Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Ein neu­ar­ti­ger Mikro­chip mit hohem Anwendungspotenzial

Symbolbild Bildung

Wie kann man einen Flüs­sig­keits­strahl erzeu­gen, der um ein Viel­fa­ches dün­ner ist als ein mensch­li­ches Haar? Wie ist es mög­lich, den win­zi­gen Durch­mes­ser und die Dyna­mik die­ses Strahls zu kon­trol­lie­ren und exakt vor­her­zu­be­stim­men? Ein neu­ar­ti­ger Kunst­stoff-Mikro­chip bie­tet fle­xi­ble Lösun­gen für die­ses Pro­blem. Dr. Mar­tin Treb­bin an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth hat ihn – in Koope­ra­ti­on mit einem inter­na­tio­na­len For­schungs­team – kon­zi­piert, im Labor gefer­tigt und erfolg­reich erprobt. Die neue Ent­wick­lung ist von hoher tech­no­lo­gi­scher Rele­vanz, bei­spiels­wei­se für die Mikro­bio­ana­ly­tik, die medi­zi­ni­sche Wirk­stoff-For­schung oder die Mikro­fa­ser­pro­duk­ti­on. Auf­grund sei­ner erfolg­rei­chen For­schungs­ar­bei­ten hat der Bay­reu­ther Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler jetzt einen Ruf auf eine W1-Juni­or­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Ham­burg erhalten.

Fein­ste Trans­port­bah­nen auf eng­stem Raum

Der durch­sich­ti­ge Kunst­stoff-Mikro­chip ist nicht viel grö­ßer als eine 1‑Cent-Mün­ze. Er besitzt ein sehr fei­nes System von Mikro­ka­nä­len sowie eine Düse, aus der ein extrem dün­ner Flüs­sig­keits­strahl aus­tre­ten kann. Die­ser ‚Flüs­sig­keits-Jet‘ hat je nach Kon­struk­ti­on des Chips einen Durch­mes­ser von weni­gen Mikro­me­tern. Der von Dr. Treb­bin gefer­tig­te Chip erzeugt einen Strahl, der – unter dem Elek­tro­nen­mi­kro­skop gemes­sen – nur 2,46 Mikro­me­ter dünn ist, wäh­rend ein mensch­li­ches Haar rund 20 mal so dick ist. Oder anders gesagt: Wür­de man eine 1‑Eu­ro-Mün­ze in 1000 über­ein­an­der lie­gen­de Schei­ben zer­schnei­den, wäre der Strahl unge­fähr so dünn wie eine die­ser Schei­ben. Die Flüs­sig­keits­men­gen, die der Strahl trans­por­tiert, sind ent­spre­chend gering. Sie lie­gen je nach Ver­wen­dung des Chips bei 150 bis 1000 Mikro­li­tern pro Stun­de. Mit einer 1‑Li­ter-Was­ser­fla­sche lie­ße sich ein Flüs­sig­keits­strahl bei einer Fluss­ra­te von 500 Mikro­li­tern pro Stun­de rund 12 Wochen lang durch­gän­gig betreiben.

Kri­stal­lo­gra­phi­sche Ana­ly­sen bis­her unzu­gäng­li­cher Pro­te­ine – neue Chan­cen für die Struk­tur­bio­lo­gie und die Wirkstoff-Forschung

Seit die räum­li­che Struk­tur des mensch­li­chen Erb­guts bereits in den 1950er Jah­ren mit­hil­fe der Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phie auf­ge­klärt wer­den konn­te, wird die­ses Ver­fah­ren ein­ge­setzt, um Bio­mo­le­kü­le zu ana­ly­sie­ren, die bei­spiels­wei­se für den Stoff­wech­sel oder für Alte­rungs­pro­zes­se eine zen­tra­le Rol­le spie­len. Weil aber die Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phie in der Regel zu schwa­che Bil­der von ein­zel­nen Pro­te­inen lie­fert, war man zunächst dazu über­ge­gan­gen, aus­ge­hend von ein­zel­nen Bio­mo­le­kü­len gro­ße Kri­stall­struk­tu­ren her­zu­stel­len. Die­se Kri­stal­le ermög­li­chen deut­lich prä­zi­se­re Ein­blicke in die Struk­tu­ren der Ein­zel­mo­le­kü­le. Ihre Züch­tung im Labor ist aller­dings sehr zeit­auf­wän­dig, und es gibt zahl­rei­che Pro­te­ine, die kei­ne Kri­stal­le in aus­rei­chen­der Grö­ße bil­den oder nur in zu gerin­gen Men­gen ver­füg­bar sind.

