Bam­ber­ger Stadt­rat auf Kli­ma­tour in Tübingen

Fotonachweis: Stadt Bamberg, Michael Memmel Bernd Schott, Leiter der Stabstelle Klima- und Umweltschutz, führte und referierte über das Güterbahnhofsareal.
Fotonachweis: Stadt Bamberg, Michael Memmel: Bernd Schott, Leiter der Stabstelle Klima- und Umweltschutz, führte und referierte über das Güterbahnhofsareal.

Die drit­te Kli­ma­tour brach­te Bam­ber­ger Stadt­rä­te mit Ober­bür­ger­mei­ster Boris Pal­mer ins Gespräch

Die einen rie­ben sich ungläu­big die Augen, die ande­ren schos­sen begei­stert Fotos: Direkt neben einer Brücke für den moto­ri­sier­ten Ver­kehr zweigt eine wei­te­re, schmä­le­re Brücke ab – kom­plett blau mar­kiert und von unten beheizt. Sie ist allein für Fahr­rä­der vor­ge­se­hen und lenkt die­se auf einem eige­nen Weg in die Innen­stadt. Die­ses Sinn­bild für Tübin­gens fahr­rad- und kli­ma­ori­en­tier­te Ver­kehrs­po­li­tik lag direkt an dem Hotel, in dem eine Grup­pe aus Stadt­rä­ten und Mit­glie­dern der Ver­wal­tung aus Bam­berg jüngst über­nach­te­te. Das Ziel die­ser Kli­ma­tour im Rah­men des Pro­jekts „Mit­mach­kli­ma“: In der 92.000-Einwohner-Stadt in Baden-Würt­tem­berg Anre­gun­gen für die eige­ne Stadt sammeln.
„Wie haben sie es geschafft, dass so eine Brücke für Rad­fah­ren­de neben eine bestehen­de Brücke gebaut wer­den konn­te“, frag­te dann auch einer der neun Bam­ber­ger Stadt­rä­te aus fünf Frak­tio­nen und Grup­pie­run­gen, ange­führt von Bür­ger­mei­ster und Kli­ma­re­fe­rent Jonas Glü­sen­kamp, als sie Tübin­gens bekann­ten Ober­bür­ger­mei­ster Boris Pal­mer im Rat­haus besuch­ten. Das Stadt­ober­haupt erzählt, dass die Brücke für den moto­ri­sier­ten Ver­kehr vor eini­ger Zeit abge­ris­sen und neu gebaut wer­den muss­te. Eine Ersatz­brücke muss­te also her. „Ein Pro­vi­so­ri­um und eine dau­er­haf­te Brücke, die im Anschluss für Fahr­rä­der genutzt wer­den kann, waren auf Grund von För­de­run­gen nahe­zu kost­en­gleich“, berich­tet Pal­mer, räum­te aber auch ein, dass es trotz­dem Wider­stän­de gegen das Pro­jekt gege­ben hät­te. Unge­wöhn­lich schließ­lich auch, dass das Bau­werk im Win­ter auf 4 Grad erwärmt wird, um gegen die Glät­te kein Salz streu­en zu müs­sen, was die Sub­stanz des Bau­werks lang­fri­stig angrei­fen wür­de. „Wie setzt man das am Ende durch? Mit guten Argu­men­ten und ohne Rück­sicht auf Diffamierungen!“
Fast eine Stun­de nahm sich der Ober­bür­ger­mei­ster Zeit, um den Gästen aus Fran­ken sei­ne Kli­ma­po­li­tik zu erklä­ren und ihre Fra­gen zu beant­wor­ten. Sein Wir­ken in Tübin­gen unter­teil­te er rück­blickend in meh­re­re Pha­sen. Nach sei­ner Wahl 2006 sei es zunächst um Ver­ständ­nis und Auf­merk­sam­keit für eine umwelt­be­wuss­te Poli­tik gegan­gen – in einer Zeit, als es noch kei­ne „Fri­days for Future“ gege­ben hat. So wur­de die Kam­pa­gne „Tübin­gen macht blau“ gestar­tet und erfolg­reich ein Bewusst­sein in der Bevöl­ke­rung geschaf­fen. „Das war alles ange­bots­ori­en­tiert“, sag­te Pal­mer. In einer zwei­ten Pha­se ab 2015 wur­de kräf­tig inve­stiert. Rund 200 Mil­lio­nen Euro flos­sen in die Nut­zung von alter­na­ti­ven Ener­gien sowie in den Aus­bau des Fern­wär­me­net­zes und des ÖPNV. Die drit­te Pha­se ab 2019 war dann schon getrie­ben von „Fri­days for Future“ und der For­de­rung, Tübin­gen sol­le bis 2030 kli­ma­neu­tral wer­den. Dahin­ter stell­te sich auch die Mehr­heit des Stadt­rats, wor­auf­hin mit einer umfang­rei­chen Bür­ger­be­tei­li­gung ein Maß­nah­men­pa­ket erar­bei­tet und ver­ab­schie­det wurde.

