Selbst­hei­lungs­pro­zes­sen auf der Spur: Bay­reu­ther Bio­che­mi­ker erfor­schen außer­ge­wöhn­li­che Regenerationsfähigkeit

Symbolbild Bildung

Pla­na­ri­en sind Wür­mer mit der außer­ge­wöhn­li­chen Eigen­schaft, zer­stör­te oder abge­trenn­te Tei­le ihres Kör­pers wie­der­her­stel­len zu kön­nen. Schon län­ger ist bekannt, dass eine beson­de­re Grup­pe von Pro­te­inen – sie wer­den als PIWI-Pro­te­ine bezeich­net – für die­se Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit unver­zicht­bar ist. Ein For­scher­team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth um den Bio­che­mi­ker Dr. Claus Kuhn hat jetzt die Wir­kungs­wei­se die­ser Pro­te­ine genau­er erforscht. In der Zeit­schrift „Genes & Deve­lo­p­ment“ stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre For­schungs­er­geb­nis­se vor, die das Ver­ständ­nis von Selbst­hei­lungs­pro­zes­sen wei­ter vor­an­brin­gen können.

Schutz der Erbinformation

Welt­weit unter­su­chen For­scher­grup­pen die erstaun­li­che Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit von Pla­na­ri­en. Hier­für erge­ben sich aus der Kom­bi­na­ti­on bio­che­mi­scher Tech­ni­ken mit den Hoch­durch­satz-Tech­ni­ken der Bio­in­for­ma­tik ganz neue Erfolgs­aus­sich­ten. Im Mit­tel­punkt der Stu­die aus Bay­reuth ste­hen Platt­wür­mer der Spe­zi­es Schmid­tea medi­ter­ra­nea. In deren Stamm­zel­len befin­den sich die Pro­te­ine SMEDWI‑2 und SMEDWI‑3. Ohne die­se Pro­te­ine aus der Grup­pe der PIWI-Pro­te­ine kön­nen sich die Wür­mer nicht rege­ne­rie­ren, sie wären noch nicht ein­mal lebens­fä­hig. Wie die Bay­reu­ther For­scher her­aus­ge­fun­den haben, bin­den die bei­den Pro­te­ine an klei­ne RNAs, soge­nann­te piR­NAs. Letz­te­re wer­den dadurch in die Lage ver­setzt, sprin­gen­de Gene (Trans­po­sons) zu erken­nen und abzu­bau­en. Sprin­gen­de Gene haben die Gewohn­heit, ihren Platz inner­halb des Genoms immer wie­der zu wech­seln und Muta­tio­nen aus­zu­lö­sen. Wer­den sie durch piR­NAs abge­baut und unschäd­lich gemacht, ist dies ein wich­ti­ger Bei­trag zur Sta­bi­li­tät der Erb­infor­ma­tio­nen, vor allem in Stamm­zel­len. Auf die­se Wei­se wird jetzt ver­ständ­lich, wie die Stamm­zel­len der Wür­mer die zur Rege­ne­ra­ti­on von Kör­per­tei­len nöti­ge Fle­xi­bi­li­tät auf­recht­erhal­ten, ohne sich dabei selbst zu zerstören.

„Auch beim Men­schen haben piR­NAs eine sol­che sta­bi­li­sie­ren­de Wir­kung, sie kom­men aller­dings nur in Keim­zel­len vor. Bei den Platt­wür­mern sind sie jedoch in gro­ßer Zahl auch in plu­ri­po­ten­ten Stamm­zel­len vor­han­den, die sich in ver­schie­den­ste Zell­ty­pen wei­ter­ent­wickeln und aus­dif­fe­ren­zie­ren. Daher sind Platt­wür­mer als Modell­or­ga­nis­men sehr gut geeig­net, um piR­NAs auf ihre Wir­kungs­wei­se hin zu unter­su­chen“, sagt Dr. Claus Kuhn.

Eine wei­te­re Funk­ti­on von klei­nen RNAs: Abbau von Boten-RNAs

Für SMEDWI‑3 haben die Bay­reu­ther For­scher noch eine wei­te­re Funk­ti­on ent­deckt: Eini­ge piR­NAs, an wel­che die­ses Pro­te­in ange­dockt hat, steu­ern anschlie­ßend kei­ne sprin­gen­den Gene an, son­dern bin­den statt­des­sen mRNAs. Die­se auch als „Boten-RNAs“ bezeich­ne­ten Mole­kü­le ent­hal­ten die Infor­ma­ti­on zur Syn­the­se von Pro­te­inen. In eini­gen Fäl­len wer­den sie von den an SMEDWI‑3 gebun­de­nen piR­NAs abge­baut, in ande­ren Fäl­len wer­den sie durch SMEDWI‑3 nur gebun­den und mög­li­cher­wei­se sogar vor einem Abbau geschützt.

„Wir waren sehr über­rascht, als wir die­se wei­te­re Funk­ti­on von SMEDWI‑3 gefun­den haben, die vom Abbau sprin­gen­der Gene völ­lig unab­hän­gig ist. Es könn­te sein, dass eini­ge der an SMEDWI‑3 gebun­de­nen piR­NAs des­halb für den Abbau von mRNAs ein­ge­setzt wer­den, weil die Stamm­zel­len dadurch sta­bi­ler im Zustand der Plu­ri­po­tenz gehal­ten wer­den kön­nen. Die­ser Zustand wäre mög­li­cher­wei­se gefähr­det, wenn zuviel Boten-RNA für die Pro­te­in­syn­the­se zur Ver­fü­gung steht und genutzt wür­de. Wel­chem Zweck dage­gen eine Bin­dung von SMEDWI‑3 an piR­NAs dient, die nicht zum Abbau von RNA führt, ist noch völ­lig unklar. An die­sem Punkt wer­den wir künf­tig wei­ter for­schen“, sagt Iana Kim, Erst­au­torin der neu­en Stu­die und Dok­to­ran­din im Labor von Dr. Claus Kuhn.

Ver­öf­fent­li­chung:

Iana Kim et al.: Pla­na­ri­ans recruit piR­NAs for mRNA tur­no­ver in adult stem cells, Genes & Deve­lo­p­ment (2019),

DOI: https://​dx​.doi​.org/​1​0​.​1​1​0​1​/​g​a​d​.​3​2​2​7​7​6​.​118