Tou­ris­mus oder dau­er­haf­te Besied­lung: Bay­reu­ther Modell­stu­die zeigt unter­schied­li­che Fol­gen für die Tier­welt an Küsten

Symbolbild Bildung

Küsten sind Lebens­räu­me für vie­le bedroh­te Arten und haben des­halb einen hohen öko­lo­gi­schen Wert. Von den Men­schen wer­den sie auf sehr unter­schied­li­che Wei­se genutzt: als dau­er­haf­te Sied­lungs­ge­bie­te oder als tou­ri­sti­sche Rei­se­zie­le. For­scher der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben jetzt erst­mals in einer Modell­stu­die auf den Male­di­ven nach­wei­sen kön­nen, dass die­se For­men der Küsten­nut­zung jeweils unter­schied­li­che öko­lo­gi­sche Fol­gen haben. Dabei wur­den Ein­sied­ler­kreb­se als Fall­bei­spiel ver­wen­det. In der Zeit­schrift Sci­en­ti­fic Reports stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre Unter­su­chung vor.

Sebastian Steibl M.Sc., Erstautor der neuen Studie, in einem Labor der Bayreuther Tierökologie. Foto: Jürgen Rennecke.

Seba­sti­an Steibl M.Sc., Erst­au­tor der neu­en Stu­die, in einem Labor der Bay­reu­ther Tier­öko­lo­gie. Foto: Jür­gen Rennecke.

Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en zu der Fra­ge, wie der Mensch natür­li­che Lebens­räu­me in Küsten­re­gio­nen beein­flusst, ste­hen vor einem grund­sätz­li­chen Pro­blem: In vie­len Fäl­len wer­den Küsten gleich­zei­tig auf sehr unter­schied­li­che Wei­se bewirt­schaf­tet. Sie die­nen der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung als Sied­lungs­raum, wäh­rend die Tou­ris­mus­bran­che mit modern aus­ge­stat­te­ten Hotels und wei­ßen Bade­strän­den ein inter­na­tio­na­les Publi­kum anlockt. Dadurch lässt sich nicht genau ermit­teln, wie sich die­se For­men der Land­nut­zung in Bezug auf ihre öko­lo­gi­schen Fol­gen unter­schei­den. Die Insel­grup­pe der Male­di­ven bie­tet dage­gen einen gro­ßen Vor­teil: Unter­schied­li­che For­men der Land­nut­zung ver­tei­len sich hier auf sepa­ra­te Inseln. Zugleich wei­sen die­se tro­pi­schen Inseln nahe­zu glei­che kli­ma­ti­sche und geo­lo­gi­sche Bedin­gun­gen auf. „Des­halb sind die Male­di­ven gera­de­zu ein idea­les Modell­sy­stem, um ver­schie­den­ar­ti­ge anthro­po­ge­ne Ein­flüs­se auf die Tier­welt in Küsten­re­gio­nen zu iden­ti­fi­zie­ren“, sagt Seba­sti­an Steibl M.Sc., Erst­au­tor der jetzt ver­öf­fent­lich­ten Studie.

Die For­scher unter der Lei­tung von Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Tier­öko­lo­gie inne­hat, haben sich auf den Male­di­ven drei Typen von Inseln genau­er ange­se­hen: von der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung besie­del­te Inseln ohne Tou­ris­mus, aus­schließ­lich tou­ri­stisch genutz­te Inseln und unbe­wohn­te Inseln. Als Modell­or­ga­nis­mus wähl­ten sie dabei Ein­sied­ler­kreb­se. „Die­se klei­nen Tier­chen sind welt­weit ver­brei­te­te Küsten­be­woh­ner mit einer wich­ti­gen öko­lo­gi­schen Funk­ti­on: einer­seits fres­sen Ein­sied­ler­kreb­se ange­spül­tes orga­ni­sches Mate­ri­al aus dem Meer, ande­rer­seits wer­den sie selbst von grö­ße­ren land­le­ben­den Räu­bern gefres­sen. Des­halb bil­den sie ein ent­schei­den­des Bin­de­glied zwi­schen Meer und Inland“, erklärt Laforsch.

