Abschied von der Bam­ber­ger Kir­chen­mu­si­ke­rin Ingrid Kasper

Ingrid Kasper quer
Ingrid Kasper; Foto: privat

Nach 23 Jah­ren Dienst als Kir­chen­mu­si­ke­rin an der Bam­ber­ger Ste­phans­kir­che und Deka­nats­kan­to­rin für den Deka­nats­be­zirk Bam­berg ver­ab­schie­det sich Frau Kir­chen­mu­sik­di­rek­to­rin Ingrid Kas­per und wird zum 1. Okto­ber 2023 Lan­des­kir­chen­mu­sik­di­rek­to­rin der Evan­ge­li­schen Kir­che in Mit­tel­deutsch­land mit Sitz an der Augu­sti­ner­kir­che in Erfurt. Pfar­rer Dr. Hans-Hel­muth Schnei­der stell­te ihr eini­ge Fragen.

Wel­che beson­de­ren Schwer­punk­te oder gro­ßen Lini­en hast Du verfolgt?
Mei­ne Leit­li­nie war, mit der Kir­chen­mu­sik inmit­ten der Gemein­de zu ste­hen, mit den Chö­ren, Ensem­bles und Kir­chen­mu­si­kern und ‑musi­ke­rin­nen aus die­ser Basis hin­aus­zu­strah­len, sich mit kirch­li­chen und welt­li­chen Koope­ra­ti­ons­part­nern zu ver­net­zen und immer offen für die Bedürf­nis­se aller Gene­ra­tio­nen zu blei­ben. Dar­aus ent­wickel­ten sich span­nen­de Pro­jek­te; aber auch die Pfle­ge von Tra­di­tio­nen war mir dabei immer ein gro­ßes Anlie­gen, so dass mein Cre­do lau­tet: Tra­di­tio­nen bewah­ren und gleich­zei­tig inno­va­tiv sein.

