Pro­gram­mier­ter Zell­tod: Bay­reu­ther Gene­ti­ker ent­decken zel­lu­lä­ren Schutz­me­cha­nis­mus gegen Krebserkrankungen

Symbolbild Bildung
Susanne Hellmuth M.Sc., Universität Bayreuth. Foto: UBT.

Susan­ne Hell­muth M.Sc., Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: UBT.

Susan­ne Hell­muth und Olaf Stem­mann vom Lehr­stuhl für Gene­tik an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben in Zel­len einen natür­li­chen Schutz­me­cha­nis­mus ent­deckt, der zum Tod poten­zi­ell krank­haf­ter Zel­len führt. Er beugt Krebs­er­kran­kun­gen vor, die infol­ge einer ungleich­mä­ßi­gen Ver­tei­lung der Erb­infor­ma­tio­nen auf die Toch­ter­zel­len ent­ste­hen kön­nen. Bei die­sen Pro­zes­sen spielt das Enzym Sepa­ra­se eine zen­tra­le Rol­le. Die in „Natu­re“ ver­öf­fent­lich­ten Erkennt­nis­se bie­ten viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze für neue Ver­fah­ren der Krebs­be­kämp­fung.

Mit die­ser Stu­die knüp­fen die Bay­reu­ther For­scher an ihren vor kur­zem in „Natu­re“ ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag zur Regu­lie­rung der Sepa­ra­se an. Eine strik­te Regu­lie­rung die­ses Enzyms wäh­rend der Zell­tei­lung ist eine Vor­aus­set­zung dafür, dass gesun­de Toch­ter­zel­len ent­ste­hen. Wird die Sepa­ra­se zu früh aktiv, droht die Ent­ste­hung von Krebszellen.

Umfunk­tio­nier­te Eiwei­ße las­sen kran­ke Zel­len absterben

In ihrer Fol­ge­stu­die sind die Bay­reu­ther Gene­ti­ker nun einem bis­her unbe­kann­ten Schutz­me­cha­nis­mus der Zel­le auf die Spur gekom­men. Es ist die Sepa­ra­se selbst, die den bedroh­li­chen Fol­gen ihrer ver­früh­ten Akti­vi­tät zuvor­kommt: Sie setzt ein rasches Abster­ben der sich tei­len­den Zel­le in Gang. Dies geschieht dadurch, dass die Sepa­ra­se zwei Eiwei­ße umfunk­tio­niert, die eigent­lich die Auf­ga­be haben, dem Zell­tod ent­ge­gen­zu­wir­ken. Es han­delt sich um die Eiwei­ße MCL1 und BCL-XL. In einer gesun­den Zel­le hin­dern sie gemein­sam das Eiweiß BAK dar­an, das Abster­ben der Zel­le zu ver­an­las­sen. Doch die zu früh aktiv gewor­de­ne Sepa­ra­se schnei­det die­se bei­den Eiwei­ße auf. Dadurch kön­nen sie ihre zell­scho­nen­de Funk­ti­on nicht mehr erfül­len, und BAK ist frei, einen raschen Zell­tod her­bei­zu­füh­ren. Der Zell­tod wird von den Eiwei­ßen MCL1 und BCL-XL sogar pro­ak­tiv geför­dert, weil die Sepa­ra­se ihre Struk­tu­ren ent­spre­chend ver­än­dert hat. Aus Wäch­tern, wel­che die Zel­le am Leben hal­ten sol­len, sind Agen­ten des Zell­tods geworden.

Ein Not­fall-Mecha­nis­mus schützt vor gene­ti­schen Fehlsteuerungen 

Aus­ge­hend von die­sen Erkennt­nis­sen haben Hell­muth und Stem­mann im Pro­zess der Zell­tei­lung einen wei­te­ren wich­ti­gen Mecha­nis­mus ent­deckt. Er gewähr­lei­stet, dass die Sepa­ra­se gesun­de Zel­len ver­schont und tat­säch­lich nur im Fal­le einer dro­hen­den krank­haf­ten Zell­ent­wick­lung die Eiwei­ße MCL1 und BCL-XL angreift.

