sen. Im Gegen­satz zu man­chen ande­ren Bran­chen muss der Umsatz der ver­gan­ge­nen Mona­te kom­plett abge­schrie­ben wer­den, kann nicht mehr nach­ge­holt wer­den. Waas­ner: „Das setzt vie­le Unter­neh­men emp­find­lich unter Druck, gera­de in die­ser Bran­che sind vie­le Unter­neh­men von einer Insol­venz bedroht.“ Wenn im Zuge der Locke­rung auch die­se Betrie­be öff­nen dür­fen, wird dies sicher­lich mit Ein­schrän­kun­gen ver­bun­den sein, etwa die Ein­hal­tung eines Min­dest­ab­stan­des von 1,50 Metern, der Ver­zicht auf Büfetts, Boden­mar­kie­run­gen beim Check-in von Hotels oder die Anbrin­gung einer Hygie­ne­schutz­wand an der Rezep­ti­on. Um über­le­ben zu kön­nen, brau­chen die Unter­neh­men Umsatz, des­halb soll­ten die Öff­nungs­zei­ten von Gastro­no­mie­be­trie­ben auf jeden Fall einen Früh­stücks­ser­vice sowie Mit­tags- und Abend­tisch ermög­li­chen. Bei der IHK-Blitz­um­fra­ge haben 90 Pro­zent der Hotel- und Gastro­no­mie­un­ter­neh­men ange­ge­ben, aktu­ell kei­nen Umsatz zu machen, über 70 Pro­zent den­ken über Ent­las­sun­gen nach.

Rei­se­bü­ros vor dem Aus?
Noch här­ter trifft es Rei­se­ver­an­stal­ter und Rei­se­bü­ros. Waas­ner: „Rei­se­bü­ros dür­fen zwar wie­der öff­nen, haben aber de fac­to nichts zu ver­kau­fen.“ Nicht nur, dass sta­tio­nä­ren Rei­se­bü­ros fast das kom­plet­te Neu­ge­schäft weg­ge­bro­chen ist, der Umsatz aus dem Rei­se­ver­trieb wird auch nur sehr lang­sam wie­der zurück­keh­ren. Hin­zu kommt, dass Rei­sen im gro­ßen Stil stor­niert wur­den. Damit ent­fal­len rück­wir­kend die Pro­vi­sio­nen, die das Rei­se­bü­ro bereits erhal­ten hat, also auch der Gewinn der ver­gan­ge­nen Mona­te fällt weg. „Kein Neu­ge­schäft, die Zurück­zah­lung bereits erhal­te­ner Pro­vi­sio­nen, unbe­zahl­te Mehr­ar­beit wegen der Stor­nie­run­gen und unsi­che­re Zukunfts­aus­sich­ten: Vor die­sem Hin­ter­grund unter­stüt­zen wir die For­de­rung der Bran­che nach einem eige­nen Ret­tungs­mo­dell“, so Waas­ner. Über 80 Pro­zent der Unter­neh­men in der Rei­se­wirt­schaft machen, so die jüng­ste IHK-Blitz­um­fra­ge, aktu­ell kei­nen Umsatz, zwei von drei Unter­neh­men schlie­ßen Ent­las­sun­gen nicht aus.

Indu­strie von Wert­schöp­fungs­ket­ten abhängig
„Im Bereich der Indu­strie müs­sen wir neben der ein­zel­be­trieb­li­chen Situa­ti­on auch die gesam­te Wert­schöp­fungs­ket­te betrach­ten“, betont Waas­ner. „Die Indu­strie ist Motor der Forch­hei­mer Wirt­schaft und erwirt­schaf­tet eine hohe Wert­schöp­fung. Ziel muss es nun sein, dass die gesam­te Wert­schöp­fungs­ket­te zum Lau­fen kommt und nicht nur ein­zel­ne Tei­le dar­aus.“ Waas­ner ver­deut­licht dies an der Auto­mo­bil­bran­che mit dem engen Zusam­men­spiel der vie­len Zulie­fe­rern auf der einen und den Auto­häu­sern auf der ande­ren Sei­te. Waas­ner: „Not­wen­dig ist ein mög­lichst EU-weit abge­stimm­ter Zeit­plan, damit Indu­strie­be­trie­be und Logi­sti­ker euro­pa­weit die Lie­fer­ket­ten wie­der auf­ein­an­der abstim­men kön­nen. Mehr Mit­ein­an­der statt Neben- oder Gegen­ein­an­der heißt die Devi­se der Stun­de auf EU-Ebene!“

Wich­tig sei auch, wie mit den Aus­fall­zei­ten von Mit­ar­bei­tern umge­gan­gen wird, die Kon­tak­te mit Drit­ten ver­mei­den sol­len, für die aber kei­ne behörd­li­che Qua­ran­tä­ne ange­ord­net wur­de. Waas­ner: „Hier benö­ti­gen wir kla­re Vor­ga­ben der Poli­tik, eine ein­sei­ti­ge Abwäl­zung auf die Arbeit­ge­ber führt zu wei­te­ren Bela­stun­gen in einer ohne­hin sehr schwie­ri­gen Situa­ti­on.“ Bauch­schmer­zen machen ihm außer­dem die stei­gen­de Zahl an Krank­mel­dun­gen und die feh­len­de Ver­füg­bar­keit an Mund-Nasen-Bedeckun­gen. Bei der IHK sind inzwi­schen über 70 ober­frän­ki­sche Her­stel­ler geli­stet, die sol­che Bedeckun­gen pro­du­zie­ren, die Lie­fer­fri­sten lie­gen aktu­ell meist bei rund vier Wochen.

Appell an Verbraucher
„Für die beson­ders betrof­fe­nen Bran­chen im Gast­ge­wer­be oder im Ein­zel­han­del baue ich auf die Soli­da­ri­tät der Ver­brau­cher. Wer auch künf­tig noch beleb­te Innen­städ­te oder die Gast­wirt­schaft und den Laden um die Ecke haben will, muss lokal ein­kau­fen“, appel­liert Waas­ner an die Verbraucher.

Waas­ner dankt ins­be­son­de­re den Mit­ar­bei­tern der IHK-Task Force in Bay­reuth, die die betrof­fe­nen Unter­neh­men infor­mie­ren und unter­stüt­zen: Über 230.000 Zugrif­fe auf die täg­lich mehr­fach aktua­li­sier­te Home­page seit dem 13. März, gut 18.000 tele­fo­ni­sche Bera­tun­gen und über 40 News­let­ter an mitt­ler­wei­le 1.700 Abon­nen­ten doku­men­tie­ren das außer­or­dent­li­che Enga­ge­ment für die Mit­glieds­un­ter­neh­men: www​.bay​reuth​.ihk​.de/​c​o​r​ona