Coro­na-Kri­se: Tipps für Zuhau­se von einer Exper­tin der Uni­ver­si­tät Bayreuth

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Wel­che Fol­gen hat sozia­le Iso­la­ti­on für die Gesundheit?

Prof. Dr. Susanne Tittlbach, Lehrstuhlinhaberin Sportwissenschaft III Sozial- und Gesund-heitswissenschaften des Sports der Universität Bayreuth. - © UBT

Prof. Dr. Susan­ne Tittl­bach, Lehr­stuhl­in­ha­be­rin Sport­wis­sen­schaft III Sozi­al- und Gesund-heits­wis­sen­schaf­ten des Sports der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. – © UBT

Prof. Dr. Susan­ne Tittl­bach hat an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl Sport­wis­sen­schaft III – Sozi­al- und Gesund­heits­wis­sen­schaf­ten des Sports inne. Sie ist maß­geb­lich an der Ent­wick­lung des Pro­gramms „Smart Moving“ betei­ligt, das den Stu­di­en­all­tag beweg­ter und gesün­der gestal­tet. Im Inter­view ana­ly­siert sie, wel­che Fol­gen die sozia­le Iso­la­ti­on zuhau­se auf die Gesund­heit haben kann und gibt Tipps, wie Men­schen jeden Alters den­noch in Bewe­gung blei­ben können.

Schü­ler blei­ben bis Ende der Oster­fe­ri­en zuhau­se, es fühlt sich wie „Aus­gangs­sper­re“ an. Wie bekom­me ich mein Kind weg vom Handy? 

Jede noch so klei­ne Bewe­gung ist gut und sinn­voll! Die Wohn­ge­ge­ben­hei­ten und das Alter der Kin­der spie­len natür­lich eine gro­ße Rol­le. Wenn ein Gar­ten vor­han­den ist, soll­ten die Kin­der mög­lichst viel im Gar­ten sein, da dort mehr Platz ist, um sich wirk­lich aus­zu­to­ben, zum Ren­nen, Hüp­fen und Ball­spie­len. Ist kein Gar­ten da, in der Woh­nung erfin­de­risch und krea­tiv wer­den. Und immer wie­der auf­ste­hen und sich Vor­ga­ben dazu machen: z.B. Schul­ar­bei­ten im Sit­zen, Lesen im Ste­hen in einem ande­ren Raum, beim Fern­se­hen hüp­fen etc. Und war­um nicht mit digi­ta­len Medi­en verknüpfen?

Wie?

Eltern soll­ten die­se Medi­en nicht als „Feind“ sehen, son­dern auch dafür nut­zen, um die Attrak­ti­vi­tät von Bewe­gung mit Medi­en zu erhö­hen. Also, dem Kind viel­leicht den eige­nen Fit­ness-Tracker umbin­den und die Auf­ga­be stel­len, auf 1.000 Schrit­te zu kom­men. Oder eine Chall­enge dazu ver­an­stal­ten: Schafft der Papa oder das Kind den Tag über mehr Schrit­te in der Woh­nung? Ein Wochen­plan am Kühl­schrank, um jeden Tag die Schrit­te zu doku­men­tie­ren, moti­viert zusätz­lich. Für jün­ge­re Kin­der eig­nen sich Tanz­spie­le und Apps mit Spiel­ideen. Ins­ge­samt gilt bei jün­ge­ren Kin­dern, dass der Spiel­cha­rak­ter mög­lichst hoch sein sollte.

Und bei Teenagern? 

Mit einem funk­tio­na­len Trai­ning via App kann man Kin­der sicher­lich wesent­lich weni­ger moti­vie­ren, älte­re Kin­der und Jugend­li­che aber schon, deren Bewe­gungs­mo­tiv oft auf Figur­for­mung und Mus­kel­zu­wachs liegt. Für ein sol­ches Pro­gramm zuhau­se gibt es her­vor­ra­gen­de Übun­gen mit dem eige­nen Kör­per­ge­wicht. Anson­sten brau­che ich eigent­lich nur eine Mat­te oder einen Tep­pich und Übungs­an­lei­tun­gen, die sich in einer Viel­zahl im Netz finden.