Zu die­sem Angriff ist die Sepa­ra­se gerü­stet, sobald die bei­den Eiwei­ße mit Hil­fe von Phos­phat­grup­pen kennt­lich gemacht wor­den sind. Für die­se Mar­kie­rung der Eiwei­ße, die Phos­pho­ry­lie­rung, ist das Enzym NEK2A zustän­dig. Die Poin­te ist nun, dass NEK2A im Ver­lauf der Zell­ent­wick­lung rela­tiv früh­zei­tig abge­baut wird. Bevor die Zel­le sich zu tei­len beginnt, ist das Enzym ver­schwun­den – vor­aus­ge­setzt, dass der Spin­del-Kon­troll­punkt funk­ti­ons­tüch­tig ist und für einen wohl­ge­ord­ne­ten Ablauf der Zell­tei­lung sorgt. Dann erfüllt die Sepa­ra­se zum rich­ti­gen Zeit­punkt ihre Funk­tio­nen, ohne dass sie die Eiwei­ße MCL1 und BCL-XL iden­ti­fi­zie­ren und angrei­fen könn­te. Falls der Spin­del-Kon­troll­punkt jedoch defekt ist, beschleu­nigt sich der Pro­zess der Zell­tei­lung: Noch wäh­rend NEK2A in der Zel­le zuge­gen ist, wird die Sepa­ra­se aktiv. Jetzt erkennt sie die bei­den Eiwei­ße, und der pro­gram­mier­te Zell­tod wird unver­züg­lich eingeleitet.

Hell­muth und Stem­mann bezeich­nen die­ses von ihnen ent­deck­te Zusam­men­spiel der bei­den Enzy­me als „Mini­mal Dura­ti­on of Ear­ly Mitosis Check­point“, kurz: „DMC“. Es han­delt sich um einen Not­fall-Mecha­nis­mus, der in Kraft tritt, sobald ein defek­ter Spin­del-Kon­troll­punkt die Gefahr krank­haf­ter Zell­ent­wick­lun­gen her­auf­be­schwo­ren hat.

Ein neu­er Ansatz für die The­ra­pie von Krebserkrankungen

Die in „Natu­re“ ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­er­geb­nis­se bie­ten Anknüp­fungs­punk­te für neue Krebs­the­ra­pien. Schon seit län­ge­rer Zeit hat man beob­ach­tet, dass MCL1 und BCL-XL in Krebs­zel­len oft­mals in beson­ders gro­ßer Zahl pro­du­ziert wer­den. In die­sen Fäl­len aber schüt­zen die bei­den Eiwei­ße die fal­schen Zel­len. Sie ver­hin­dern das Abster­ben von Krebs­zel­len, das durch Eiwei­ße wie BAK in Gang gesetzt wer­den müss­te. „Des­halb könn­te ein viel­ver­spre­chen­der Ansatz der Krebs­be­kämp­fung jetzt dar­in bestehen, in erkrank­ten Zel­len das von der Sepa­ra­se abhän­gi­ge Zer­schnei­den und damit die Umfunk­tio­nie­rung von MCL1 und BCL-XL gezielt zu för­dern. Die­sen Ansatz wol­len wir künf­tig mit ver­schie­de­nen For­schungs­grup­pen, bei­spiels­wei­se aus der kli­ni­schen Onko­lo­gie und der Wirk­stoff-For­schung, wei­ter ver­fol­gen. Mög­li­cher­wei­se wird es auf die­sem Weg gelin­gen, Krebs­zel­len mit Hil­fe von Eiwei­ßen zu zer­stö­ren, die von gesun­den Zel­len erfolg­reich für den eige­nen Selbst­schutz ein­ge­setzt wer­den“, sagt Stemmann.

Ver­öf­fent­li­chung:

Susan­ne Hell­muth, Olaf Stem­mann: Sepa­ra­se-trig­ge­red apo­pto­sis enforces mini­mal length of mitosis. Natu­re (2020), doi: https://doi.org/10.1038/s41586-020‑2187‑y

Vor­gän­ger­stu­die:

Susan­ne Hell­muth, Lau­ra Gómez‑H, Alber­to M. Pen­dás, Olaf Stem­mann: Secu­rin-inde­pen­dent regu­la­ti­on of sepa­ra­se by check­point-indu­ced shu­go­shin-Mad2. Natu­re (2020), doi: https://doi.org/10.1038/s41586-020‑2182‑3

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) gefördert.