Leser­brief: „Unfall­sta­ti­stik: Rad­fah­ren rela­tiv sicher – trotz pro­ble­ma­ti­scher Verkehrslenkung“

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Weni­ger Ver­kehrs­un­fäl­le als im Jahr zuvor, doch ein deut­li­cher Anstieg bei Fahr­rad- und Senio­ren­un­fäl­len – soweit die schein­bar objek­tiv vor­ge­tra­ge­nen Fak­ten. Doch dann:

In den mei­sten Fäl­len waren die Rad­fah­rer auch Unfall­ver­ur­sa­cher“, ist im Frän­ki­schen Tag zu lesen. Einer tabel­la­ri­schen Über­sicht in der Online­zei­tung web­Zet (Quel­le: Poli­zei­in­spek­ti­on Bam­berg-Stadt) war am 17. März zu ent­neh­men: Bei 75 der ins­ge­samt 182 Fahr­rad­un­fäl­le stuf­te die Poli­zei den Rad­ler / die Rad­le­rin als Hauptverursacher/​in ein. 75 von 182, 41 %: die mei­sten Fälle?

Wie ist dann zu bewer­ten, daß eben­so „die mei­sten der Unfäl­le“ mit Senio­ren­be­tei­li­gung angeb­lich „von Senio­ren selbst ver­schul­det wor­den“ sei­en – auch wenn die web­Zet-Tabel­le kei­ne wider­spre­chen­den Zah­len nennt? Wel­che Bedeu­tung hat vor die­sem Hin­ter­grund die Bestim­mung der Stra­ßen­ver­kehrs-Ord­nung (§3, Abs. 2a): „Die Fahr­zeug­füh­rer müs­sen sich gegen­über Kin­dern, Hilfs­be­dürf­ti­gen und älte­ren Men­schen, ins­be­son­de­re durch Ver­min­de­rung der Fahr­ge­schwin­dig­keit und durch Brems­be­reit­schaft, so ver­hal­ten, dass eine Gefähr­dung die­ser Ver­kehrs­teil­neh­mer aus­ge­schlos­sen ist“?

2497 Ver­kehrs­un­fäl­le (FT Bam­berg v. 2. Juni) gab es im ver­gan­ge­nen Jahr (die Tabel­le in der web­Zet gab 2411 an). 215 Senio­ren­un­fäl­le ent­spre­chen somit einem Anteil von deut­lich unter 10 %. Wie sieht das im Ver­gleich mit dem Anteil am Ver­kehrs­ge­sche­hen aus? Ohne des­sen Kennt­nis ist eine Ein­ord­nung kaum möglich.

Die 182 Fahr­rad­un­fäl­le machen 7,3 bis 7,5 % des Unfall­ge­sche­hens aus. Die Stadt Bam­berg nennt in ihrem Inter­net­auf­tritt einen Fahr­rad­an­teil am Ver­kehrs­auf­kom­men von 22 bis 23 %. Wäh­rend also Poli­zei und Tei­le der Stadt­ver­wal­tung in ihrer Öffent­lich­keits­ar­beit das Fahr­rad wie­der­keh­rend als gro­ßes Sicher­heits­ri­si­ko dar­stel­len, beträgt sei­ne Unfall­be­tei­li­gung nur ein Drit­tel sei­nes Ver­kehrs­an­teils. Bei­na­he jeder vier­te Weg wird in Bam­berg mit dem Fahr­rad zurück­ge­legt. Unfallverursacher/​innen sind die Zweiradnutzer/​innen nicht ein­mal in jedem 30. Fall – nach Ein­schät­zung der alles ande­re als dem Fahr­rad gegen­über posi­tiv ein­ge­stell­ten Polizei.

Rad­fah­ren gehört – trotz nicht zu leug­nen­der Pro­ble­me – zu den siche­ren Verkehrsarten!!!

Eine sau­be­re Ana­ly­se der Unfall­ur­sa­chen wur­de bis­lang nicht ver­öf­fent­licht, wohl auch nicht vor­ge­nom­men. Statt des­sen erge­hen sich Poli­zei und (Tei­le der) Stadt­ver­wal­tung in pau­scha­len Vor­wür­fen gegen­über dem Rad­ver­kehr. Gern wer­den Regel­ver­stö­ße auf­ge­zählt, die mit dem Unfall­ge­sche­hen wenig zu tun haben. Gefähr­den­de Gestal­tung der Ver­kehrs­we­ge hin­ge­gen wird nicht the­ma­ti­siert: qua­li­ta­tiv wie quan­ti­ta­tiv unzu­rei­chen­de Rad­we­ge und Rad­fahr­strei­fen, ange­ord­ne­tes „Gei­ster­ra­deln“ (Maga­zin­stra­ße, Regens­bur­ger Ring), Hin­der­nis­se im Fahr­weg, man­gel­haf­te Instand­hal­tung, unge­si­cher­te Bau­stel­len (Frä­s­kan­ten u. a.).

