Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Inter­na­tio­na­le Fuß­ball­spie­le in Höhen­la­gen – sind Top-Spie­ler aus dem ‚Flach­land‘ benachteiligt?“

Symbolbild Bildung

Sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen bele­gen: Die oft prak­ti­zier­te ‚fly in – fly out‘-Strategie ist nicht zu empfehlen

Vie­le Fuß­ball­spie­ler, die süd­ame­ri­ka­ni­schen Fuß­ball-Natio­nal­mann­schaf­ten ange­hö­ren, ste­hen bei euro­päi­schen Ver­ei­nen unter Ver­trag – dar­auf hat die Welt­mei­ster­schaft 2014 in Bra­si­li­en erneut auf­merk­sam gemacht. Die­se Spie­ler sind es oft­mals nicht gewohnt, Spit­zen­lei­stun­gen in Höhen­la­gen zu erbrin­gen, wie sie für eini­ge Anden­staa­ten typisch sind. So liegt bei­spiels­wei­se die boli­via­ni­sche Haupt­stadt La Paz rund 3.600 m über dem Mee­res­spie­gel, die kolum­bia­ni­sche Haupt­stadt Bogo­tá in rund 2.600 m Höhe. Für La Paz hat sich mitt­ler­wei­le die soge­nann­te ‚fly in – fly out‘-Strategie durch­ge­setzt: Aus­wär­ti­ge Mann­schaf­ten flie­gen unmit­tel­bar vor dem Spiel ein und ver­las­sen danach gleich wie­der die Stadt. Die­se Pra­xis beruht auf der Annah­me, es gebe unmit­tel­bar nach der Ankunft in der Höhen­la­ge ein ‚phy­sio­lo­gi­sches Fen­ster‘, also einen kur­zen Zeit­raum, inner­halb des­sen die Lei­stung noch nicht wesent­lich abfällt.

In inter­na­tio­na­len Sport­ver­bän­den wird schon seit lan­gem dar­über dis­ku­tiert, inwie­fern man­che Spie­ler benach­tei­ligt oder sogar gefähr­det sind, wenn sie bei­spiels­wei­se bei der „Copa Amé­ri­ca“, der süd­ame­ri­ka­ni­schen Fuß­ball­mei­ster­schaft, oder bei WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spie­len auf Mann­schaf­ten tref­fen, die an Höhen­la­gen bereits akkli­ma­ti­siert sind. Der Fuß­ball-Welt­ver­band FIFA ent­schied im Jahr 2007, dass Fuß­ball­spie­le nicht in einer Höhe über 3.000 m statt­fin­den dür­fen, und damit eine frü­he­re Ent­schei­dung revi­diert, die die zuläs­si­ge Höchst­gren­ze bei 2.500 m ange­setzt hat­te. Süd­ame­ri­ka­ni­sche Fuß­ball­ver­bän­de inter­ve­nier­ten jedoch gegen die­se Maß­ga­be, und so wur­de 2008 von der FIFA beschlos­sen, dass sie erst dann umge­setzt wer­den sol­le, wenn genü­gend wis­sen­schaft­li­che Daten über die Lei­stungs­ent­wick­lung und eine mög­li­che Gesund­heits­ge­fähr­dung in die­sen Höhen vor­lie­gen. Dies ist aber bis heu­te nicht der Fall.

Ver­glei­chen­de Unter­su­chun­gen an Fuß­ball­teams aus Boli­vi­en und Australien

An der Uni­ver­si­tät Bay­reuth befas­sen sich Prof. Dr. Wal­ter Schmidt, der die Abtei­lung Sport­me­di­zin / Sport­phy­sio­lo­gie im Insti­tut für Sport­wis­sen­schaft lei­tet, und sei­ne Mit­ar­bei­te­rin Dipl.-Sportök. Nadi­ne Wachs­muth schon seit län­ge­rem mit die­ser The­ma­tik. For­schungs­er­geb­nis­se, die gemein­sam mit inter­na­tio­na­len Part­nern erzielt wur­den, sind mitt­ler­wei­le in inter­na­tio­na­len Fach­zeit­schrif­ten publi­ziert. In einer spe­zi­ell auf den Fuß­ball bezo­ge­nen Fall­stu­die mit austra­li­schen Part­nern ging es um einen Ver­gleich zwi­schen Junio­ren­spie­lern eines tra­di­ti­ons­rei­chen boli­via­ni­schen Fuß­ball­ver­eins und den Mit­glie­dern der austra­li­schen U‑17-Natio­nal­mann­schaft. Bei­de Mann­schaf­ten tra­fen zunächst in zwei Fuß­ball­spie­len auf­ein­an­der, die in der boli­via­ni­schen Stadt San­ta Cruz in 420 m Höhe statt­fan­den. Dann folg­ten, wäh­rend eines Zeit­raums von zwei Wochen, drei Begeg­nun­gen in La Paz. Bei allen Spie­len und Trai­nings­ein­hei­ten zeich­ne­te ein GPS-System die Lauf­we­ge und Lauf­ge­schwin­dig­kei­ten der Spie­ler auf, die so gewon­ne­nen Daten wur­den mit der zeit­gleich regi­strier­ten Herz­fre­quenz in Bezie­hung gesetzt. Kon­ti­nu­ier­li­che Mes­sun­gen regi­strier­ten die Blut­bil­dung. Hin­zu kamen Fra­ge­bö­gen, in denen die Spie­ler wie­der­holt Aus­kunft über ihr sub­jek­ti­ves Emp­fin­den gaben.

