Bay­reu­ther For­scher ergrün­den Pla­sti­zi­tät von Nervenzellen

Symbolbild Bildung

Was unser Gehirn fle­xi­bel macht

Nur lern­fä­hi­ge Gehir­ne kön­nen fle­xi­bel auf die Umwelt reagie­ren. Daher sind die Ner­ven­zel­len im Gehirn von Men­schen und Tie­ren in der Lage, eige­ne Funk­tio­nen so zu ver­än­dern und zu erwei­tern, dass sie für immer neue Anfor­de­run­gen gewapp­net sind. Die­se neu­ro­na­le Pla­sti­zi­tät ist dar­in begrün­det, dass elek­tri­sche Signa­le in den Ner­ven­bah­nen in gene­ti­sche Signa­le über­setzt wer­den. Wie dies geschieht, wol­len die Bay­reu­ther For­scher Dr. Claus‑D. Kuhn (Bio­che­mie) und Prof. Dr. Ger­rit Bege­mann (Ent­wick­lungs­bio­lo­gie) in einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Pro­jekt her­aus­fin­den, das von der DFG mit 230.000 Euro geför­dert wird. Die Ergeb­nis­se wer­den vor allem für die Behand­lung neu­ro­na­ler Erkran­kun­gen von gro­ßem Inter­es­se sein.

Wenn Ner­ven­zel­len in unse­rem Gehirn fort­lau­fend durch elek­tri­sche Signa­le ange­regt wer­den, wird auch ihre mole­ku­la­re Aus­stat­tung davon lang­fri­stig beein­flusst. Spe­zi­el­le Gene, die Imme­dia­te Ear­ly Genes (IEGs), kön­nen auf die fort­wäh­ren­den elek­tri­schen Rei­ze reagie­ren – und sie tun dies, indem sich ihre eige­ne Kon­zen­tra­ti­on in den sti­mu­lier­ten Ner­ven­zel­len blitz­schnell erhöht. Die­se plötz­li­che Ver­meh­rung der IEGs hat dann wie­der­um einen erheb­li­chen Ein­fluss dar­auf, wel­che Gene der Ner­ven­zel­len in Ribo­nu­kle­in­säu­ren (RNAs) über­setzt und damit für die Her­stel­lung lebens­wich­ti­ger Pro­te­ine genutzt wer­den. Bio­che­misch gespro­chen: Der Anstieg der IEGs in unse­ren Ner­ven­zel­len beein­flusst die Gen­ex­pres­si­on, also die Akti­vi­tät bestimm­ter Gene. Elek­tri­sche Signa­le wer­den so zu gene­ti­schen Signa­len: Sie steu­ern die Ent­wick­lung des Gehirns eines Embry­os, und sie ver­lei­hen dem Gehirn von Kin­dern und auch von Erwach­se­nen die Fähig­keit, sich auf immer neue Reiz­si­tua­tio­nen einzustellen.

Vom Zebra­bärbling zum Menschen

Mit ihrem neu­en Pro­jekt an der Schnitt­stel­le von Bio­che­mie und Ent­wick­lungs­bio­lo­gie wol­len Dr. Claus‑D. Kuhn und Prof. Dr. Ger­rit Bege­mann die Ver­bin­dung zwi­schen elek­tri­scher Reiz­wei­ter­lei­tung und Ände­run­gen der Gen­ex­pres­si­on in unse­ren Ner­ven­zel­len genau­er auf­klä­ren. Als Modell­or­ga­nis­mus dient dabei das Gehirn des Zebra­bärblings, auch Zebra­fisch genannt. „Die­ses Tier­mo­dell hat den Vor­teil, dass sei­ne Embryo­nen durch­sich­tig sind. Durch moder­ne gene­ti­sche Metho­den kön­nen wir ein­zel­ne Zel­len sicht­bar machen oder in ihre Ent­wick­lung ein­grei­fen. Wir sind heu­te in der Lage, die Ent­wick­lung der Ner­ven­zel­len mit bild­ge­ben­den Ver­fah­ren prä­zi­se zu ver­fol­gen und bio­me­di­zi­nisch wich­ti­ge Rück­schlüs­se auf die Ent­wick­lung mensch­li­cher Ner­ven­zel­len zu zie­hen“, erklärt Bege­mann, der sich an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth seit vie­len Jah­ren mit der Rege­ne­ra­ti­on bei Zebra­fi­schen befasst.

