„Lau­ter­bach setzt Kran­ken­haus­re­form mit Wort­bruch und Erpres­sung durch“

Symbolbild Gesundheit

Inter­view mit Klaus Emme­rich aus Him­mel­kron von der Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bayern

Klaus EmmerichKlinikvorstand im Ruhestand Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern Bündnis Klinikrettung

Klaus Emme­rich
Kli­nik­vor­stand im Ruhe­stand
Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bay­ern
Bünd­nis Klinikrettung

Die Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bay­ern hat sich mit inten­si­vem Ein­satz gegen das Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz mit einem dar­aus resul­tie­ren­den Kran­ken­haus­trans­pa­renz­re­gi­ster ein­ge­setzt – ver­geb­lich! Am 22. März 2024 wur­de das Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz im Bun­des­rat mit den Stim­men der Bun­des­län­der ver­ab­schie­det. Klaus Emme­rich, Kli­nik­vor­stand im Ruhe­stand, gibt Aus­kunft über die Fol­gen die­ser Entscheidung.

Redak­ti­on: Das Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz ist nun ver­ab­schie­det. Was sind ihre wich­tig­sten Kritikpunkte?

Emme­rich: Das Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz klas­si­fi­ziert Kran­ken­häu­ser aus­schließ­lich nach ihren Struk­tu­ren und misst die Qua­li­tät der Kran­ken­häu­ser danach. Dies ist aber ein fata­ler Irr­tum. Klei­ne Kran­ken­häu­ser sind bei Rou­ti­ne­er­kran­kun­gen wie bei­spiels­wei­se Lun­gen­ent­zün­dung, mit­tel­schwe­re Frak­tu­ren und ande­re Erkran­kun­gen, nach­weis­bar durch­schnitt­lich und über­durch­schnitt­lich gut. Dies wird im Kran­ken­haus­trans­pa­renz­re­gi­ster nicht sicht­bar bzw. bewusst ver­schwie­gen. Ziel ist, klei­ne Kran­ken­häu­ser zu denun­zie­ren, ihnen Pati­en­ten zu rau­ben und sie zur Schlie­ßung zu zwingen.

Redak­ti­on: Die Bun­des­län­der waren dage­gen und hat­ten den Ver­mitt­lungs­aus­schuss ange­ru­fen. War­um haben sie am Ende den­noch zugestimmt?

Emme­rich: Das war rei­ne Erpres­sung: mehr Geld für die Kran­ken­häu­ser nur dann, wenn alle Bun­des­län­der dem Kran­ken­haus­trans­pa­renz­re­gi­ster im Bun­des­rat zustim­men. So schafft man kei­nen Kon­sens son­dern brüs­kiert die Part­ner im Gesundheitswesen.

Redak­ti­on: Es geht hier doch nur um ein Aus­kunfts­sy­stem für Pati­en­ten, was ist dar­an so schlimm?

Emme­rich: Mit dem Kran­ken­haus­trans­pa­renz­re­gi­ster sind ganz wesent­li­che Ele­men­te der neu­en Kran­ken­haus­re­form bereits umge­setzt. Es gibt Level und es gibt Lei­stungs­grup­pen. Und die­se Lei­stungs­grup­pen wer­den in der zwei­ten Stu­fe, dem Kran­ken­haus­ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz, bun­des­ein­heit­lich und ver­bind­lich für alle Bun­des­län­der ein­ge­führt. Nach die­sen Lei­stungs­grup­pen wer­den die Kran­ken­häu­ser zukünf­tig zu 60% im Rah­men neu­er Vor­hal­te­bud­gets finan­ziert. Der Haken an den Lei­stungs­grup­pen: Man wird sehr enge Qua­li­täts- und Struk­tur­kri­te­ri­en an die Lei­stungs­grup­pen kop­peln, die ins­be­son­de­re in klei­nen länd­li­chen Kran­ken­häu­sern nicht erfüllt wer­den kön­nen. Kran­ken­häu­ser die die­se Kri­te­ri­en nicht erfül­len dür­fen Lei­stun­gen die­ser Lei­stungs­grup­pe nicht mehr anbie­ten und wer­den von wesent­li­chen kli­ni­schen Lei­stun­gen abge­kop­pelt. Man­che Kran­ken­häu­ser wer­den aus struk­tu­rel­len Grün­den ganz schlie­ßen müs­sen. Das ist struk­tu­rell ver­ord­ne­tes Kli­nik­ster­ben. Unse­re Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bay­ern hat­te die Fol­gen aus­ge­rech­net: Bis zu 649 Kran­ken­häu­ser könn­ten auf­grund der neu­en Kran­ken­haus­re­form zu ambu­lan­ten Gesund­heits­zen­tren, soge­nann­ten „Sek­toren­über­grei­fen­den Ver­sor­gungs­zen­tren“, umge­wan­delt wer­den. Das ist ein Kli­nik­ster­ben, wie wir es noch nie erlebt haben. Wir haben das allen Bun­des­län­dern gegen­über kommuniziert.

