Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Sei­den­pro­te­ine der Flor­flie­ge erst­mals bio­tech­no­lo­gisch hergestellt

Was am sei­de­nen Faden hängt, ist vor Fein­den sicher. Nach die­sem Prin­zip schüt­zen die Flor­flie­gen ihren Nach­wuchs, wenn sie ihre Eier an selbst pro­du­zier­ten, hoch­gra­dig belast­ba­ren Sei­den­fä­den her­ab­hän­gen las­sen. Die­se Eier­stie­le künst­lich nach­zu­bau­en, ist jetzt erst­mals einem Team um Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel und Dipl.-Biol. Felix Bau­er an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth gelun­gen. Die neu­en Sei­den­fä­den sind wie ihre natür­li­chen Vor­bil­der außer­or­dent­lich zug­fest und bie­ge­steif: ein hoch­at­trak­ti­ves Mate­ri­al für neue tech­no­lo­gi­sche Anwen­dun­gen. In der Online-Aus­ga­be des Jour­nals „Ange­wand­te Che­mie“ berich­ten die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler über ihre Ent­wick­lung, die zum Patent ange­mel­det wurde.
Hauch­dünn und doch hoch­gra­dig belast­bar: die Eier­stie­le der Florfliege.

Die Flor­flie­gen sind eine in Mit­tel­eu­ro­pa weit­ver­brei­te­te Flie­gen­art, die beson­ders durch ihre hell­grü­ne Far­be und ihre durch­sich­ti­gen läng­li­chen Flü­gel auf­fällt. Weil die aus den Eiern geschlüpf­ten Lar­ven sich von Blatt­läu­sen ernäh­ren, wer­den Flor­flie­gen in der Land­wirt­schaft gezielt zur bio­lo­gi­schen Schäd­lings­be­kämp­fung ein­ge­setzt. Um einen Eier­stiel zu pro­du­zie­ren, son­dert die Flor­flie­ge aus ihren Drü­sen einen Trop­fen Spinn­lö­sung ab, der fest an der Unter­sei­te eines pflanz­li­chen Blat­tes haf­ten bleibt. Dann drückt sie ein Ei in die­sen Trop­fen und zieht das Ei nach unten. So ent­steht ein Sei­den­fa­den, der inner­halb weni­ger Sekun­den aushärtet.

Die Eier­stie­le der Flor­flie­ge haben einen Durch­mes­ser von nur 10 Mikro­me­tern. Zum Ver­gleich: Ein mensch­li­ches Haar hat einen fünf­mal grö­ße­ren Durch­mes­ser. Und den­noch erwei­sen sich die Eier­stie­le als außer­or­dent­lich bie­ge­steif. Denn wenn man die pflanz­li­chen Blät­ter, an denen sie her­ab­hän­gen, her­um­dreht, zei­gen die Eier­stie­le wei­ter­hin senk­recht nach oben. Trotz des Gewichts der an ihrer Spit­ze befind­li­chen Eier wer­den sie nicht gekrümmt oder zusammengepresst.

Natür­li­cher Bau­plan, künst­li­che Her­stel­lung: rekom­bi­nan­te Seidenproteine

Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Bio­ma­te­ria­li­en lei­tet, und sein Dok­to­rand Felix Bau­er konn­ten jetzt erst­mals im Labor Eier­stie­le aus Sei­den­pro­te­inen nach­bau­en, die an das natür­li­che Vor­bild in vie­ler Hin­sicht her­an­rei­chen. Der zen­tra­le Bau­stein der künst­lich her­ge­stell­ten Sei­den­pro­te­ine besteht aus 48 Ami­no­säu­ren und wie­der­holt sich acht­mal, ähn­lich den Glie­dern einer Ket­te. Genau­so wie bei natür­li­chen Sei­den­pro­te­inen befin­det sich am Anfang der Pro­te­in­ket­te eine ami­no­ter­mi­na­le Domä­ne und an deren Ende eine car­boxy­ter­mi­na­le Domä­ne. Die­se End­stücke steu­ern maß­geb­lich die Eigen­schaf­ten der Seidenproteine.