Wel­che (Musik-)Ereignisse waren für Dich die Höhe­punk­te hier in Bamberg?
Da ich als frisch exami­nier­te Kan­to­rin mit 26 Jah­ren die Stel­le als Deka­nats­kan­to­rin in St. Ste­phan ange­tre­ten habe, war für mich jede Auf­füh­rung der gro­ßen Ora­to­ri­en eine Beson­der­heit: zum ersten Mal durf­te ich eine Johan­nes­pas­si­on, eine Mat­thä­us­pas­si­on, eine h‑moll-Mes­se von Johann Seba­sti­an Bach mit der Kan­to­rei gestal­ten, natür­lich auch in der Fol­ge die gro­ßen Ora­to­ri­en der Musik­ge­schich­te. Es war mir eine gro­ße Ehre, dabei mit Mit­glie­dern der Bam­ber­ger Sym­pho­ni­ker ein so groß­ar­ti­ges Orche­ster an mei­ner Sei­te zu haben, dass von Kat­ja und Chri­stof Kuen immer mit so gro­ßem Enga­ge­ment zusam­men­ge­stellt wur­de. Dabei war mir vor allem in mei­nen ersten Dienst­jah­ren Kon­zert­mei­ster Wal­ter For­chert mit sei­nem Erfah­rungs­schatz ein wich­ti­ger Impuls­ge­ber für mei­ne Ent­wick­lung als Diri­gen­tin. Kon­zert­rei­sen und Koope­ra­tio­nen führ­ten uns nach Kra­kau, Feld­kir­chen, Wien, immer wie­der mit dem Kauf­e­rin­ger Motet­ten­chor an den Ammer­see, nach Stein­ga­den und Kauf­e­ring mit gro­ßen Wer­ken – Mat­thä­us­pas­si­on, Brahms-Requi­em und Eli­as und ganz wun­der­bar in der Zusam­men­ar­beit mit Dom­ka­pell­mei­ster Janos Czif­ra nach Salz­burg: Mozart-Requi­em bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len und eine Bach­kan­ta­te im Hoch­amt des Salz­bur­ger Domes. Dass sich so rasch ein wirk­lich star­ker gro­ßer Kin­der­chor, spä­ter auch der Tee­niech­or, gebil­det hat, war der Zusam­men­ar­beit mit Pfar­re­rin Ange­li­ka Stein­bau­er zu ver­dan­ken. Sie war in jeder Chor­pro­be dabei, was schließ­lich ehren­amt­lich Chri­stia­ne Scha­de­berg mit viel Herz­blut über­nom­men hat. Auch mit den Kin­der­chö­ren konn­ten wir gro­ße Auf­füh­run­gen auf die Büh­ne brin­gen: ich den­ke an das Dschun­gel­buch als eines der letz­ten Kon­zer­te im Zen­tral­saal, wo mein dama­li­ger Dekan Otfried Sperl mit sei­ner gro­ßen Kunst als Jazz­pia­nist am Kla­vier das Herz­stück der beglei­ten­den Jazz­band bil­de­te. Über hun­dert Kin­der­chor­ge­wän­der wur­den für unse­re bibli­schen Sing­spie­le ehren­amt­lich von mei­ner Freun­din Mar­ga­re­te Klie­ber aus weg­ge­wor­fe­nen Stoff­re­sten in Ober­am­mer­gau pass­ge­nau mit Abnä­hern an den Schul­tern und selbst­ge­drech­sel­ten Holz­knöp­fen ange­fer­tigt. Von Anfang an haben mich die Kin­der inspi­riert, Lie­der und Sing­spie­le für sie zu kom­po­nie­ren. Beson­ders berei­chernd war die Zusam­men­ar­beit mit dem Zir­kus Don Bos­co und Bar­ba­ra Weigel und ihrem Schie­be­thea­ter „Der Find­ling“ – alles zu ver­dan­ken der Idee von Inka Wun­de­rer. Der Höhe­punkt der kom­po­nier­ten Sing­spie­le war „Ste­pha­nus“ zum 1000-jäh­ri­gen Jubi­lä­um der Ste­phans­kir­che mit den Tex­ten von Pfar­rer Wal­ter Neun­hoef­fer. Der Gos­pel­chor! Zwei Jugend­li­che hat­ten mich in mei­nem ersten Dienst­jahr ange­spro­chen, dass Sie ger­ne Gos­pels sin­gen möch­ten. Ein Gos­pel­chor­wo­chen­en­de brach­te uns sofort 100 Sän­ger und Sän­ge­rin­nen, aus denen sich dann bald der Gos­pel­chor mit regel­mä­ßi­gen Pro­ben eta­blier­te. Zunächst füll­ten wir die Ste­phans­kir­che bis auf den letz­ten Platz mit unse­ren Christ­mas-Carols (ich den­ke mit viel Schmun­zeln an nse­ren Ein­zug „Christ­mas is coming“ mit den Wun­der­ker­zen), dem John Rut­ter-Requi­em und schließ­lich ganz tra­di­tio­nell beim Weih­nachts­lie­der­sin­gen mit unse­rem Posau­nen­chor mit anschlie­ßen­dem Advents­feu­er und Glüh­wein. Wir waren gela­de­ne Gäste in Mies­bach, in Ober­am­mer­gau, in Wun­sie­del, beim Kir­chen­tag zum Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­um in Coburg, in der blau­en Nacht in Nürn­berg St. Sebald und zur Öff­nung des Sel­bal­dus­gra­bes und beim Baye­ri­schen Kir­chen­tag auf dem Hes­sel­berg. Aus dem Gos­pel­chor her­aus ent­wickel­ten sich die „Ste­reo­pho­ni­ker“ zu einem Ensem­ble, das seit­her die Kir­chen­ge­mein­de St. Ste­phan mit einem brei­ten Reper­toire als Vokal­quin­tett berei­chern. Der „Lit­ti“, wie wir uns selbst als lit­ur­gi­scher Chor lie­be­voll nen­nen, war jeden Sonn- und Fei­er­tag vor Coro­na mit mir auf der Orgel­em­po­re anzu­tref­fen. In der „Mäu­se­kam­mer“ drän­gel­ten wir uns um das schep­pern­de Key­board und stell­ten in 10-minü­ti­ger Pro­be das Ensem­ble mit wech­seln­der Stim­men­be­set­zung zusam­men. Die mei­sten Lit­ti-Mit­glie­der kön­nen bis zu drei Stim­men mei­ner für sie kom­po­nier­ten bis­he­ri­gen Introi­ten aus­wen­dig , die beim Stru­be-Ver­lag gedruckt wur­den. Ein ganz gro­ßer Höhe­punkt war die Ein­wei­hung der Mühl­ei­sen­or­gel im Jahr 2008. Durch den Orgel­bau-För­der­ver­ein wur­de die nöti­ge Mil­li­on in unzäh­li­gen Ein­zel­ak­tio­nen zusam­men­ge­tra­gen: die Tom­bo­la rund ums Haar, bei der gespen­de­te Fri­seur­gut­schei­ne ver­lost wur­den zur Auf­füh­rung des Sing­spiels „Sam­son und Deli­la“, die Ste­phans­ber­ger Herbst­kon­zer­te mit knapp 100 Bene­fiz­kon­zer­ten, die „Bier“-Konzerte mit den Bier­spen­den Bam­ber­ger Braue­rei­en und den barocken „Bier“ – Madri­ga­len und den „Bier“-Legenden mit Mar­tin Neu­bau­er. Die Mühl­ei­sen­or­gel ist mit Ihrem Engels­spiel, den sel­ten zu hören­den „Röh­ren­glocken“, eine wahr­haf­te Köni­gin der Instru­men­te, von der ich mich nur schwer ver­ab­schie­den kann. Ich hof­fe sehr, wei­ter als Gast auf ihr und mit ihr spie­len zu dür­fen. Dass sie nun noch eine klei­ne Schwe­ster mit der wun­der­schö­nen Chor­or­gel des Bam­ber­ger Orgel­bau­mei­sters Tho­mas Eich­fel­der bekom­men hat, ist ein wei­te­rer Höhe­punkt in den letz­ten Jah­ren. Als Höhe­punk­te mei­ner Dienst­zeit möch­te ich auch die 21 D‑Prüfungen mei­ner Orgel­schü­ler und ‑schü­le­rin­nen nen­nen. Ich bin eine lei­den­schaft­li­che Päd­ago­gin und emp­fin­de es als gro­ße Ehre, jun­ge Men­schen in ihrer musi­ka­li­schen Lauf­bahn beglei­ten zu dür­fen oder erwach­se­nen Orga­nist und Orga­ni­stin­nen wei­te­re Impul­se für das musi­ka­li­sche Wir­ken geben zu kön­nen. Dass fünf mei­ner ehe­ma­li­ge Schü­ler und Schü­le­rin­nen die Kir­chen­mu­sik zum Beruf gemacht haben, erfüllt mich mit Stolz. Es war gut, ein Gegen­über mit der zwei­ten Dekanatskantor/​Dekanatskantorinnenstelle in der Erlö­ser­kir­che zu haben, von denen ich zwei nament­lich nen­nen möch­te: Mar­tin Wen­zel ist bei mei­nen Thea­ter­pro­duk­tio­nen und Musi­cal­auf­füh­run­gen – an Ton, Licht oder Schlag­zeug – , aber auch mit den Licht­ef­fek­ten bei Kon­zer­ten nicht weg­zu­den­ken. Mit Mar­ke­ta Schley Reind­l­o­va emp­fin­de ich eine tie­fe Ver­bun­den­heit im Musi­ka­li­schen und Per­sön­li­chen. Sehr dank­bar bin ich „mei­nen“ bei­den Deka­nen Otfried Sperl und Hans-Mar­tin Lech­ner, die gro­ße Unter­stüt­zer der Kir­chen­mu­sik mit­ten im Puls der Kon­zer­te, Got­tes­dien­ste und Rei­sen waren. Ganz beson­de­re Höhe­punk­te waren immer Koope­ra­tio­nen mit inner­kirch­li­chen oder welt­li­chen Insti­tu­tio­nen: Die regel­mä­ßi­ge Bach­kan­ta­te am Refor­ma­ti­ons­tag in der Erlö­ser­kir­che, Die Auf­füh­rung der Chor­oper „Pro­so­po­peia“ von Lucia Ron­chet­ti mit dem Inter­na­tio­na­len Künst­ler­haus – Vil­la Con­cor­dia, die Pro­duk­ti­on „Wie im Him­mel“ im ETA-Hoff­mann-Thea­ter mit den Chö­ren von St. Ste­phan, die „ETA-Hoff­mann-Nacht“ mit dem Kul­tur­amt der Stadt Bam­berg, die Bam­ber­ger Chor­nacht – regel­mä­ßig alle zwei Jah­re- in öku­me­ni­scher Ver­bun­den­heit, das Sing-along-Kon­zert „Hän­del meets Rut­ter – Hal­le­lu­ja!“ beim DEKT in Koope­ra­ti­on mit der ION und schließ­lich die gro­ßen Pro­duk­tio­nen mit Regis­seu­rin Nina Lorenz und ihrem Thea­ter im Gärt­ner­vier­tel Fried­rich Schil­ler „Jung­frau von Orleans“ und „Kai­ros – die Zeit ist da!“ im Kir­chen­raum St. Ste­phan. Dass die­se Pro­duk­ti­on „Kai­ros- die Zeit ist da!“ nun als Fina­le dasteht, erfüllt mich mit gro­ßer Dank­bar­keit. In die­sem Pro­jekt ist das zusam­men­ge­fasst, was ich mir für die Kir­chen­mu­sik und die Kir­che als Gan­zes wün­sche und lei­te zur näch­sten Fra­ge über….