Par­ken nur am Ran­de der Innenstadt
Fast alle Schrit­te fan­den über 50 Pro­zent Zustim­mung bei der Bevöl­ke­rung – bis auf die Ver­teue­rung des Anwoh­ner­par­kens pro Stell­platz im Jahr von ehe­mals 30 auf 120 Euro bzw. 70 auf 180 Euro für grö­ße­re Fahr­zeu­ge. „Wo sind die gan­zen Autos?“, frag­ten die Bam­ber­ger, die kaum Autos bemerkt hat­ten. Pal­mer ant­wor­te­te: „Die par­ken am Rand der Innen­stadt. Der Besit­zer muss viel­leicht auch mal einen Kilo­me­ter bis zur Woh­nung lau­fen. Unser Ziel ist, die Auto­be­sitz­quo­te run­ter­zu­krie­gen, was aber noch nicht so gut funk­tio­niert.“ Schon in den 1990er-Jah­ren sei in Tübin­gen ver­stan­den wor­den, dass der Ein­zel­han­del nicht durch Park­plät­ze vor der Tür, son­dern durch Atmo­sphä­re und Schön­heit der Umge­bung geret­tet wer­den kann.
Was den Gästen eben­falls in der Stadt auf­ge­fal­len war: die gerin­ge Beleuch­tung in der Nacht und der weni­ge Müll. „Die Neon­re­kla­me ist schon seit den 70er Jah­ren stark redu­ziert. Das ist so gewollt“, erklär­te der OB. Und bei der Sau­ber­keit schlägt sich die Ver­packungs­steu­er nie­der. Etwa 800.000 Euro brin­ge sie in die Stadt­kas­se und hilft so, die hohen Rei­ni­gungs­ko­sten zu decken. Aber vor allem habe sie zu einem star­ken Anstieg der Mehr­weg-Ange­bo­te geführt und zu weni­ger Müll. „Also, das wirkt!“, mein­te Palmer.
Anschlie­ßend ging es dann in fach­li­che Details zusam­men mit Bernd Schott, den Pal­mer 2008 zur Stadt Tübin­gen gelotst und die Lei­tung der damals neu­en Stab­stel­le Kli­ma- und Umwelt­schutz über­tra­gen hat­te. Er berich­te­te, wie er Wir­kung ent­fal­ten muss­te „ohne Anwei­sun­gen geben zu kön­nen – ich hat­te nur die Macht der Wor­te“. Aus­führ­lich stell­te er dar, wie die Bür­ger­be­tei­li­gung zu Pal­mers Zehn-Punk­te-Plan zur Kli­ma­neu­tra­li­tät abge­lau­fen ist und wie dabei auch eine Bür­ger-App gehol­fen hat, wo Tübin­gen rege­ne­ra­ti­ve Ener­gie gewinnt und die Erzeu­gung for­ciert, und wie der Aus­bau der Fern­wär­me zügig vor­an­ge­trie­ben wur­de („Nicht alle Wün­sche bei einem Auf­bag­gern der Stra­ße abfra­gen und erfül­len, son­dern ein­fach nur mal Fern­wär­me rein und wie­der zumachen“).
Stadt­ent­wick­lung neben den Gleisen
Nach einem gemein­sa­men Mit­tag­essen folg­te ein Quar­tiers­rund­gang durch das ehe­ma­li­ge Güter­bahn­hofs­are­al. Es war viel mehr als ein Ver­dau­ungs­spa­zier­gang: Bernd Schott zeig­te vor Ort, wie auf rund zehn Hekt­ar direkt neben der Bahn­strecke inner­halb von sie­ben Jah­ren ein dicht bebau­tes Gewer­be- und Wohn­vier­tel ent­stan­den ist. Ein Büro­ge­bäu­de in Holz-Hybrid-Bau­wei­se und mit Pho­to­vol­ta­ik-Fas­sa­de, die erst auf den zwei­ten Blick zu erken­nen ist, stellt das prä­gnan­te Ein­gangs­tor zu die­sem Are­al dar. 570 Wohn­ein­hei­ten, davon 360 Miet­woh­nun­gen und zu einem Vier­tel Sozi­al­woh­nun­gen, bil­den das neue Stadt­vier­tel, in dem viel Wert auf sozia­le Nähe und Nach­hal­tig­keit gelegt wird. Das Quar­tier war zudem auch Test­feld der ersten Tübin­ger Pho­to­vol­ta­ik-Pflicht und der ersten Fernwärme-Satzung.
Nur einen Stein­wurf ent­fernt vom Güter­bahn­hofs­are­al liegt das Unter­neh­men AV Möck, das die Bam­ber­ger Grup­pe zum Abschluss besich­tig­te. Unter dem Slo­gan „Gene­ra­ti­on Recy­cling“ hat sich der Kom­plett­ent­sor­ger dem Ziel der Stadt ange­schlos­sen, bis 2030 kli­ma­neu­tral zu wer­den, wie meh­re­re Mit­glie­der des Fami­li­en­un­ter­neh­mens erzähl­ten. So begann auch hier im Jahr 2020 der Umbau der Fir­ma: Es wur­de inve­stiert in E‑Mobilität, ein Güter­gleis-Anschluss wie­der her­ge­stellt und alle Dächer wur­den mit Pho­to­vol­ta­ik-Anla­gen aus­ge­stat­tet. So gelang es, die Ver­sor­gung mit eige­ner Ener­gie sicherzustellen.
Eine Her­aus­for­de­rung bleibt die Umstel­lung der kom­plet­ten LKW-Flot­te auf E‑Antrieb, die in den näch­sten Jah­ren gelin­gen soll. Die ver­schie­de­nen Arbeits­schrit­te beka­men die Stadt­rä­te und Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ten­den bei einem Rund­gang über das Gelän­de erläu­tert. „Für uns ist es immer wich­tig, stoff­lich zu ver­wer­ten und nicht in die Ver­bren­nung zu gehen“, hob Ben­ja­min Möck her­vor und brach­te als Bei­spiel, wie Alt­rei­fen geschred­dert und dann als Boden für Spiel­plät­ze wie­der­ver­wen­det werden.
Für die tief­ge­hen­den Ein­blicke an die­sem Tag dank­te Bür­ger­mei­ster Jonas Glü­sen­kamp sowohl der Fami­lie Möck, als auch Bernd Schott und Ober­bür­ger­mei­ster Boris Pal­mer. „Wir haben sehr vie­le inspi­rie­ren­de Ideen gesam­melt und neh­men die­se mit nach Bam­berg, wo sie sicher­lich auch in die poli­ti­sche Dis­kus­si­on ein­flie­ßen wer­den“, zog Glü­sen­kamp als Fazit. Die Kli­ma­tour des Pro­gramms „Mit­mach­kli­ma“ habe sich als Quel­le für Anre­gun­gen bewährt, nach­dem in die­sem Jahr bereits Pfaf­fen­ho­fen und Mün­chen besucht wor­den waren. Im näch­sten Jahr soll es mit die­sem For­mat und wei­te­ren Blicken über den Bam­ber­ger Tel­ler­rand weitergehen.