Die Ergeb­nis­se waren ein­deu­tig: Wäh­rend der ‚Flach­land­pha­se‘ zeig­ten sich bei­de Mann­schaf­ten gleich stark. Doch unmit­tel­bar nach der Ankunft in der boli­via­ni­schen Haupt­stadt auf einer Höhe von 3.600 m, gleich wäh­rend des ersten Fuß­ball­spiels, brach die Lei­stungs­fä­hig­keit der austra­li­schen Mann­schaft ein. Die Lei­stungs­min­de­run­gen waren bei ihnen wesent­lich stär­ker aus­ge­prägt als bei den boli­via­ni­schen Spie­lern, die zwar eben­falls, aber längst nicht in glei­chem Umfang mit Anpas­sungs­schwie­rig­kei­ten zu kämp­fen hat­ten. „Die ‚fly in – fly out‘-Strategie kann somit vom lei­stungs­phy­sio­lo­gi­schen Stand­punkt nicht emp­foh­len wer­den“, erklärt daher Prof. Schmidt.

Beson­ders auf­fäl­lig waren Anoma­lien im Schlaf­ver­hal­ten, die mit Elek­tro­den und Bewe­gungs­ana­ly­sa­to­ren auf­ge­zeich­net wur­den. Bei der Hälf­te der austra­li­schen Spie­ler wur­de eine so genann­te Chey­ne-Sto­kes-Atmung beob­ach­tet: ein stän­di­ger Wech­sel zwi­schen Atem­un­ter­drückung, Atem­not und tie­fen Atem­zü­gen, der tags­über star­ke Erschöp­fungs­er­schei­nun­gen verursacht.

Unter­schied­li­che Akklimatisierungsprozesse

Wäh­rend der zwei Wochen in La Paz blie­ben deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen den Teams bestehen, trotz der all­mäh­lich ein­set­zen­den Akkli­ma­tisa­ti­on. Eini­ge phy­sio­lo­gi­sche Funk­tio­nen – ins­be­son­de­re die Atmung sowie die Sau­er­stoff­sät­ti­gung des Hämo­glo­bins im Blut – ver­än­der­ten sich bei den austra­li­schen Spie­lern in der Wei­se, dass sie durch die Höhen­la­ge weni­ger stark beein­träch­tigt wur­den. Und schon nach zwei Tagen waren kei­ne höhen­spe­zi­fi­schen Krank­heits­zei­chen mehr zu erken­nen. Gleich­wohl führ­ten die­se Anpas­sungs­pro­zes­se ins­ge­samt nicht zu einer völ­li­gen Wie­der­her­stel­lung der ursprüng­li­chen Lei­stungs­fä­hig­keit. Unter­schie­de zu den boli­via­ni­schen Spie­lern, die sich nach kur­zer Zeit rege­ne­rie­ren konn­ten und in der Höhen­la­ge ihr gewohn­tes Lei­stungs­ni­veau zeig­ten, blie­ben bestehen.

Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für inter­na­tio­na­le Fußballverbände

Wel­che Emp­feh­lun­gen las­sen sich dar­aus für den Fuß­ball­sport ablei­ten? „Es ist eine schwie­ri­ge Abwä­gung, ob die FIFA oder ande­re Fuß­ball­ver­bän­de eine Höhen­gren­ze für inter­na­tio­na­le Fuß­ball­tur­nie­re defi­nie­ren und einem Land wie Boli­vi­en dadurch die Chan­ce neh­men soll­ten, Gast­ge­ber für sol­che Ver­an­stal­tun­gen zu sein“, meint Prof. Schmidt. „Einer­seits sind Nach­tei­le für Spie­ler, die Fuß­ball­tur­nie­re in Höhen­la­gen nicht gewohnt sind, unbe­streit­bar; ande­rer­seits haben wir kein gene­rel­les Risi­ko für ernst­haf­te Erkran­kun­gen nach­wei­sen kön­nen.“ Der Bay­reu­ther Sport­me­di­zi­ner betont, dass die Höhen­la­ge eines Aus­tra­gungs­orts kei­nes­wegs der ein­zi­ge Fak­tor ist, der Fuß­ball­spie­ler aus Län­dern mit ande­ren kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen ein­sei­tig benach­tei­ligt. „Es gibt ande­re Umwelt­fak­to­ren, die für die Gesund­heit der Spie­ler wesent­lich ris­kan­ter sind als die Höhen­ex­po­si­ti­on – bei­spiels­wei­se gro­ße Hit­ze mit Schat­ten­tem­pe­ra­tu­ren von über 40 Grad Cel­si­us, wie sie 2022 bei der Fuß­ball­welt­mei­ster­schaft in Qatar zu erwar­ten sind. Wenn die FIFA in ihren Regu­la­ri­en gesund­heit­li­che Risi­ken aus­schlie­ßen will, die durch kli­ma­ti­sche Gege­ben­hei­ten an den Aus­tra­gungs­or­ten bedingt sind, soll­te sie kon­se­quen­ter­wei­se auch sol­che risi­ko­rei­che­ren Fak­to­ren berück­sich­ti­gen“, so der Bay­reu­ther Sportmediziner.

Ver­öf­fent­li­chun­gen (u.a.):

Nadi­ne Wachs­muth et al.,
Chan­ges in blood gas trans­port of alti­tu­de nati­ve soc­cer play­ers near sea-level and sea-level nati­ve soc­cer play­ers at alti­tu­de (ISA3600)
Bri­tish Jour­nal of Sports Medi­ci­ne 47:i93–i99. DOI: 10.1136/bjsports-203–092761, 2013

Chri­sto­pher J Gore et al.,
Methods of the inter­na­tio­nal stu­dy on soc­cer at alti­tu­de 3600 m (ISA3600),
Bri­tish Jour­nal of Sports Medi­ci­ne 47:i80–i85.
DOI: 10.1136/bjsports-2013–092770, 2013