In den letz­ten Jah­ren konn­te die Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phie jedoch so wei­ter­ent­wickelt wer­den, dass bereits klei­ne Men­gen win­zi­ger Kri­stal­le im Nano­me­ter­be­reich aus­rei­chen, um detail­lier­te Infor­ma­tio­nen über die Struk­tu­ren ein­zel­ner Pro­te­ine zu gewin­nen. Der­art klei­ne Kri­stal­le las­sen sich wesent­lich ein­fa­cher her­stel­len, so dass jetzt eine Viel­zahl zuvor unzu­gäng­li­cher Pro­te­ine unter­sucht wer­den kön­nen. Bei die­sen neu­ar­ti­gen Ana­ly­sen kom­men so genann­te Rönt­gen-Freie-Elek­tro­nen-Laser – X‑ray free elec­tron laser, kurz: XFEL – zum Ein­satz. Die­se noch jun­ge Tech­no­lo­gie ist umso erfolg­rei­cher, je effi­zi­en­ter es gelingt, vie­le sol­cher Nano-Pro­te­in­kri­stal­le nach­ein­an­der den ultra­kur­zen Rönt­gen­blit­zen auszusetzen.

An genau die­sem Punkt eröff­net der von Dr. Mar­tin Treb­bin ent­wickel­te Mikro­chip wert­vol­le Mög­lich­kei­ten. Die zu unter­su­chen­den Pro­te­ine wer­den in spe­zi­el­le Lösun­gen gege­ben, in denen sich dann nano­me­ter­gro­ße Pro­te­in­kri­stal­le bil­den. Im näch­sten Schritt wird dar­aus mit­hil­fe des Mikro­chips ein Flüs­sig­keits­strahl erzeugt, der außer­or­dent­lich effi­zi­ent ist. Denn er ist so dünn, dass ein­zel­ne Nano­kri­stal­le nach­ein­an­der aus dem Chip aus­tre­ten und nun von den blitz­ar­ti­gen Rönt­gen­pul­sen des Freie-Elek­tro­nen-Lasers getrof­fen wer­den kön­nen. Die dabei ent­ste­hen­den seri­el­len Auf­nah­men bie­ten zusam­men ein prä­zi­ses Bild von der drei­di­men­sio­na­len Struk­tur des jewei­li­gen Proteins.

„Die For­schungs­idee, die XFEL-Tech­no­lo­gie mit einem sol­chen dün­nen Flüs­sig­keits­strahl zu kom­bi­nie­ren, ist erst vor weni­gen Jah­ren gebo­ren wor­den“, erklärt Dr. Treb­bin. „Der Mikro­chip, den wir hier in Bay­reuth ent­wickelt haben, hat nun das Poten­zi­al, die syste­ma­ti­sche Umset­zung der Idee der seri­el­len Fem­to­se­kun­den-Nano­kri­stal­lo­gra­fie erheb­lich vor­an­zu­brin­gen. Denn die Struk­tu­ren wich­ti­ger Bio­mo­le­kü­le, wel­che zuvor nur schwer oder nicht zugäng­lich waren, las­sen sich jetzt rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phisch mit hoher Prä­zi­si­on unter­su­chen. Nicht allein die struk­tur­bio­lo­gi­sche Grund­la­gen­for­schung, son­dern auch die Ent­wick­lung neu­er medi­zi­ni­scher Wirk­stof­fe kön­nen von den so gewon­ne­nen Erkennt­nis­sen profitieren.“

Koope­ra­tio­nen mit Großforschungseinrichtungen

In den näch­sten Jah­ren will Dr. Treb­bin mit dem Deut­schen Elek­tro­nen-Syn­chro­tron (DESY) in Ham­burg noch enger als bis­her zusam­men­ar­bei­ten. Hier ent­steht der­zeit das „Euro­pean XFEL“, ein weit­räu­mi­ges und in Euro­pa ein­zig­ar­ti­ges For­schungs­zen­trum, das die XFEL-Tech­no­lo­gie syste­ma­tisch wei­ter­ent­wickeln und anwen­den wird. Auch die Koope­ra­ti­on mit dem LCLS-SLAC Natio­nal Acce­le­ra­tor Labo­ra­to­ry in Stanford/​USA, das aktu­ell das welt­weit füh­ren­de XFEL-Zen­trum ist, soll in Zukunft noch wei­ter aus­ge­baut werden.

Mög­li­che Anwen­dun­gen in der Mikro­fa­ser­pro­duk­ti­on und der Ver­ar­bei­tung phar­ma­zeu­ti­scher Wirkstoffe

Über die Rönt­gen­kri­stal­lo­gra­phie hin­aus zeich­nen sich wei­te­re Ein­satz­mög­lich­kei­ten des neu­en Mikro­chips ab. Denn auch extrem dün­ne Fasern las­sen sich damit erzeu­gen. Sol­che Fasern sind der Roh­stoff für sehr dich­te Gewe­be­struk­tu­ren, die eine außer­or­dent­li­che Ela­sti­zi­tät und Reiß­fe­stig­keit besit­zen kön­nen und daher nicht nur für die Tex­til­in­du­strie, son­dern bei­spiels­wei­se auch für die Medi­zin­tech­nik hoch­in­ter­es­sant sind. Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel sind Fasern aus rekom­bi­nan­ter Spin­nen­sei­de, die an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth von Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel ent­wickelt wurden.
Nicht zuletzt erlaubt der Mikro­chip die Bil­dung win­zi­ger Mikro­trop­fen oder fei­ner Nano­sprays. Auf die­se Wei­se kann er bei der Ver­ar­bei­tung phar­ma­zeu­ti­scher Wirk­stof­fe, bei­spiels­wei­se bei der Sprüh­trock­nung, ein­ge­setzt wer­den. So lässt sich die Lager­be­stän­dig­keit von Medi­ka­men­ten ver­bes­sern oder deren Frei­set­zung im Kör­per beeinflussen.

Der Luft­druck macht’s – ein wei­tes Feld für inno­va­ti­ve Kombinationen

Der neue Mikro­chip besteht aus dem Kunst­stoff PDMS (Poly­di­me­thyl­sil­oxan) und wur­de mit­hil­fe eta­blier­ter weich­li­tho­gra­phi­scher Ver­fah­ren gefer­tigt. Sei­ne her­vor­ra­gen­de Lei­stungs­fä­hig­keit beruht dar­auf, dass er nach dem Prin­zip der gas-dyna­mi­schen vir­tu­el­len Düse (GDVN) kon­stru­iert ist. Dabei wirkt Luft oder ein ande­res Gas­ge­misch in einer exakt defi­nier­ten Wei­se auf die Flüs­sig­keit ein und führt dazu, dass der Durch­mes­ser des aus der Düse aus­tre­ten­den Strahls erheb­lich klei­ner ist als der Durch­mes­ser der Düse. Die dyna­mi­schen Eigen­schaf­ten des Strahls hän­gen davon ab, wie der Chip im Inne­ren auf­ge­baut ist. „Hier eröff­net sich ein wei­tes Feld für Kon­struk­tio­nen, aus denen inter­es­san­te, heu­te noch gar nicht abseh­ba­re tech­ni­sche Anwen­dun­gen her­vor­ge­hen kön­nen“, meint Dr. Treb­bin. Er denkt dabei auch an die Mög­lich­keit, eine grö­ße­re Anzahl von Düsen her­stel­len und kom­bi­nie­ren zu kön­nen – sei es, dass sie neben­ein­an­der oder hin­ter­ein­an­der geschal­tet werden.

Im Rück­blick auf die bis­her gelei­ste­ten For­schungs­ar­bei­ten ver­weist der Bay­reu­ther Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler auf die enge Koope­ra­ti­on in den Labo­ra­to­ri­en des von Prof. Dr. Ste­phan För­ster gelei­te­ten Lehr­stuhls Phy­si­ka­li­sche Che­mie I. „Die For­schun­gen am Mikro­chip waren ein wesent­li­cher Bei­trag zu mei­ner Dis­ser­ta­ti­on. Ohne die tech­ni­sche und orga­ni­sa­to­ri­sche Unter­stüt­zung, die ich dabei von den hie­si­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern erhal­ten habe, wäre die­ses Pro­jekt längst nicht so erfolg­reich verlaufen.“

Die For­schungs­ar­bei­ten waren Teil des von Prof. För­ster koor­di­nier­ten Pro­jekts STREAM, das durch einen ERC Advan­ced Grant geför­dert wird, und wur­den zudem vom Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) unterstützt.

Ver­öf­fent­li­chung:

Mar­tin Treb­bin, Kili­an Krü­ger, Dani­el DePon­te, Ste­phan V. Roth, Hen­ry N. Chap­man and Ste­phan Förster,
Micro­flui­dic liquid jet system with com­pa­ti­bi­li­ty for atmo­sphe­ric and high-vacu­um conditions,
in: Lab Chip, 2014, 14, 1733 // DOI: 10.1039/c3lc51363g