Die For­schungs­ar­bei­ten för­der­ten auf­fäl­li­ge Unter­schie­de zutage:

  • An tou­ri­stisch genutz­ten Küsten leben weni­ger Ein­sied­ler­kreb­se. Die­ser Rück­gang der Popu­la­tio­nen um 80 bis 85 Pro­zent ist vor allem dadurch bedingt, dass fei­ne Sand­strän­de künst­lich auf­ge­schüt­tet wer­den und ange­spül­tes orga­ni­sches Mate­ri­al mecha­nisch ent­fernt wird. So führt das tou­ri­sti­sche Ide­al ‚sau­be­rer‘ Strän­de dazu, dass die küsten­be­woh­nen­den Tie­re ihre Nah­rungs­grund­la­ge ver­lie­ren und ihr Lebens­raum klei­ner wird. Eine dau­er­haf­te Besied­lung ohne Tou­ris­mus hat hin­ge­gen kei­nen nega­ti­ven Ein­fluss auf die Popu­la­ti­ons­grö­ße. Dies gilt aller­dings nur für die natur­be­las­se­nen Küsten­ab­schnit­te der besie­del­ten Inseln, die eben­so wie die Küsten unbe­wohn­ter Inseln gro­ße Men­gen orga­ni­schen Mate­ri­als, zum Bei­spiel See­gras, ent­hal­ten. Vie­le Küsten­ab­schnit­te besie­del­ter Inseln sind heu­te jedoch zum Schutz vor Ero­si­on mit Befe­sti­gun­gen aus Beton ver­baut, so dass auch hier der natür­li­che Lebens­raum für die Kreb­se geschrumpft ist.
  • An den Küsten dau­er­haft besie­del­ter Inseln wei­sen die Ein­sied­ler­kreb­se eine um 10 bis 20 Pro­zent klei­ne­re Kör­per­grö­ße auf. Auf der Suche nach einer Erklä­rung haben die For­scher beob­ach­tet, dass die Krebs­tie­re von der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung – wie in vie­len ande­ren Län­dern auch – als Angel­kö­der ver­wen­det wer­den. Dabei wer­den, so ver­mu­ten sie, haupt­säch­lich die grö­ße­ren Tie­re abge­sam­melt, sodass nur noch klei­ne­re Indi­vi­du­en zurück­blei­ben. „Ähn­lich wie es der kom­mer­zi­el­le Fisch­fang bereits bei vie­len Fisch­ar­ten ver­ur­sacht hat, könn­te das grö­ßen­se­lek­ti­ve Absam­meln auch bei den Ein­sied­ler­kreb­sen bewirkt haben, dass ihre Popu­la­tio­nen auf den dau­er­haft besie­del­ten Inseln mitt­ler­wei­le klei­ne­re Indi­vi­du­en ent­hal­ten“, erklärt Steibl.

Damit zeigt die Modell­stu­die bei­spiel­haft, dass zwei For­men der Land­nut­zung ganz unter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen auf Orga­nis­men haben kön­nen. „Dar­aus ergibt sich für die wei­te­re For­schung die Not­wen­dig­keit, die öko­lo­gi­schen Fol­gen mensch­li­cher Land­nut­zung so dif­fe­ren­ziert wie mög­lich auf­zu­schlüs­seln. Nur so las­sen sich wirk­sa­me Umwelt­schutz­maß­nah­men ent­wickeln, die spe­zi­fisch auf die jewei­li­ge Land­nut­zungs­form zuge­schnit­ten sind. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Küsten­re­gio­nen, die am stärk­sten von der wach­sen­den Welt­be­völ­ke­rung betrof­fen sind, denn 50 bis 75 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung leben heu­te in direk­ter Nähe oder unmit­tel­bar an Küsten“, resü­miert Laforsch.

Ver­öf­fent­li­chung:

Steibl, S., & Laforsch, C.: Disen­tang­ling the envi­ron­men­tal impact of dif­fe­rent human distur­ban­ces: a case stu­dy on islands.

Sci­en­ti­fic Reports (2019), DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41598-019–49555‑6

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten von Seba­sti­an Steibl wur­den aus dem Max Weber-Pro­gramm des Frei­staats Bay­ern geför­dert, der­zeit ist er Pro­mo­ti­ons­sti­pen­di­at der Stu­di­en­stif­tung des deut­schen Volkes.