Leser­brief: Beru­fungs­ur­teil – Kei­ne Benut­zungs­pflicht für soge­nann­te „Schutz­strei­fen“

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Sehr geehr­te Damen und Herren!

Die soge­nann­ten „Schutz­strei­fen“, durch Leit­li­nie (unter­bro­che­ne Mar­kie­rung) von der Kern­fahr­bahn abge­trenn­te Berei­che, zäh­len recht­lich zur Fahr­bahn. Dies unter­schei­det sie von bau­li­chen Rad­we­gen sowie von Rad­fahr- und Sei­ten­strei­fen. Letz­te­re wer­den bei­de mit­tels einer durch­ge­hen­den Mar­kie­rung von der Fahr­bahn abge­trennt. Rad­fahr­strei­fen sind defi­ni­ti­ons­ge­mäß benut­zungs­pflich­ti­ge (!) Son­der­we­ge (Ver­kehrs­zei­chen 237) für den Rad­ver­kehr. Sei­ten­strei­fen hin­ge­gen dür­fen von Rad­fah­rern benutzt wer­den, müs­sen es hin­ge­gen selbst dann nicht, wenn sie mit Fahr­rad­pik­to­gram­men gekenn­zeich­net sind.

„Schutz­strei­fen“ waren ursprüng­lich für den Fall vor­ge­se­hen, daß eine aus ver­kehr­li­chen Grün­den (das nor­ma­le Maß erheb­lich über­stei­gen­de Gefah­ren­la­ge auf der Fahr­bahn) zuläs­si­ge Anord­nung eines benut­zungs­pflich­ti­gen Son­der­wegs (Rad­fahr­strei­fen oder beschil­de­ter bau­li­cher Rad­weg) an den räum­li­chen Gege­ben­hei­ten schei­tert. Zwangs­läu­fig kann dies kei­ne sinn­vol­le Maß­nah­me sein. Wenn näm­lich die Ver­hält­nis­se der­art beengt sind, dürf­te kein Kraft­fahr­zeug einen Rad­fah­rer über­ho­len. Denn der vor­ge­schrie­be­ne seit­li­che Sicher­heits­ab­stand, laut gän­gi­ger Recht­spre­chung min­de­stens 1,50 m, ist unmög­lich ein­zu­hal­ten. Die mar­kier­te Abtren­nung des „Schutz­strei­fens“ aber ver­lei­tet vie­le Kraft­fah­rer dazu, die Rad­ler haut­eng zu pas­sie­ren. Denn sie neh­men irr­tüm­lich an, die Trenn­li­nie böte aus­rei­chen­den Schutz (das Pro­blem tritt bei allen ande­ren For­men fahr­bahn­par­al­le­ler Rad­ver­kehrs­füh­rung ohne aus­rei­chen­den Sicher­heits­ab­stand eben­so auf). Schon ein wenig Nach­den­ken zeig­te auf, daß sie dies gar nicht kann.

Gemäß gän­gi­ger Rechts­auf­fas­sung dür­fen Rad­fah­rer einen seit­li­chen Abstand zum Fahr­bahn­rand von ca. 1 m ein­hal­ten – bei Anwe­sen­heit von Fuß­gän­gern auf dem neben­lie­gen­den Geh­steig müs­sen sie dies sogar. Zu par­ken­den Kraft­fahr­zeu­gen kann er – je nach Tür­brei­te des Kfz – bis zu 1,5 m betra­gen. Ein, wie auch in Bam­berg häu­fi­ge Pra­xis, ohne ent­spre­chen­den Sicher­heits­raum mar­kier­ter „Schutz­strei­fen“ ermög­licht dies schon bei Regel­brei­te (1,5 m) nicht, ohne die Kern­fahr­bahn mit in Anspruch zu neh­men. Doch viel­fach wird sogar der vor­ge­schrie­be­ne Min­dest­quer­schnitt (1,25 m) nicht erreicht.

Lei­der hat der Ver­ord­nungs­ge­ber die Anla­ge sol­cher „Schutz­strei­fen“ durch Ände­rung der Stra­ßen­ver­kehrs-Ord­nung im Jah­re 2013 erleich­tert. Seit­dem ist es nicht mehr erfor­der­lich, daß sie der Ver­kehrs­si­cher­heit die­nen: „Um die Anla­ge von Fahr­rad­stra­ßen und Schutz­strei­fen zu för­dern, wird … eine Ergän­zung des § 45 Absatz 9 vor­ge­nom­men. Denn die­se Rad­ver­kehrs­an­la­gen dürf­ten in den wenig­sten Fäl­len unter Ver­kehrs­si­cher­heits­aspek­ten zwin­gend gebo­ten sein“ (Bun­des­rat, Druck­sa­che 428/12). Bam­berg macht von die­ser Mög­lich­keit in den letz­ten Jah­ren reich­lich Gebrauch und pro­vo­ziert gera­de­zu, daß Rad­fah­rer ohne den not­wen­di­gen Sei­ten­ab­stand über­holt werden.