Was wür­dest Du Dir wün­schen – für einen Nachfolger/​eine Nach­fol­ge­rin und für die Kirchengemeinde?
Ich wün­sche mir für die Kir­chen­ge­mein­de St. Ste­phan, deren Gemein­de­glied ich blei­be, für das Deka­nat, die Baye­ri­sche Lan­des­kir­che und die EKD, dass unse­re Räu­me offen sind für alle, um Gesprä­che zu füh­ren, Fra­gen zu stel­len, um gemein­sam zu fei­ern, zu kla­gen, zu wei­nen, zu beten und Segen zu emp­fan­gen. Ich wün­sche mir Offen­heit für Expe­ri­men­te und Inno­va­ti­ves. Gleich­zei­tig wün­sche ich mir einen wert­schät­zen­den Umgang mit lieb­ge­won­ne­nen Tra­di­tio­nen und kei­ne Angst davor, sie, wenn sie dann doch über­al­tert sind und nur noch leer abge­spult wer­den, auf­zu­ge­ben, um Raum für neue Ideen zu geben.

Kannst Du kurz dein neu­es Auf­ga­ben­ge­biet umschreiben?
Die in der letz­ten Fra­ge for­mu­lier­ten Wün­sche neh­me ich mit in das für mich neue Auf­ga­ben­feld einer Lan­des­kir­chen­mu­sik­di­rek­to­rin, wo ich in der Evan­ge­li­schen Kir­che in Mit­tel­deutsch­land – das sind in etwa die bei­den Bun­des­län­der Thü­rin­gen und Sach­sen-Anhalt- mit vie­len kom­pe­ten­ten Fach­kräf­ten das Zen­trum Kir­chen­mu­sik in Erfurt lei­te und damit die Kir­chen­mu­sik för­dern und stär­ken möch­te. Mit der zwei­ten Hälf­te mei­nes Dien­stes bin ich Chor­lei­te­rin in Erfurt für die Augu­sti­ner­kan­to­rei, das Andre­as-Kam­mer­or­che­ster und den Augu­sti­ner-Vocal­k­reis zustän­dig und gestal­te Kon­zer­te und sicher wei­ter­hin inno­va­ti­ve Pro­jek­te auf neu­en Wegen der Kirchenmusik.

Wie­so eigent­lich Ingrid „Kas­per“?
Wo mein Nach­na­me genau her­kommt, ist schwer zu sagen, weil es väter­li­cher­seits eine sehr ver­zwick­te, hoch­span­nen­de, den Rah­men die­ses Gemein­de­briefs spren­gen­de Her­kunfts­ge­schich­te gibt. Ich kann nur sagen, dass ich als Kind und Jugend­li­che die­sen Namen nicht moch­te: „Grün und blau, ist dem Kas­per sei Frau“, die „glaa Kasch­ber“, der „Klas­sen­kas­per“, der „Sup­pen­kas­per“,… das waren For­mu­lie­run­gen, die ich nicht so gern moch­te. Inzwi­schen mag ich den Namen sehr, ist doch ein „Kas­per“ jemand, der immer fröh­lich ist, alles mit einem Fun­ken Humor würzt, der beim Thea­ter meist die Begrü­ßung macht, also durch­aus vor­ne steht, moti­viert, ein­stimmt, ande­re zum Lachen bringt und immer selbst ein Lächeln auf den Lip­pen hat. Und was ich noch sagen möch­te: Vie­len Dank von gan­zem Her­zen für die vie­len hel­fen­den Hän­de, die ehren­amt­lich und haupt­amt­lich zuge­packt haben, die herz­li­che Gemein­schaft, die vie­len unzäh­li­gen lang­sa­men und schnel­len Noten, die so kunst­voll erklun­gen sind, die strah­len­den Augen, die jubi­lie­ren­den Stim­men und auch die musi­ka­li­schen Pau­sen, das Inne­hal­ten in der Stil­le. Soli deo gloria