Mus­kel­krank­heit ALS: Bay­reu­ther Bio­lo­gen ent­decken gestör­te zel­lu­lä­re Selbstreinigung

Symbolbild Bildung

Amy­o­tro­phe Late­ral­skle­ro­se (ALS) ist eine bis heu­te unheil­ba­re Erkran­kung des Ner­ven­sy­stems. Dabei wer­den die für die Mus­kel­be­we­gun­gen zustän­di­gen Ner­ven­zel­len fort­schrei­tend geschä­digt. Der kürz­lich ver­stor­be­ne bri­ti­sche Phy­si­ker Ste­phen Haw­king litt unter die­ser dege­ne­ra­ti­ven Krank­heit. Ein inter­na­tio­na­les For­scher­team unter Lei­tung des Bay­reu­ther Zell­bio­lo­gen Dr. Ralf Braun hat jetzt zel­lu­lä­re Vor­gän­ge ent­deckt, die mög­li­cher­wei­se wesent­lich an der Ent­ste­hung von ALS betei­ligt sind: Das patho­ge­ne Pro­te­in TDP‑43 behin­dert sei­nen eige­nen Abbau und stört so die Selbst­rei­ni­gung der Ner­ven­zel­len. In der Zeit­schrift Human Mole­cu­lar Gene­tics stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre Erkennt­nis­se vor.

Pro­te­in­klum­pen schä­di­gen Nervenzellen

Im Zell­plas­ma der Ner­ven­zel­len von Men­schen, die an ALS erkrankt sind, sind zahl­rei­che Ver­klum­pun­gen falsch gefal­te­ter Pro­te­ine ent­hal­ten. In vie­len Fäl­len bestehen sie aus dem Pro­te­in TDP‑43. Im Zell­kern wird die­ses Pro­te­in unter ande­rem für das Able­sen von Erb­infor­ma­tio­nen benö­tigt. Wenn es sich jedoch im Zell­plas­ma anrei­chert, kann es patho­ge­ne Wir­kun­gen ent­fal­ten. Dr. Ralf Braun hat nun mit sei­ner Arbeits­grup­pe unter­sucht, wie Zel­len die schäd­li­chen Pro­te­in­klum­pen abbau­en kön­nen und wel­chen Ein­fluss dies auf das Über­le­ben der Zel­len hat. Die Bay­reu­ther Zell­bio­lo­gen haben dabei eng mit For­schern aus Graz, Stock­holm und Utrecht zusam­men­ge­ar­bei­tet. Die Unter­su­chun­gen wur­den an Hefe­zel­len durch­ge­führt, die in der zell­bio­lo­gi­schen Grund­la­gen­for­schung als Modell­or­ga­nis­men aner­kannt sind. Denn eini­ge wesent­li­che zel­lu­lä­re Pro­zes­se sind in Hefe­zel­len und mensch­li­chen Ner­ven­zel­len sehr ähnlich.

Zwei Wege der Selbst­rei­ni­gung im Zellplasma

Jede Ner­ven­zel­le des Men­schen und jede Hefe­zel­le ent­hält Orga­nel­len, die für die Ver­dau­ung zustän­dig sind. Sie wer­den im Men­schen als Lys­o­so­men und in der Hefe als Vakuo­len bezeich­net. Ihre Auf­ga­be ist es, schäd­li­ches oder nicht benö­tig­tes Bio­ma­te­ri­al zu ent­sor­gen oder zu recy­celn. Damit nun die Lys­o­so­men patho­ge­nes TDP‑43 besei­ti­gen kön­nen, müs­sen sie die­ses Pro­te­in auf­neh­men. Das geschieht im Wesent­li­chen auf zwei Wegen, die ent­spre­chend auch in Hefe­zel­len vorkommen:

  • Einer­seits wer­den Pro­te­in­klum­pen aus TDP‑43 im Zell­plas­ma von einer Dop­pel­mem­bran umschlos­sen. Dabei ent­ste­hen klei­ne kugel­för­mi­ge Struk­tu­ren, die Auto­pha­go­so­men. Die­se ver­schmel­zen mit den Lys­o­so­men und set­zen hier die Pro­te­in­klum­pen den Enzy­men aus, die für den Abbau von TDP‑43 zustän­dig sind.
  • Ande­rer­seits ent­hält das Zell­plas­ma mul­ti­ves­iku­lä­re Kör­per­chen, in deren Ein­buch­tun­gen TDP‑43-Mole­kü­le ein­ge­schlos­sen wer­den kön­nen. Die mul­ti­ves­iku­lä­ren Kör­per­chen ver­schmel­zen eben­falls mit den Lys­o­so­men und ermög­li­chen so den Abbau von TDP‑43.

Das patho­ge­ne Pro­te­in TDP‑43 sabo­tiert den eige­nen Abbau

Wie die Bay­reu­ther For­scher jetzt her­aus­ge­fun­den haben, bewirkt eine hohe Kon­zen­tra­ti­on von TDP‑43 im Zell­plas­ma, dass der über die mul­ti­ves­iku­lä­ren Kör­per­chen füh­ren­de Ent­sor­gungs­weg gestört ist. „Offen­sicht­lich haben wir es mit einem patho­ge­nen Pro­te­in zu tun, das sei­nen eige­nen Abbau sabo­tiert. Die Vakuo­len in Hefe und die Lys­o­so­men im Men­schen kön­nen ihrer Funk­ti­on als Recy­clings­tel­le nur unzu­rei­chend nach­kom­men“, sagt Chri­sti­ne Lei­bi­ger, die Erst­au­torin der neu­en Studie.

Die For­scher ver­mu­ten, dass dadurch auch die Ent­sor­gung von TDP‑43 durch Auto­pha­go­so­men beein­träch­tigt ist. Denn die mul­ti­ves­iku­lä­ren Kör­per­chen füh­ren den Lys­o­so­men nicht nur TDP‑43 zu, son­dern ver­sor­gen sie auch mit Enzy­men, die für Ver­dau­ungs­pro­zes­se benö­tigt wer­den. Sobald die Zulie­fe­rung nicht mehr rei­bungs­los funk­tio­niert, kann – so die Hypo­the­se – auch das von den Auto­pha­go­so­men trans­por­tier­te TDP‑43 nicht mehr zügig abge­baut werden.

Wei­te­re Forschungsschritte

„Vie­le For­schungs­ar­bei­ten, die sich mit der Ent­ste­hung von ALS und mit mög­li­chen The­ra­pie­an­sät­zen befas­sen, inter­es­sie­ren sich haupt­säch­lich für den Abbau von TDP‑43 durch Auto­pha­go­so­men. Mit unse­rer Stu­die rücken wir dage­gen die mul­ti­ves­iku­lä­ren Kör­per­chen in den Fokus. Mög­li­cher­wei­se haben sie für die Selbst­rei­ni­gungs­kräf­te von Ner­ven­zel­len eine grund­le­gen­de, bis­her unter­schätz­te Bedeu­tung“, erklärt Dr. Ralf Braun. Schon jetzt plant er mit sei­ner Arbeits­grup­pe wei­te­re Unter­su­chun­gen, die auf den jetzt ver­öf­fent­lich­ten Ergeb­nis­sen auf­bau­en. Dabei wird es ins­be­son­de­re um die Fra­ge gehen, wel­che Enzy­me die durch TDP‑43 geschwäch­te Selbst­rei­ni­gung der Ner­ven­zel­len wie­der in Gang set­zen und robu­ster machen können.

Ver­öf­fent­li­chung:

Chri­sti­ne Lei­bi­ger, Jana Dei­sel, Andre­as Auf­schnai­ter, Ste­fa­nie Ambros, Maria Teresh­chen­ko, Bert M Ver­hei­jen, Sabri­na Bütt­ner, Ralf J Braun: TDP-43 con­trols lys­o­so­mal pathways ther­eby deter­mi­ning its own cle­ar­ance and cyto­to­xi­ci­ty, Human Mole­cu­lar Gene­tics (2018), DOI: 10.1093/hmg/ddy066

For­schungs­för­de­rung:

Die Stu­die wur­de von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG), der Deut­schen Gesell­schaft für Mus­kel­kran­ke e.V. (DGM), dem Öster­rei­chi­schen Wis­sen­schafts­fonds (FWF) und dem Schwe­di­schen For­schungs­rat gefördert.