Bam­berg will Obdach­lo­sig­keit vermeiden

Sozialreferent und Zweiter Bürgermeister Jonas Glüsenkamp (2.v.r.), Amtsleiter Richard Reiser (r.), Sozialarbeiter André Leipold (3.v.r.) und Mitglieder des Familien- und Integrationssenats im Vorhof der Obdachlosenunterkunft
Sozialreferent und Zweiter Bürgermeister Jonas Glüsenkamp (2.v.r.), Amtsleiter Richard Reiser (r.), Sozialarbeiter André Leipold (3.v.r.) und Mitglieder des Familien- und Integrationssenats im Vorhof der Obdachlosenunterkunft (Foto: Sonja Seufferth, Stadt Bamberg)

Fami­li­en- und Inte­gra­ti­ons­se­nat ver­ab­schie­det 10-Punkte-Plan

Die Stadt Bam­berg enga­giert sich bereits inten­siv in der Obdach- und Woh­nungs­lo­sen­prä­ven­ti­on in einem Netz­werk mit akti­ven Part­ne­rin­nen und Part­nern. Ober­stes Ziel ist die Über­win­dung der Obdach­lo­sig­keit. Hier­zu war die Stadt Bam­berg in Ber­lin als eine von 70 Kom­mu­nen an einem natio­na­len Akti­ons­plan gegen Woh­nungs­lo­sig­keit betei­ligt. Zwei­ter Bür­ger­mei­ster und Sozi­al­re­fe­rent Jonas Glü­sen­kamp setzt sich nun für ein Maß­nah­men­pa­ket ein.

Herr R. hat sein Zim­mer „in der TH2“, hin­ten am Flur links. Er hat sich häus­lich ein­ge­rich­tet, so gut es eben geht. Als er obdach­los wur­de, konn­te er aus sei­ner Woh­nungs­räu­mung ein paar Möbel mit in die The­re­si­en­stra­ße 2 neh­men, die Obdach­lo­sen­un­ter­kunft für Män­ner in Bam­berg. Dort ste­hen maxi­mal 56 Plät­ze zur Ver­fü­gung, durch­schnitt­lich pen­delt sich die Bele­gung bei 20 bis 30 Per­so­nen ein. Direkt an das Gebäu­de der „TH2“ grenzt die Kap­pel­len­stra­ße 28. Dort fin­den obdach­lo­se Frau­en mit ihren Kin­dern bzw. Fami­li­en Zuflucht, maxi­mal 13 Plät­ze gibt es hier. Nicht immer kön­nen alle belegt wer­den, wenn etwa Fami­li­en in den Zim­mern unter­kom­men. Die Aus­la­stung: 100 %. „Seit dem Jahr 2023 nimmt die Obdach­lo­sig­keit zu. Wir neh­men das als Fol­ge der Ener­gie­kri­se und all­ge­mei­nen Ver­teue­rung wahr“, sagt Richard Rei­ser, Lei­ter des Amts für sozia­le Ange­le­gen­hei­ten. Es ist der Moment, in dem die Mit­glie­der des Fami­li­en- und Inte­gra­ti­ons­se­na­tes zum ersten Mal schlucken. Sie wer­den es bei die­sem Orts­ter­min vor und in der „TH2“ noch häu­fi­ger tun.

Die gewähl­ten Volks­ver­tre­te­rin­nen und Volks­ver­tre­ter schau­en sich die Unter­kunft an, weil in der Sit­zung ein Zehn-Punk­te-Plan in der Obdach­lo­sen­hil­fe ver­ab­schie­det wer­den soll. Sie wer­den das Paket spä­ter ein­stim­mig beschlie­ßen. Es sieht unter ande­rem vor, zehn der kar­gen Zim­mer mit einer Grund­aus­stat­tung zu ver­se­hen. Das Gebäu­de aus dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert ist eine ehe­ma­li­ge Maschi­nen­fa­brik für Elek­tro­tei­le, dann hat es die dama­li­ge Bun­des­bahn erwor­ben. Seit 1959 ist die „TH2“ die Obdach­lo­sen­un­ter­kunft in Bam­berg und fast noch im Ori­gi­nal­zu­stand: über­all Holz­bo­den, Toi­let­ten und (sanier­te) Duschen auf dem Gang, ein Küchen­raum. Die Bewoh­ner hei­zen ihre Zim­mer mit einem Holz­ofen. Man­che Obdach­lo­se kom­men mit ihrem Haus­stand, wie Herr R. Ande­re kom­men mit nichts. Dann stellt die Stadt Bam­berg ein Feld­bett und einen Schlaf­sack zur Ver­fü­gung. Nach dem Wil­len der Senats­mit­glie­der soll künf­tig eine mini­ma­le Grund­aus­stat­tung für einen Teil der Zim­mer ange­schafft wer­den: Tisch, Bett, Stuhl, alles in schlich­ter Aus­füh­rung, alles aus Eisen, noch eine Matrat­ze dazu; die Kosten lie­gen bei etwa 500 Euro pro Raum.