Nicht-kodie­ren­de RNAs in der Hauptrolle

Um den Ursa­chen für die neu­ro­na­le Pla­sti­zi­tät unse­rer Ner­ven­zel­len auf die Spur zu kom­men, sind in Ergän­zung der Arbeit am Zebra­fisch umfang­rei­che bio­che­mi­sche Unter­su­chun­gen erfor­der­lich. Im Mit­tel­punkt des Inter­es­ses ste­hen dabei spe­zi­el­le mole­ku­la­re Ein­hei­ten, die über­all in der mensch­li­chen DNA vor­kom­men und als Enhan­cer bezeich­net werden.

„Schon lan­ge ist bekannt, dass Enhan­cer die Gen­ak­ti­vi­tät dadurch beein­flus­sen, dass Tran­skrip­ti­ons­fak­to­ren in unter­schied­li­chen Kom­bi­na­tio­nen an sie andocken. Dadurch wird das Able­sen der Gene und deren Über­set­zung in RNAs ent­schei­dend vor­be­rei­tet. Erst in den letz­ten Jah­ren hat sich aber her­aus­ge­stellt, dass es noch einen wei­te­ren Weg der Beein­flus­sung gibt, und genau hier liegt offen­bar ein Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der neu­ro­pla­sti­schen Pla­sti­zi­tät“, erläu­tert Kuhn. Die Enhan­cer wer­den näm­lich, da es sich um Tei­le der DNA han­delt, auch ihrer­seits in RNAs über­setzt. Die Enhan­cer-RNAs ent­hal­ten zwar kei­ne Bau­plä­ne für Pro­te­ine – sie wer­den des­halb als nicht-kodie­ren­de RNAs bezeich­net – , aber sie tra­gen wesent­lich zur Ver­meh­rung und Akti­vie­rung von Imme­dia­te Ear­ly Genes bei. „Wie die Enhan­cer-RNAs die IEGs akti­vie­ren und wie die IEGs dann ihrer­seits das Able­sen der Gene und folg­lich die Pro­te­in­her­stel­lung beein­flus­sen, wird ein zen­tra­les The­ma unse­res Pro­jekts sein“, so Kuhn.
An genau die­sem Punkt erwar­ten die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler ent­schei­den­de Erkennt­nis­se von den Unter­su­chun­gen am Zebra­bärbling: „Die ‚Krö­nung‘ unse­res Pro­jekts wird es sein, wenn es uns gelingt, den Ein­fluss von Enhan­cer-RNAs auf die Ner­ven­zel­len-Ent­wick­lung im Zebra­bärbling in allen Sta­di­en nach­zu­zeich­nen“, sagt Begemann.

For­schungs­för­de­rung

Das von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft für drei Jah­re bewil­lig­te Pro­jekt ist Teil des DFG-Schwer­punkt­pro­gramms 1738 „Non-coding RNAs in Ner­vous System Deve­lo­p­ment, Pla­sti­ci­ty and Dise­a­se“, an dem ins­ge­samt 21 Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­in­sti­tu­te in Deutsch­land betei­ligt sind.

Bay­reu­ther Pro­jek­te zu neu­ro­na­len Enhan­cer-RNAs (eRNAs):
www​.kuhn​lab​.uni​-bay​reuth​.de/​e​n​/​r​e​s​e​a​r​c​h​/​r​e​s​e​a​r​c​h​_​e​R​N​As/