Redak­ti­on: Auch dem Kran­ken­haus­ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz haben die Bun­des­län­der im Rah­men eines Eck­punk­te­pa­piers ja grund­sätz­lich zugestimmt!

Emme­rich: Das ist zutref­fend! Dafür gibt einen Hin­ter­grund: Bun­des­deut­sche Kran­ken­häu­ser schrei­ben jähr­lich Defi­zi­te im Umfang von ca. 9,5 Mil­li­ar­den Euro. Betrof­fen sind 78% der deut­schen Kran­ken­häu­ser, die Defi­zi­te schrei­ben und poten­zi­ell in Insol­venz gehen könn­ten. Nach­dem Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach signa­li­siert hat, es gebe kei­nen zusätz­li­ches Geld für die Kran­ken­häu­ser, blieb den Bun­des­län­dern nur die Wahl zwi­schen Pest und Cho­le­ra. Kon­kret: Ent­we­der sehen die Bun­des­län­der zu, wie auf­grund unzu­rei­chen­der Ver­gü­tung Kran­ken­häu­ser unge­ord­net in Insol­venz gehen, oder sie ver­tei­len das limi­tier­te und unzu­rei­chen­de bun­des­wei­te Kran­ken­haus­bud­get auf weni­ger Kran­ken­häu­ser. Lau­ter­bach woll­te bun­des­weit ver­bind­li­che Regeln für die Lei­stungs­grup­pen auf­stel­len und damit auch bun­des­weit ent­schei­den, wel­che Kran­ken­häu­ser vom Netz gehen. Das haben die Bun­des­län­der im Eck­punk­te­pa­pier ver­hin­dert. Jetzt kann jeder Lan­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster ent­schei­den: Wie set­ze ich den Rah­men? Schaue ich zu, wel­ches Kran­ken­haus in mei­nem Bun­des­land in Insol­venz geht oder ver­tei­le ich die Lei­stungs­grup­pen in mei­nem Bun­des­land restrik­tiv, neh­me bestimm­te Kran­ken­häu­ser ver­ord­net vom Netz und habe dann aus­rei­chen­des Bud­get für die ver­blei­ben­den Kran­ken­häu­ser? Das war eben­falls Erpressung!

Redak­ti­on: Haben sich die Ver­bän­de nicht aus­rei­chend gewehrt?

Emme­rich: Es gibt einen ganz gro­ßen Kon­sens der Ver­bän­de, dass die geplan­te und mit dem Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz bereits ver­ab­schie­de­te Kran­ken­haus­re­form die Pro­ble­me der Kran­ken­häu­ser nicht löst! Kran­ken­haus­ge­sell­schaf­ten, Sozi­al­ver­bän­de, Bünd­nis Kli­nik Ret­tung, Ver­band der Kli­nik­di­rek­to­ren Deutsch­lands, Ver­band lei­ten­der Kran­ken­haus­ärz­tin­nen und ‑ärz­te, Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bay­ern, und vie­le ande­re Ver­bän­de haben mit hoher Fach­ex­per­ti­se opponiert.

Unse­re Akti­ons­grup­pe Schluss mit Kli­nik­ster­ben in Bay­ern hat jeweils Pro­jekt­stu­di­en zum Kran­ken­haus­trans­pa­renz­ge­setz und Kran­ken­haus­ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz ver­öf­fent­licht, den Bun­des­län­dern und auch Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach zur Ver­fü­gung gestellt. 1 Das Bünd­nis Kli­ni­k­ret­tung hat alter­na­ti­ve Finan­zie­rungs­kon­zep­te und Struk­tur­kon­zep­te für Kran­ken­häu­ser ver­öf­fent­licht. Das alles hat Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach ignoriert.

Reak­ti­on: Haben Sie denn nicht mit ihm per­sön­lich gesprochen?

