Mittelfränkische Verbände widersprechen Sozialministerin und fordern mehr Chancengerechtigkeit und Armutsbekämpfung

Pressemitteilung des DGB Mittelfranken:

Im Bündnis WirTransformierenBayern im Bereich soziale Gerechtigkeit haben der DGB Mittelfranken, die Caritas Mittelfranken, der Evangelische Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt und der mittelfränkische Behindertenrat im Juli zu einer Kundgebung vor dem Staatsministerium für Finanzen und Heimat in Nürnberg unter dem Motto „Gib Armut und Benachteiligung keine Chance“ aufgerufen.

Sozialstaatsministerin Ulrike Scharf und Finanzstaatsminister Albert Führacker sind der Einladung nicht gefolgt und haben auch keine Vertretung zu den Gesprächsrunden mit Betroffenen geschickt. Auf Nachfrage des Bündnisses antwortet Staatsministerin Scharf nun schriftlich. In dem Schreiben betont sie, dass sich die Menschen auf „stabile soziale Rahmenbedingungen verlassen können.“

Daran haben die kirchlich-gewerkschaftlichen Bündnispartner erhebliche Zweifel. Vor allem bei bezahlbaren und qualitätsorientierten Kinderbetreuungsangeboten. Zu der Behauptung, Eltern favorisierten einen Ausbau der Qualität vor einer Beitragsleistung, liefert Scharf keine Quellen. Die Bundesregierung kommt in einem entsprechendem Monitoring-Bericht zu anderen Ergebnissen. Demnach seien die Kosten der Kinderbetreuung für Menschen mit bestimmten Einkommensgruppen sehr wohl ein Hinderungsgrund, Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. „Dies zeigt, dass Einkommensarmut und Bildungsarmut und somit Chancengerechtigkeit sehr wohl zusammenhängen“, sagt Michael Endres, Direktor der Caritas in der Erzdiözese Bamberg.

In Mittelfranken kam es in den letzten Wochen zu mehreren Protestkundgebungen von Eltern gegen angekündigte Gebührenerhöhungen von teileweise sogar mehr als hundert Prozent. „Reduzierung von Öffnungszeiten oder gar Schließungen aufgrund von fehlenden Fachkräften im Kitabereich oder auch der ambulanten und stationären Pflege bekommen Eltern und Angehörige deutlich zu spüren und schürt großen Unmut über die Politik. Das Wegbrechen von verlässlichen Strukturen von Bildungs- und Sorgearbeit wird dann von erwerbstätigen Angehörigen, zumeist Frauen übernommen, was dem Arbeitsmarkt zusätzlich Fachkräfte entzieht“, sagt Stephan Doll.

Die Präsidentin des Diakonischen Werks Bayern warnte vor wenigen Tagen öffentlich, dass das soziale Netz in Bayern kurz davor sei, zu reißen. Sie kritisiert, dass trotz Drängens der Wohlfahrtsverbände seitens des Kultus- und Sozialministeriums nichts passiert sei, die gestiegenen Kosten der Träger der freien Wohlfahrtspflege aufzufangen. „Diese Vernachlässigung durch die bayerische Staatspolitik gefährdet Hilfestrukturen, treibt engagierte Beschäftigte aus dem Beruf und treffe insbesondere Hilfsbedürftige und Kinder als die nächste Generation mit voller Härte“, mahnt DGB-Geschäftsführer Doll.

Die desaströse Situation setzt sich in der Schule fort. Allein für Mittelfranken fehlen aktuell 4.400 Wochenstunden, was 161 Vollzeitkräften entspricht, wie der Bezirksvorstand Mittelfranken des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands vor wenigen Tagen mitteilte. Die Zahl der Lehrkräfte, denen eine Dienstunfähigkeit bescheinigt wurde, habe sich in den vergangenen fünf Jahren bayernweit verdreifacht.

Sozialstaatsministerin Scharf hält Tarifverträge und eine hohe Tarifbindung für den „besten Weg zu auskömmlichen Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen“, wie sie schreibt. Der DGB Bayern hat jedoch erhoben, das Bayern mit einer Tarifbindung von 53 Prozent der Beschäftigten das Schlusslicht der westdeutschen Bundesländer ist, Tendenz sinkend. „Dieser dramatischen Situation könnte der Freistaat sein Gewicht auf dem Markt mit seiner Vorbildfunktion etwas entgegenhalten“, fordert Doll, „indem er ein Tariftreue- und Vergabegesetz verabschiedet. Die vielen Milliarden Euro pro Jahr, die der Freistaat und Kommunen für öffentliche Aufträge ausgibt, würden dann nicht an die billigsten, sondern an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Wir brauchen endlich einen verantwortungsvollen Einsatz von Steuergeldern und keine Steuergelder für Lohndumping.“

Ein solches Faire-Löhne-Gesetz, wie es der DGB fordert, lehnt Scharf ab, da ein Vergabegesetz mit Tariftreueregelung für sie nicht „sachgerecht“ sei und dem Ziel, „Bürokratie abzubauen“, entgegenstehe.

Der Mangel an Verantwortung von Unternehmen ist in Bayern besonders groß. Die Folgen schlechter Tarifbindung tragen vor allem Frauen. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern beträgt in Bayern 21 Prozent und landet somit auf dem vorletzten Platz unter den Bundesländern, wo der Durchschnitt bei 18 Prozent liegt. Die Lohnlücke in Bayern beträgt demnach durchschnittlich 5,43 Euro brutto die Stunde mehr für Männer. „Diese Ungerechtigkeit ist Ausdruck von Chancenungleichheit im Beruf. Die Folgen ziehen sich durch bis in Alter“, warnt Stephan Doll. „Bei der Armutsgefährdungsquote der über 65-jährigen Frauen ist Bayern mit 24,5 Prozent das Schlusslicht im Bundesgebiet.“

Mit dem Programm „Bayern barrierefrei“ für rund 1,16 Millionen Schwerbehinderte in Bayern wird das Ziel „barrierefrei bis 2023“ nicht erreicht, obwohl dies Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner Regierungserklärung vom November 2013 angekündigt hat, Bayern bis 2023 im gesamten öffentlichen Raum und im gesamten ÖPNV barrierefrei zu machen. Dazu gibt es auch keinen neuen Zeitplan und Staatsministerin Scharf wagt auch keinen konkreten Blick in die Zukunft in ihrem Antwortschreiben.

Zugestanden stellt die Staatsregierung hohe Mittel für Barrierefreiheit zur Verfügung. Diese reichen aber bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Nur neun Prozent der bayerischen Wohnungen haben einen komplett barrierefreien Zugang, komplett barrierefrei ausgestattet sind 2,4 Prozent. Von den 2.839 öffentlich zugänglichen staatlichen Gebäuden Bayerns besitzen 1.399, also nur knapp die Hälfte, barrierefreie Parkplätze und Sanitärräume. Und von den 1.066 bayerischen Bahnhöfen und Haltestellen sind nur 506 komplett barrierefrei. Diese Zahlen hat der Münchner Merkur im Januar veröffentlicht. „Es braucht einen verstärkten Einsatz für barrierefreies Wohnen mit barrierefreien Neubauten und rollstuhlgerechten Wohnungen“, fordert Angelika Feisthammel, Erste Vorsitzende des mittelfränkischen Behindertenrats und fügt hinzu, „Barrierefreiheit ist eine Pflicht! Keine Kür!“

Abschließend schreibt Scharf: „Soziale Gerechtigkeit bedeutet gleiche Chancen zu ermöglichen.“ „Das sieht der DGB genauso. Wir hoffen aber, dass die neue Staatsregierung dieses Anliegen endlich anpackt und zwar so, dass die Menschen auch wirklich was spüren und Politik wieder ernst nehmen können“, hofft DGB-Regionsgeschäftsführer Doll.