Nun ist nir­gend­wo fest­ge­schrie­ben, daß Rad­fah­rer die „Schutz­strei­fen“ auch befah­ren müs­sen. Zwar gilt für sie – wie für alle Fahr­zeug­füh­rer – das grund­sätz­li­che Rechts­fahr­ge­bot. Doch die­ses schließt die Beach­tung not­wen­di­ger Abstän­de mit­nich­ten aus. Wäh­rend Kraft­fahr­zeu­ge die „Schutz­strei­fen“ nur bei Bedarf und ohne Gefähr­dung des Rad­ver­kehrs befah­ren dür­fen, die­se für sie somit eine Beschrän­kung dar­stel­len, kön­nen, dür­fen und soll­ten Rad­ler sie als nor­ma­len Fahr­bahn­be­reich anse­hen. Das bedeu­tet, daß sie regel­mä­ßig die Kern­fahr­bahn (mit-)benutzen, da sie sonst zu dicht am Fahr­bahn­rand oder an par­ken­den Kraft­fahr­zeu­gen vor­bei führen.

Tat­säch­lich hat sich aber – bei Kraft­fah­rern, Poli­zei, Ver­kehrs­be­hör­den, Gerich­ten, selbst bei den betrof­fe­nen Rad­fah­rern – zuneh­mend der Irr­glau­be fest­ge­setzt, „Schutz­strei­fen“ wären benut­zungs­pflich­tig, dürf­ten nicht ver­las­sen wer­den. In Bam­berg hat sich bei­spiels­wei­se ein füh­ren­der Kom­mu­nal­po­li­ti­ker öffent­lich beklagt, daß Rad­ler an ste­hen­den Lini­en­bus­sen, deren Hal­te­stel­le den „Schutz­strei­fen“ unter­bricht, vor­bei­fah­ren. Bes­ser hät­te er die unfall­träch­ti­ge Ver­kehrs­füh­rung kritisiert.

Begrün­det wird die (fal­sche) Rechts­auf­fas­sung wie folgt: Der „Schutz­strei­fen“ kon­kre­ti­sier­te das Rechts­fahr­ge­bot, indem er vor­gä­be, wie weit rechts zu radeln wäre. Tat­säch­lich aber führt die Beach­tung die­ser ver­meint­li­chen Vor­ga­be zu einer erheb­li­chen Selbst­ge­fähr­dung. Die sei­tens der Recht­spre­chung vor­ge­ge­be­nen Abstän­de, die so nicht ein­zu­hal­ten sind, die­nen schließ­lich der Sicherheit.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Han­no­ver und – in der Beru­fungs­ver­hand­lung – das nie­der­säch­si­sche Ober­ver­wal­tungs­ge­richt haben der irri­gen, Rad­fah­rer erheb­lich gefähr­den­den Inter­pre­ta­ti­on einen Rie­gel vor­ge­scho­ben. Einem Rad­fah­rer, der wegen der durch den „Schutz­strei­fen“ ver­ur­sach­ten Gefah­ren des­sen Auf­he­bung erstrei­ten woll­te, spra­chen sie ein ent­spre­chen­des Rechts­schutz­be­dürf­nis ab. Denn die­se Ver­kehrs­füh­rung stel­le für den Rad­ver­kehr kei­ner­lei Beschrän­kung dar, wes­halb somit auch kei­ne dies­be­züg­li­che Gefähr­dung bewirkt wer­den kön­ne. Dem Rad­ler sei frei­ge­stellt, unter Miß­ach­tung des mar­kier­ten „Schutz­strei­fens“ die Stra­ße der­ge­stalt zu befah­ren, daß er die zu sei­ner Sicher­heit erfor­der­li­chen Abstän­de ein­hal­ten könne:

www​.fahr​rad​zu​kunft​.de/​2​7​/​s​c​h​u​t​z​s​t​r​e​i​f​e​n​-​k​l​a​g​e​b​e​f​u​g​n​is/

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig