Nach 70 Jah­ren: Der „Her­ren­wald“ schließt am 31. Dezem­ber 2023 sei­ne Pforten

Anfang der 80er Jahre: die erste farbige Postkarte von der Gaststätte Herrenwald. © W. Hübner
Anfang der 80er Jahre: die erste farbige Postkarte von der Gaststätte Herrenwald. © W. Hübner

Der „Her­ren­wald“ – eine Insti­tu­ti­on macht zu. An Sil­ve­ster, in der Nacht vom 31. Dezem­ber auf den 1. Janu­ar wer­den Wir­tin Elfrie­de Engel­brecht und Toch­ter San­dra das letz­te Bier zap­fen und ein letz­tes Mal mit ihren treue­sten Stamm­gä­sten anstoßen.

In der Silvesternacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar werden Elfriede Engelbrecht und Tochter Sandra (von rechts) das letzte Bier zapfen und ein letztes Mal mit ihren treuesten Stammgästen anstoßen. Foto: Wolfgang Hübner

In der Sil­ve­ster­nacht vom 31. Dezem­ber auf den 1. Janu­ar wer­den Elfrie­de Engel­brecht und Toch­ter San­dra (von rechts) das letz­te Bier zap­fen und ein letz­tes Mal mit ihren treue­sten Stamm­gä­sten ansto­ßen. Foto: Wolf­gang Hübner

Nach 70 Jah­ren – schließt damit eine wei­te­re fami­li­en­be­trie­be­ne Gast­stät­te mit Bier­gar­ten und Kegel­bahn in dem Spei­chers­dor­fer Wei­ler zwi­schen Win­di­schen­lai­bach und Unter­schwarz­ach ihre Pfor­ten. „Mit einem wei­nen­dem und einem lachen­den Auge, mit viel Weh­mut, aber auch Erleich­te­rung“, so Wir­tin Elfrie­de (Elfi) Engel­brecht mit einer Trä­ne in den Augen.

Ein wei­te­res mar­kan­tes Bei­spiel für das gras­sie­ren­de Wirts­haus­ster­ben. Es ist für die Spei­chers­dor­fer, für die ober­frän­kisch-ober­pfäl­zi­sche Wirts­haus­land­schaft und dar­über hin­aus ein wei­te­rer Ein­schnitt. Der Ent­schei­dung sei ein lan­ger, quä­len­der Abwä­gungs­pro­zess vor­aus­ge­gan­gen, ver­hehlt Toch­ter San­dra nicht. Vie­le Trä­nen sei­en in den letz­ten Mona­ten geflos­sen, beteu­ert sie. „Die Ent­schei­dung dazu fiel uns allen sehr schwer. Doch wir schaf­fen die­ses gro­ße Arbeits­pen­sum nicht mehr.“ Um der Gerüch­te­kü­che vor­zu­beu­gen, stellt sie aber gleich­zei­tig fest, dass der Her­ren­wald nicht ver­pach­tet, geschwei­ge denn ver­kauft wird. Auch die Dau­er­cam­per blei­ben. „Wer weiß denn schon, was alles noch kommt, und wel­che Türen sich noch auf­tun. Im Moment aber las­sen wir das Gast­haus Her­ren­wald ruh´n.“

Hin­ter­grund: Elfie Engel­brecht kann am 2. Janu­ar 2024 ihren 75. Geburts­tag fei­ern. Im Okto­ber waren es 56 Jah­re, dass die Gast­stät­te ihr Leben, ihr Zuhau­se war. Wen wundert´s, dass der Wirts­haus­be­trieb da gesund­heit­lich sei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen hat. Ganz abge­se­hen davon, so San­dra, ist es alles ande­re als gewöhn­lich, erst mit 75 in den Ruhe­stand zu gehen. Auch die Kin­der haben von klein auf ihre gesam­te Frei­zeit in das Gast­haus gesteckt, um ihre Mama zu unter­stüt­zen und den Betrieb am Lau­fen zu hal­ten. Das ist auf Dau­er nicht durch­zu­hal­ten, stecken sie doch alle­samt voll im Berufs­le­ben, so Toch­ter Sandra.

Neben der Voll­zeit­be­schäf­ti­gung stand sie vor allem seit dem Tod ihres Vaters Edi im Som­mer 2020 treu an Mamas Sei­te. „Ich bin durch die Dop­pel­be­la­stung zu nichts ande­rem mehr gekom­men, nir­gends mehr hin­ge­kom­men. Das glei­che gilt für ihren Lebens­ge­fähr­ten Gerd, für Schwe­ster Iris und Schwie­ger­sohn Jür­gen, der vor allem die letz­te Zeit nur noch mit Schnit­zel klop­fen beschäf­tigt war, für die Enkel­kin­der Patrick, Mag­da­le­na, Uma und Pia oder die Freun­de des Hau­ses San­dra Buch­bin­der und Manue­la Schätz­ge. Sie alle­samt waren das Jahr über nicht nur 14. Not­hel­fer oder Feu­er­wehr, wenn am Wochen­en­de das Gast­haus aus allen Näh­ten zu plat­zen droh­te. Elfrie­de Engel­brecht konn­te sich auf sie alle ver­las­sen. Ent­spre­chend groß ist ihr Dank, allen vor­an an Toch­ter San­dra, der eine Trä­ne des Glücks in den Augen weit mehr zum Aus­druck bringt, als Wor­te es vermögen

Zudem wirft der Gast­haus­be­trieb nicht mehr so viel ab, um die Aus­ga­ben, die inzwi­schen vie­len Auf­la­gen zu decken und das Gan­ze wirt­schaft­lich und ren­ta­bel zu betrei­ben. Dafür wäre „full hou­se“ nicht nur am Sonn­tag nötig. Wer die letz­ten Jah­re genau hin­ge­se­hen habe, müs­se unwei­ger­lich fest­stel­len, dass es unter der Woche immer öfter sehr still gewor­den sei, bit­ten Elfi und San­dra vor allem ihre treue Kund­schaft um Ver­ständ­nis. Für man­che sei die Gast­stät­te auch „zu weit ab vom Schuss“, für ande­re „zu gering“ gewe­sen, ver­heh­len die Engel­b­rechts nicht im Blick auf das in den letz­ten Jah­ren sich gra­vie­rend ver­än­dern­de Anspruchs­den­ken der Kund­schaft. Zudem zwang Coro­na dazu, dass selbst die Schaf­kop­fe­rer nicht mehr kom­men konn­ten. Dar­über hin­aus reif­te die schmerz­li­che Erkennt­nis, dass es immer mehr nur die wirk­lich treu­en Gäste inter­es­sier­te, dass immer sehr viel Lie­be und Herz­blut in die Arbeit gesteckt, ja 70 Jah­re lang viel an Lebens­zeit in den Fami­li­en­be­trieb inve­stiert wur­de und das Wirts­haus 24/7 das Leben domi­nier­te. Auch war in Sachen Auf­wand und Nut­zen ohne­hin über all die Jahr­zehn­te ein zwei­tes Stand­bein erfor­der­lich, wie ein Blick in die Geschich­te zeigt.

Im „Her­ren­holz“, wie das Gebiet frü­her hieß, hat­ten die in Kod­litz 3 woh­nen­den Groß­el­tern Wil­helm und Mag­da­le­na Engel­brecht nach der Jahr­hun­dert­wen­de ein Grund­stück gero­det, um dort zunächst Flachs anzu­bau­en. In der Kriegs­zeit des ersten Welt­kriegs käuf­lich erwor­ben ent­stand hier ein Bau­ern­hof. Der Grund­stein für den Spei­chers­dor­fer Wei­ler zwi­schen Win­di­schen­lai­bach und Unter­schwarz­ach, der in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten zu einer klei­nen Oase und zum Refu­gi­um aus­ge­baut wur­de, war gelegt. Zu den Schick­sa­len rund um den Her­ren­wald gehört aber auch, dass 1951 ein ein­ge­mie­te­ter Maue­rer den Bau­ern­hof in sei­nem Rausch durch die Unacht­sam­keit abfackel­te. Anfang der 90er Jah­re hät­te sich das Schick­sal um Haa­res­brei­te wie­der­holt. Doch konn­te ein Zim­mer­brand gera­de noch gelöscht wer­den, bevor erneut grö­ße­res Unglück geschah.