Für die Her­stel­lung der Sei­den­pro­te­ine haben Schei­bel und Bau­er ein bio­tech­no­lo­gi­sches Ver­fah­ren ange­wen­det, das sie in ähn­li­cher Form schon bei der Pro­duk­ti­on von Spin­nen­sei­den­pro­te­inen ein­ge­setzt haben. Ein im Labor syn­the­ti­sier­tes Gen wird in ein ring­för­mi­ges Stück DNA ein­ge­baut und in leben­de E. coli-Bak­te­ri­en ein­ge­schleust. Durch Zuga­be eines spe­zi­el­len Zuckers wird die Pro­duk­ti­on der Sei­den­pro­te­ine ange­regt. Die auf die­se Wei­se bio­tech­no­lo­gisch her­ge­stell­ten Sei­den­pro­te­ine wer­den auch als rekom­bi­nan­te Sei­den­pro­te­ine bezeichnet.

Künst­li­che Eier­stie­le: ein extrem zug­fe­stes und dehn­ba­res Material

Die aus den rekom­bi­nan­ten Sei­den­pro­te­inen geform­ten Eier­stie­le erwei­sen sich als außer­or­dent­lich belast­bar. Bei einer Luft­feuch­tig­keit von 30 Pro­zent sind sie genau­so zug­fest und dehn­bar wie ihre natür­li­chen Vor­bil­der. Das bedeu­tet: Es muss die glei­che Kraft wie bei natür­li­chen Eier­stie­len auf­ge­wen­det wer­den, um die künst­li­chen Sei­den­fä­den aus­ein­an­der­zu­rei­ßen. Erst bei einer hohen Luft­feuch­tig­keit um 70 Pro­zent ändert sich das Bild. Dann sind die Eier­stie­le der Flor­flie­ge den Kopien aus dem Labor klar über­le­gen. Sie las­sen sich bis auf das Sechs­fa­che ihrer ursprüng­li­chen Län­ge aus­deh­nen, ohne dabei zu reißen.

Die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler arbei­ten jedoch dar­an, die Belast­bar­keit der künst­li­chen Eier­stie­le auch bei höhe­ren Luft­feuch­ten wei­ter zu stei­gern. Die Natur bleibt dabei ein Vor­bild. Denn die Eier­stie­le der Flor­flie­gen ver­dan­ken ihre extre­me Dehn­bar­keit und Zug­fe­stig­keit vor allem ihrer inne­ren Struk­tur. Die ein­zel­nen Sei­den­pro­te­ine sind näm­lich inner­halb des senk­rech­ten Eier­stiels so ange­ord­net, dass ihre Längs­ach­sen hori­zon­tal ver­lau­fen; also im rech­ten Win­kel zur Faser­ach­se des Eier­stiels ste­hen. Daher kön­nen sie wie die Fal­ten einer Zieh­har­mo­ni­ka aus­ein­an­der­ge­zo­gen wer­den, ohne dass der Stiel zer­reißt. Die­se soge­nann­te „Cross-Beta-Struk­tur“ der Eier­stie­le wird von den rekom­bi­nan­ten Sei­den­pro­te­inen bis­her noch nicht gebil­det. „Aber wir sind zuver­sicht­lich, dass es uns bald gelin­gen wird, die Natur auch in die­ser Hin­sicht nach­ah­men zu kön­nen. Dann wer­den unse­re neu­en Sei­den­fa­sern noch belast­ba­rer, noch lei­stungs­stär­ker sein“, erklärt Scheibel.

Auf dem Weg zu tech­no­lo­gi­schen Anwendungen

Bereits jetzt zeich­net sich ein brei­tes Anwen­dungs­feld der künst­lich erzeug­ten Sei­den­pro­te­ine ab. Sie kön­nen nicht nur zu neu­ar­ti­gen Fasern, son­dern auch zu Beschich­tun­gen, hauch­dün­nen Fil­men oder win­zi­gen Kap­seln wei­ter­ver­ar­bei­tet wer­den. In die­sen For­men sind sie bei­spiels­wei­se für Anwen­dun­gen in der Kos­me­tik, Medi­zin­tech­nik oder der phar­ma­zeu­ti­schen Indu­strie, aber auch in tech­ni­schen Anwen­dun­gen der Kunst­stoff­in­du­strie von hohem Interesse.

Ver­öf­fent­li­chung:

Felix Bau­er und Tho­mas Scheibel,
Arti­fi­zi­el­le Eier­stie­le, her­ge­stellt aus rekom­bi­nant pro­du­zier­tem Florfliegenseidenprotein,
in: Ange­wand­te Che­mie (2012), Artic­le first published online: 16 May 2012,
DOI: 10.1002/ange.201200591