Was kön­nen Sie Schü­lern und Stu­die­ren­den emp­feh­len, die in der Unter­richts- bzw. Vor­le­sungs­pau­se zwangs­wei­se mehr zuhau­se ler­nen müssen? 

Im Pro­jekt Smart Moving, das auf eine Bewe­gungs­er­hö­hung und Sitz­ver­rin­ge­rung von Stu­die­ren­den abzielt und das die Uni Bay­reuth in Koope­ra­ti­on mit dem Kom­pe­tenz­zen­trum Ernäh­rung (KErn), der Uni­ver­si­tät Regens­burg und der Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se durch­führt, wur­den am Bay­reu­ther und am Regens­bur­ger Cam­pus Ideen für mehr Bewe­gung und weni­ger Sit­zen ent­wickelt. Die Vide­os, die in die­sem Zusam­men­hang ent­stan­den, kön­nen in der aktu­el­len Situa­ti­on Stu­die­ren­de beim Ler­nen zuhau­se, aber auch Schü­lern und Erwach­se­nen hel­fen, Sitz­zei­ten zu mini­mie­ren. Hier fin­den Sie die­se Vide­os: https://​www​.you​tube​.com/​p​l​a​y​l​i​s​t​?​l​i​s​t​=​P​L​q​8​E​R​4​S​3​y​9​W​6​0​F​s​p​n​R​y​P​J​t​1​d​K​-​A​F​J​W​KyC

Was mache ich als älte­rer Mensch? 

Solan­ge Spa­zier­gän­ge, die Men­schen allei­ne durch­füh­ren, noch zuläs­sig sind, soll­ten älte­re Men­schen die­se Mög­lich­keit auch nut­zen. Spa­zier­ge­hen stellt qua­si ein Ganz­kör­per­trai­ning dar, das sowohl Aus­dau­er, Kraft als auch Koor­di­na­ti­on anspricht. Das ist sehr sinn­voll. Wenn Spa­zier­gän­ge nicht mehr erlaubt sein soll­ten oder die älte­re Per­son unter Qua­ran­tä­ne steht: Frisch­luft auf dem Bal­kon oder am offe­nen Fen­ster genie­ßen. Und auch hier gibt es Übun­gen: Wer noch gut ste­hen kann, kann sich am Fen­ster­rah­men fest­hal­ten und klei­ne­re gym­na­sti­sche Übun­gen durch­füh­ren, z.B. Gewichts­ver­la­ge­rung von einem Bein auf das ande­re, leich­te Knie­beu­gen, ein Bein absprei­zen und hoch­zie­hen mit Bein­wech­sel, bei­de Bei­ne fest auf dem Boden und den Ober­kör­per lang­sam nach rechts und links rotie­ren. Jeder macht so viel, wie die eige­nen Kräf­te erlau­ben – auch klein­ste Bewe­gun­gen sind sinn­voll! Oder im Sit­zen: Fahr­rad­fah­ren oder gestreck­te Bei­ne über­kreu­zen. Mög­lichst oft die Posi­ti­on ändern, auch mal ste­hen, beim Tele­fo­nie­ren auf und ab gehen, etc. Auch das bringt den Kreis­lauf in Schwung und aktiviert!

Wenn die Men­schen nun wochen­lang zuhau­se blei­ben, befürch­ten Sie dann Fol­gen, z.B. eine „Adi­po­si­tas-Epi­de­mie“?