Aus­sa­gen von Teilnehmern
Chri­sti­an Hader (Grü­nes Bam­berg): „Tübin­gen macht vor, wor­über Bam­berg noch dis­ku­tiert. Eine vom dor­ti­gen Ein­zel­han­del gefor­der­te, ver­kehrs­be­ru­hig­te Innen­stadt sorgt für eine her­aus­ra­gen­de Lebens­qua­li­tät. Dar­über hin­aus ist die Stadt mit viel blü­hen­dem Grün ver­se­hen und ein moder­nes Ener­gie­kon­zept sorgt für Sicher­heit bei der Ver­sor­gung. Ich hof­fe, dass sich die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus dem Stadt­rat inspi­rie­ren ließen.“
Ger­hard Seitz (CSU): „Tübin­gen zeigt einen von der Bevöl­ke­rung akzep­tier­ten, kon­se­quen­ten Kli­ma­schutz und hat dabei ein Herz für Auto­fah­rer: In der Tief­ga­ra­ge 1 € und ober­fläch­lich null €/​Nacht, bei uns sind es 2,50 €/ Stun­de auch mit­ten in der Nacht!“
Felix Hol­land (SPD): „Der Besuch in Tübin­gen hat mir gezeigt, dass jede Stadt ihre eige­nen Haus­auf­ga­ben für das Kli­ma zu machen hat. Es gibt gemein­sa­me, aber auch spe­zi­fi­sche Auf­ga­ben und Mög­lich­kei­ten. Beson­ders wich­tig ist aber dabei, trans­pa­rent vor­zu­ge­hen, Erklä­run­gen für alle Betei­lig­ten zur Ver­fü­gung zu stel­len und sozia­le Gesichts­punk­te bei den Ent­schei­dun­gen mit zu berück­sich­ti­gen. Mit gesell­schaft­li­cher Akzep­tanz wird eine Umset­zung gelin­gen können.“