Ein Tabu in der öffent­li­chen Erör­te­rung ist offen­bar die Unfall­ge­fahr „bau­li­che Rad­we­ge“: Immer wie­der wird deren Vor­fahrt miß­ach­tet, kommt es des­halb zu Unfäl­len (selbst unter Betei­li­gung der Poli­zei) mit manch­mal tra­gi­schem Aus­gang. Und doch ver­tei­di­gen die Ver­kehrs­be­hör­den die seit 1998 in den mei­sten Fäl­len nicht mehr zuläs­si­ge Anord­nung der Benut­zungs­pflicht. Kon­se­quent ver­mei­det das neue Falt­blatt der Stadt Bam­berg, „Wege für Rad­ler“, das The­ma anzurühren.

Eines der bedeu­tend­sten Sicher­heits­ri­si­ken (auch) im inner­städ­ti­schen Ver­kehr ist die Kfz-Geschwin­dig­keit. Nicht umsonst haben sich – neben vie­len ande­ren – Deut­scher Städ­te­tag und Euro­päi­sches Par­la­ment dafür aus­ge­spro­chen, die inner­ört­li­che Regel­höchst­ge­schwin­dig­keit auf 30 km/​h zu begren­zen. Dann wäre die Zulas­sung höhe­rer Geschwin­dig­kei­ten recht­fer­ti­gungs­be­dürf­tig, nicht die Anord­nung eines ver­träg­li­chen Niveaus. Wel­che Initia­ti­ven unter­nimmt die Stadt Bam­berg gegen­über den zustän­di­gen Stel­len und in der öffent­li­chen Debat­te, um die­sem Ziel näher zu kom­men? Eine – bei wei­tem nicht die ein­zi­ge – Mög­lich­keit wäre die Unter­stüt­zung der Online-Unter­schrif­ten­samm­lung, wel­che der­zeit durch einen sich für mensch­lich gestal­te­ten Ver­kehr enga­gie­ren­den Ver­band durch­ge­führt wird:

http://​tem​po​30​.vcd​.org/

Um Miß­ver­ständ­nis­se zu ver­mei­den: Selbst­ver­ständ­lich muß die unver­kenn­ba­re – gleich­wohl offen­sicht­lich auf nied­ri­gem Niveau erfol­gen­de – Zunah­me der Fahr­rad- wie der Senio­ren­un­fäl­le Anlaß zu Über­le­gun­gen, dem ent­ge­gen zu wir­ken, sein. Pau­scha­le, meist nicht beleg­ba­re Schuld­zu­wei­sun­gen, wie sie lt. Frän­ki­schen Tags die Poli­zei vor­nimmt (Tenor: Die sind ja selbst schuld!), hel­fen indes nicht wei­ter. Der Ein­druck, die Ver­kehrs­be­hör­den fürch­te­ten den pro­pa­gier­ten Anstieg des Fahr­rad­an­teils am Ver­kehr, woll­ten ihn durch ein selbst geschaf­fe­nes Mei­nungs­kli­ma ver­hin­dern, setzt sich zuneh­mend fest. Erfor­der­lich sind hin­ge­gen Maß­nah­men, wel­che Sicher­heit und attrak­ti­ve Bedin­gun­gen für den Umwelt­ver­bund (Gehen, Rad­fah­ren, Bahn- und Bus­fah­ren sowie – der blin­de Fleck in Bam­bergs Ver­kehrs­po­li­tik – deren intel­li­gen­te Ver­net­zung mit­ein­an­der) schaf­fen. Der moto­ri­sier­te Indi­vi­du­al­ver­kehr (MIV) wird sich ein­schrän­ken müs­sen. Je frü­her begon­nen wird, um so weni­ger schmerz­lich und abrupt wer­den die unver­meid­li­chen Umbrü­che sein können.

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig
Mar­tin-Ott-Stra­ße 8
96049 Bamberg-Gaustadt