Eigent­lich haben wir schon eine „Adi­po­si­tas-Epi­de­mie“ in unse­rer Gesell­schaft bzw. eine „Adi­po­si­tas-Pan­de­mie“ welt­weit. Der Unter­schied zur aktu­el­len Pan­de­mie ist nur, dass die Erkran­kung nicht über­trag­bar im Sin­ne einer Virus­in­fek­ti­on ist. Ansteckend sind Adi­po­si­tas, Dia­be­tes und Co nicht, den­noch sind sie für eine Viel­zahl an Todes­fäl­len welt­weit ver­ant­wort­lich. Das geht oft etwas unter, weil es im ersten Moment nicht so bedroh­lich wirkt, wie das nun beim Virus der Fall ist. Für die Adi­po­si­tas-Rate in der Gesell­schaft ist das Bewe­gungs­ver­hal­ten aber nicht allei­ne aus­schlag­ge­bend, son­dern eben­so das Ernäh­rungs­ver­hal­ten. Wich­tig wäre daher aus mei­ner Sicht, dass den Men­schen auch klar­ge­macht wird, wie wich­tig gera­de jetzt aus­ge­wo­ge­ne, gesun­de Ernäh­rung ist, um gesund­heit­li­che Fol­gen des Lock-Ins mög­lichst zu verringern.

Was genau befürch­ten Sie? 

Je län­ger der Lock-In dau­ert, desto grö­ßer wird die Gefahr, dass sich die Ver­hal­tens­wei­sen von Per­so­nen (noch mehr) in die inak­ti­ve Rich­tung ver­än­dern. Wir wis­sen aus Stu­di­en, dass der Auf­bau einer Ver­hal­tens­än­de­rung zu mehr Bewe­gung, zu gesün­de­rem Essen, Rau­cher­ent­wöh­nung etc. ein sehr lan­ger, inten­si­ver Pro­zess ist und dass die schwie­ri­gen Pha­sen (auch psy­cho­lo­gisch gese­hen) am Anfang der Ver­hal­tens­um­stel­lung lie­gen. Eine Per­son, die es gera­de erst geschafft hat, das wöchent­li­che Fit­ness-Trai­ning fest in ihren Wochen­ab­lauf zu inte­grie­ren, eine sozia­le Grup­pe gefun­den hat, in der sie sich beim Trai­ning wohl­fühlt, wird gro­ße Mühe haben, das Gan­ze nach dem Lock-In zu reak­ti­vie­ren. Zu befürch­ten ist daher eine noch grö­ße­re Drop-Out Rate aus Bewe­gungs­pro­gram­men (z.B. von den Kran­ken­kas­sen, Fit­ness-Stu­di­os, Sport­ver­ei­nen), auch nach Wie­der­öff­nung unse­res sozia­len Lebens.

Sie beschäf­ti­gen sich mit den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten des Sports: Was kann ein „Lock-In“ sozi­al bedeuten? 

Inter­es­sant ist ja, dass man erst dann bemerkt, was man an einer Sache hat, was die­se Sache einem gibt, wenn man sie plötz­lich nicht mehr hat. So wird das den Men­schen auch bezüg­lich des Aus­set­zens der Spit­zen­sport­wett­kämp­fe, aber auch der brei­ten­sport­li­chen Trai­nings­grup­pen gehen. Die sozia­len Funk­tio­nen des Sports, auch im Hin­blick auf Inte­gra­ti­on und Inklu­si­on, gehen für die Zeit des Lock-Ins ver­lo­ren. Sozia­le Kon­tak­te wer­den daher feh­len – ins­be­son­de­re für die Per­so­nen, die allei­ne leben und kei­ne fami­liä­ren Kon­takt­mög­lich­kei­ten haben. Sport ist für vie­le Men­schen, ob aktiv oder inak­tiv als Zuschau­er, ein Ort sozia­ler Bezie­hun­gen. Die iden­ti­täts­stif­ten­den Pro­zes­se für Akti­ve oder für inak­ti­ve Zuschau­er und Fans des Sports sind immens, das fehlt nun. Sich als Teil der Trai­nings­grup­pe zu füh­len, geht nur so rich­tig beim Trai­ning. Sich als Teil der Fan­grup­pe einer bekann­ten Fuß­ball­mann­schaft zu füh­len, geht am besten als Zuschau­er im Sta­di­on, im Ver­eins­heim oder beim Public Vie­w­ing – immer im sozia­len Kon­text. Mei­ner Ansicht nach wird der Sport die­se Bedeu­tung aber auch ange­sichts COVID19 nicht ver­lie­ren. Das wird sich wie­der reak­ti­vie­ren lassen.