Klei­ne­re Investitionen

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren wur­de bewusst auf Inve­sti­tio­nen ver­zich­tet, da Häu­ser in der The­re­si­en- und Kapel­len­stra­ße vor­aus­sicht­lich dem ICE-Bahn­aus­bau durch Bam­berg wei­chen müs­sen. Die Suche nach Aus­weich­un­ter­künf­ten läuft bereits. „Da aber nie­mand so genau weiß, wann die Bahn tat­säch­lich los baut, haben wir das The­ma für die heu­ti­ge Sit­zung als Schwer­punkt-The­ma gewählt“, sagt Zwei­ter Bür­ger­mei­ster und Sozi­al­re­fe­rent Jonas Glü­sen­kamp beim Orts­ter­min. Er schaue sich die Situa­ti­on bereits seit vier Jah­ren an, „nun soll­ten wir zumin­dest über klei­ne­re Inve­sti­tio­nen nach­den­ken.“ Zum Bei­spiel WLAN: „Die jün­ge­ren Bewoh­ner kön­nen dann von hier aus über das Smart­phone ihre Anträ­ge beim Job­cen­ter stel­len“, erklärt Richard Rei­ser. Der jüng­ste in der „TH2“ sei 24, der älte­ste 71 Jah­re, erläu­tert André Lei­pold, Sozi­al­ar­bei­ter für die Obdach­lo­sen­be­ra­tung. Man­che woh­nen nur über­gangs­wei­se hier, ande­re jah­re­lang. 70 Pro­zent der hier unter­ge­kom­me­nen Män­ner hät­ten ein Drogenproblem.

Die fol­gen­de Senats­sit­zung steht noch spür­bar unter den Ein­drücken des Außen­ter­mins. Das Sozi­al­re­fe­rat unter der Lei­tung von Bür­ger­mei­ster Jonas Glü­sen­kamp will in den kom­men­den Jah­ren deut­lich in die Prä­ven­ti­on von Woh­nungs- und Obdach­lo­sig­keit inve­stie­ren. Dazu hat der Bür­ger­mei­ster dem Fami­li­en- und Inte­gra­ti­ons­se­nat ein Maß­nah­men­pa­ket vor­ge­legt, das der Senat ver­ab­schie­de­te. Der Stadt­rat ist nun gefor­dert, die not­wen­di­gen Mit­tel auch im Haus­halt 2024 bereit zu stellen

Einen Punkt lässt Bür­ger­mei­ster Glü­sen­kamp noch für die Öffent­lich­keit erläu­tern: Was ist mit Obdach­lo­sen im Stra­ßen­bild, um die sich anschei­nend nie­mand küm­mert? Mario Schmidt, Sach­ge­biets­lei­ter Erwach­se­nen­hil­fen, klärt auf: „Die obdach­lo­sen Per­so­nen sind uns in der Ver­wal­tung zu 99% bekannt. Sie ken­nen unse­re Ange­bo­te und Hilfs­mög­lich­kei­ten. Aller­dings gibt es obdach­lo­se Men­schen, die sich nicht auf eine Unter­kunft ein­las­sen wol­len oder krank­heits­be­dingt nicht kön­nen. Wir kön­nen immer nur ein Ange­bot machen, die Men­schen ent­schei­den selbst, ob sie die­ses anneh­men wollen.“

Kon­zept zur Ver­mei­dung von Obdach- und Woh­nungs­lo­sig­keit in der Stadt Bam­berg (10-Punk­te-Plan)

Ziel: Ver­lust von ange­mie­te­tem Wohn­raum ver­hin­dern bzw. Obdach- und Woh­nungs­lo­sig­keit so gering wie mög­lich halten.

  • Neue Fach­stel­le Woh­nungs­not­fall­hil­fe im Sach­ge­biet Erwachsenenhilfe
  • Neue Stel­le zur sozia­len Wohnraumvermittlung
  • Ver­ste­ti­gung des erfolg­rei­chen Pro­jekts „Über­gangs­woh­nen Plus“ (beglei­te­te Wie­der­ein­glie­de­rung in ein Wohnverhältnis)
  • Koope­ra­ti­on zwi­schen Job­cen­ter und Fach­stel­le Woh­nungs­not­fall­hil­fe bei dro­hen­dem Wohnungsverlust
  • Schaf­fung einer zusätz­li­chen Unter­kunft für obdach­lo­se Fami­li­en mit Kindern
  • Zusätz­li­ches Woh­nungs­an­ge­bot für obdach- und woh­nungs­lo­se Frauen
  • Erwei­te­rung des Käl­te­schutz­kon­zepts (Wer braucht/​will Schlafsack/​Unterkunft?)
  • Bereit­stel­lung einer ange­mes­se­nen Wohn­si­tua­ti­on in der Obdachlosenunterkunft
  • Medi­zi­ni­scher Behand­lungs­raum in einer Obdachlosenunterkunft
  • Run­der Tisch Obdach- und Wohnungslosigkeit

Begriffs­er­läu­te­rung

Defi­ni­ti­on Obdachlosigkeit

Obdach­los im ord­nungs­recht­li­chen Sin­ne ist, wer nicht über eine Unter­kunft ver­fügt, die Schutz vor den Unbil­den des Wet­ters bie­tet, Raum für die not­wen­di­gen Lebens­be­dürf­nis­se lässt und ins­ge­samt den Anfor­de­run­gen an eine men­schen­wür­di­ge, das Grund­recht auf kör­per­li­che Unver­sehrt­heit ach­ten­de Unter­brin­gung, entspricht.

Defi­ni­ti­on Wohnungslosigkeit

Woh­nungs­los ist, wer nicht über miet­ver­trag­lich abge­si­cher­ten Wohn­raum oder ent­spre­chen­des Wohn­ei­gen­tum ver­fügt oder gege­be­nen­falls nur insti­tu­tio­nell unter­ge­bracht ist. Unmit­tel­bar von Woh­nungs­lo­sig­keit bedroht ist, wem der Ver­lust sei­ner der­zei­ti­gen Woh­nung unmit­tel­bar bevor­steht, wegen Kün­di­gung der Ver­mie­te­rin bzw. des Ver­mie­ters, einer Räu­mungs­kla­ge (auch mit nicht voll­streck­tem Räu­mungs­ti­tel), einer Zwangs­räu­mung oder aus son­sti­gen zwin­gen­den Gründen.

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