Emme­rich: selbst­ver­ständ­lich! Auf der 95. Gesund­heits­mi­ni­ster­kon­fe­renz in Mag­de­burg hat uns Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Lau­ter­bach sogar ver­spro­chen, dass er die Ergeb­nis­se der 3. Emp­feh­lung sei­ner Regie­rungs­kom­mis­si­on, also die Grund­sät­ze sei­ner Kran­ken­haus­re­form, mit den Ver­bän­den breit dis­ku­tie­ren wer­de. Das Bünd­nis Kli­nik Ret­tung hat er sogar aus­drück­lich zum Dia­log auf­ge­for­dert. Danach hat er die­ses Ver­spre­chen gebro­chen. Wir haben dafür Bele­ge. Weder er, noch sei­ne Regie­rungs­kom­mis­si­on waren anschlie­ßend bereit ein sei­nem Staats­se­kre­tär Edgar Fran­ke per­sön­lich prä­sen­tier­tes Kon­zept „Selbst­ko­sten­deckung der Kran­ken­häu­ser“ auch nur ansatz­wei­se wei­ter zu diskutieren.

Redak­ti­on: Wel­chen Grund könn­te das haben?

Emme­rich: Das müs­sen sie letzt­lich Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach sel­ber fra­gen! Aber wir haben eine Ver­mu­tung: Seit­dem bekannt wur­de, dass die Kran­ken­haus­re­form auf­grund der Kran­ken­haus­pla­nungs­kom­pe­tenz der Bun­des­län­der schei­tern könn­te, fand eine detail­lier­te Dis­kus­si­on zur Kran­ken­haus­re­form nur noch zwi­schen Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach und sei­nen Lan­des­ge­sund­heits­mi­ni­stern statt. Alle wei­te­ren Kom­men­ta­re und Inter­ven­tio­nen igno­rier­te der Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster. Das ist kla­rer Wort­bruch! Karl Lau­ter­bach ist weder ver­läss­lich noch seriös.

Er ver­lässt sich auf weni­ge Mit­glie­der der Regie­rungs­kom­mis­si­on die seit Jah­ren nur noch 330 oder 600 Kran­ken­häu­ser anstatt der aktu­el­len 1.893 pro­pa­gie­ren. Wer die­se Poli­tik betreibt, hat schon lan­ge für sich ent­schie­den: Ich brau­che kei­ne klei­nen länd­li­chen Kran­ken­häu­ser! Länd­li­che Regio­nen wer­den zu Gesund­heits­re­gio­nen zwei­ter Klasse!

Redak­ti­on: Was sind denn die Konsequenzen?

Emme­rich: Wir wer­den 1/6 bis 1/3 unse­rer bun­des­deut­schen Kran­ken­häu­ser ver­lie­ren. Bun­des­län­der mit aus­ge­präg­ten länd­li­chen Regio­nen wer­den die Ver­lie­rer sein. In Bay­ern rech­nen wir mit 20 bis 40 Pro­zent aller Kran­ken­häu­ser, die schlie­ßen und mög­li­cher­wei­se in ambu­lan­te Gesund­heits­zen­tren mit einer Bereit­schafts­pra­xis umge­wan­delt wer­den. Für eska­lie­ren­de lebens­be­droh­li­che Erkran­kun­gen und Ver­let­zun­gen ist dies abso­lut gefähr­lich. Die anste­hen­de Kran­ken­haus­re­form stellt die flä­chen­decken­de kli­ni­sche Ver­sor­gung grund­sätz­lich in Frage.

Redak­ti­on: Was könn­te man jetzt noch tun?

Emme­rich: Wir brau­chen einen brei­ten Kon­sens der Bevöl­ke­rung: Hän­de weg von unse­ren Kran­ken­häu­sern! Die Coro­na-Pan­de­mie hat gezeigt, wie wich­tig jedes aktu­el­le Kran­ken­haus­bett noch ist. Wenn nicht jetzt eine brei­te Alli­anz alles Erdenk­li­che tut, um die­se gna­den­lo­se Schlie­ßungs­po­li­tik der Kran­ken­häu­ser zu stop­pen, dann ist es zu spät. Lie­be Bür­ger: Weh­ren Sie sich über­all in Deutsch­land! Machen Sie Ihre Wahl­stim­men abhän­gig davon, ob Ihre Bun­des- und Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten für wohn­ort­na­he Kran­ken­häu­ser kämp­fen. Den Initia­tiv­grup­pen gegen Kli­nik­ster­ben emp­feh­le ich drin­gend, sich eng zusam­men zu schlie­ßen und mit einer Stim­me zu reden. Es ist nicht 5 vor 12 Uhr, es ist 12 Uhr. Das Bun­des­ka­bi­nett will schon im April das Kran­ken­haus­ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz auf den Weg bringen.

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