Wil­helm Engel­brecht bau­te erneut, die­ses Mal ein Gast­haus mit Pen­si­on. Der „Her­ren­wald“ öff­ne­te 1954 sei­ne Pfor­ten. Zu den vie­len Anek­do­ten rund um den Her­ren­wald gehört, dass der am 4. Okto­ber 1936 gebo­re­ne Sohn Edwin (+ 2020) im Alter von vier Mona­ten schon Eigen­tü­mer des drei Hekt­ar gro­ßen Wald­grund­stücks Her­ren­wald wur­de. Der Vater hat­te es ihm kurz nach der Geburt 1936 über­schrie­ben, da ihm der Bür­ger­mei­ster zu ver­ste­hen gege­ben hat­te, dass er als erklär­ter Nazi-Geg­ner kei­nen Grund­be­sitz haben dürfe.

Seit 1967 ist der Her­ren­wald schließ­lich end­gül­tig mit den Namen Elfrie­de & Edi Engel­brecht ver­knüpft. Bei einem der Mon­ta­ge­auf­ent­hal­te von Edi Engel­brecht 1964 an der Uni Hei­del­berg mit Über­nach­tung in Wald­hils­bach bei Hei­del­berg hat­ten sich der damals 29-Jäh­ri­ge und die knapp 16-jäh­ri­ge Wirts­toch­ter Elfrie­de ken­nen­ge­lernt. „Es war Lie­be auf den ersten Blick“, erzählt sie, und für bei­de die Lie­be des Lebens. An Edi´s 31. Geburts­tag, am 4. Okto­ber 1967, gaben sich das Kod­lit­zer Urge­stein und die badi­sche ruhi­ge Gemüts­see­le in der evan­ge­li­schen Pfarr­kir­che in Birk vor Pfar­rer Hacker das Ja-Wort. 2017 konn­ten sie Gol­de­ne Hoch­zeit fei­ern. 2020 muss­te Elfie ihren gelieb­ten Edi zu Gra­be tragen.

Wäh­rend sich 1971 Edi Engel­brecht als Innen­aus­bau­er selb­stän­dig mach­te und das Geschäft bis zum Ruhe­stand 1991 betrieb wid­me­te sich Elfie Engel­brecht dem Wirts­haus­be­trieb und der Bestel­lung zunächst gro­ßer Erd­beer­fel­der. Als der Erd­beer­ver­kauf durch die Super­markt­kon­kur­renz nichts mehr ein­brach­te, wur­den die Fel­der zur Cam­ping­wie­se umstruk­tu­riert. Erst 1972 erfolg­te etwa die Anbin­dung ans Strom­netz (vor­her mit Aggre­gat), 1973 an die Was­ser­lei­tung über die Kel­ler­hut (vor­her Brun­nen­ver­sor­gung), erin­nert sich Elfi Engel­brecht an die Beschwer­nis­se der ersten Jah­re. Vor allem Gast­stät­te, Cam­ping­platz, Bier­gar­ten, Kegel­bahn und der Saal für 80 Gäste in idyl­li­scher Lage wur­den im Lau­fe der Jah­re immer mehr zum Anzie­hungs­punkt von Gästen aus aller Her­ren Län­der. Über­nach­tungs­gä­ste, Urlau­ber, Cam­per, Fahr­rad­fah­rer und Motor­rad­fah­rer kamen selbst aus Hol­land, Frank­reich, Eng­land und Grie­chen­land, Slo­we­ni­en und Nordfriesland.

Als Anlauf­stel­le für bür­ger­li­che Küche wur­de der Her­ren­wald vor allem von Gästen aus der Stadt Bay­reuth geschätzt. Zum har­ten und treu­en Kern aber zähl­ten vor allem die Win­di­schen­lai­ba­cher Rent­ner, die Schaf­kop­fer und Mucker und die Kame­ra­den der Sol­da­ten­ka­me­rad­schaft, die hier ihr Ver­eins­lo­kal hat. „Wir haben unver­gess­li­che schö­ne Stun­den und schö­ne Zei­ten ver­lebt“, so Elfrie­de Engel­brecht. „Vor allem sie wer­de ich unend­lich ver­mis­sen“, beteu­ert sie. „Ach, es gäbe weiß Gott unend­lich viel zu erzäh­len“, so Elfrie­de und San­dra uni­so­no. Unver­ges­sen sind die im Her­ren­wald gefei­er­ten fünf­tä­gi­gen Her­ren­wald­kirch­wei­hen am ersten August­wo­chen­en­de Ende der 60er und 70 Jah­re im Bier­zelt, bevor sie ab 1979 direkt im Gast­haus Her­ren­wald statt­fan­den. Im Jahr 2011 wur­de dann die letz­te Kirch­weih im Her­ren­wald gefei­ert und gebüh­rend „begra­ben“. Unver­ges­sen die Fuß­ball­stamm­tisch­mann­schaft Her­ren­wald, die vor 40 Jah­ren um den vom „Busen­freund“ Adam Gmei­ner gestif­te­ten Wan­der­po­kal mitspielte.

Wor­auf freut sich Elfrie­de Engel­brecht am mei­sten? Wir haben immer alles selbst her­ge­rich­tet, so Elfi Engel­brecht. Diens­tag wur­de ein­ge­kauft. Mitt­woch sei der Tag gewe­sen, an dem Sala­te gewa­schen, Kar­tof­fel, Karot­ten und Gur­ken geschält wur­den. Ab dem neu­en Jahr kann sie Toch­ter San­dra in die Arbeit und Enkel­toch­ter Mag­da­le­na ver­ab­schie­den in die Schu­le, ohne an Ein­kau­fen, Tisch­decken und Hand­tü­cher waschen, Sala­te her­rich­ten, an die Braue­rei den­ken zu müs­sen. Und dann will sie ein­fach mal immer wie­der weg­fah­ren. Zur Schwe­ster Wald­hils­bach bei Neckar­ge­münd und zu den bei­den Brü­dern in der Hei­del­ber­ger Ecke. Alles ande­re wie Rei­sen: „Schau´ma´ mal!“

Aber bis dahin ste­hen Elfrie­de und San­dra Engel­brecht noch har­te Tage und Wochen ins Haus. Geburts­tags­fei­ern, Kegel­abend, Weih­nachts­fei­ern, der Vdk-Novem­ber-Treff und die Vete­ra­nen-Jah­res­haupt­ver­samm­lung ste­hen an. Braue­rei­ver­tre­ter, Bür­ger­mei­ster und vie­le Ver­ein­s­ab­ord­nun­gen wer­den der Wir­tin zudem zum Abschied ihre Auf­war­tung machen, ist sie wie auch ihr ver­stor­be­ner Gemahl Edi nicht nur sprich­wört­lich „bekannt wie ein bun­ter Hund“. Edi Engel­brecht war auch Mäzen und Ver­eins- und Vor­stands­mit­glied bei der Win­di­schen­lai­ba­cher Sol­da­ten­ka­me­rad­schaft, der Feu­er­wehr, dem TSV Kir­chen­lai­bach und Fich­tel­ge­birgs­ver­eins, der Spei­chers­dor­fer Reser­vi­sten, des Schmid­tie-Stamm­ti­sches und des Rit­ter­bun­des Wal­deck zue Keme­n­a­tha. Ganz zu schwei­gen von den vie­len Anmel­dun­gen, die noch ein­mal die gute bür­ger­li­che Küche genie­ßen möch­ten. Selbst am ersten und zwei­ten Weih­nachts­fei­er­tag ist geöff­net. Nur am Mitt­woch, 27. Dezem­ber, hat der Her­ren­wald geschlos­sen, bevor von Don­ners­tag, 28. Dezem­ber, bis Sonn­tag, 31. Dezem­ber, der End­spurt statt­fin­det und Elfi und San­dra Engel­brecht in der Sil­ve­ster­nacht mit ihren getreue­sten Stamm­tisch­lern die Zeit des „Her­ren­wald“ in den 1. Janu­ar hin­ein aus­klin­gen lassen.