Kran­ken­haus­re­form – Kran­ken­haus­pla­nung auch in Forch­heim nicht dem Zufall überlassen

v.l. Franka Struve-Waasner im Interview mit Dr. Klaus Schulenburg, Referent für Krankenhauswesen beim Bayerischen Landkreistag. Bild: privat
v.l. Franka Struve-Waasner im Interview mit Dr. Klaus Schulenburg, Referent für Krankenhauswesen beim Bayerischen Landkreistag. Bild: privat

Dr. Klaus Schu­len­burg ist Refe­rent für Kran­ken­haus­we­sen beim Baye­ri­schen Land­kreis­tag und seit 17 Jah­ren Mit­glied im Kran­ken­haus­pla­nungs­aus­schuss. Er ist eben­falls Mit­glied im Haupt­aus­schuss der Baye­ri­schen Kran­ken­haus­ge­sell­schaft. Durch sei­ne Erfah­rung kennt er vie­le baye­ri­sche Kran­ken­häu­ser sowohl von innen durch Bau­maß­nah­men als auch von außen und hat einen umfas­sen­den Über­blick über die baye­ri­sche Krankenhauslandschaft.

Fran­ka Struve-Waas­ner : In Bezug auf die Kran­ken­haus­re­form rücken jetzt die Lei­stungs­grup­pen stär­ker in den Vor­der­grund, wäh­rend die Leve­lein­tei­lung in den Hin­ter­grund tritt. (Anmer­kung ad Lei­stungs­grup­pe: Die Lei­stungs­grup­pen defi­nie­ren die Lei­stun­gen, die ein Kran­ken­haus erbringt, wenn dafür die tech­ni­sche Aus­stat­tung und das fach­ärzt­li­che und pfle­ge­ri­sche Per­so­nal vor­han­den ist; ad Level: Die Kran­ken­häu­ser wer­den bun­des­ein­heit­li­chen Ver­sor­gungs­stu­fen, sog. Levels 1i, 1n, 2 und 3 sowie Level F (Fach­kran­ken­häu­ser) mit Level 3 als höch­stem Level (Maxi­mal­ver­sor­ger und Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka) zugeordnet.)

Klaus Schu­len­burg : Die Ver­sor­gungs­le­vel haten bei den Vor­schlä­gen des Regie­rungs­kom­mis­si­on noch eine gro­ße Bedeu­tung, wur­den jedoch in den neue­sten Bund-Län­der-Eck­punk­ten weni­ger betont. Sie sol­len jetzt nur noch dazu die­nen, Trans­pa­renz für die Pati­en­ten zu schaf­fen, damit die­se den Umfang der Lei­stun­gen für Level 1, 2 und 3 ver­ste­hen kön­nen. Die enge Zuord­nung von Lei­stungs­grup­pen zu bestimm­ten Ver­sor­gungs­le­veln durch die Kran­ken­haus­pla­nungs­be­hör­den der Län­der soll nun fle­xi­bler gehand­habt wer­den. In Bay­ern haben wir jetzt die Mög­lich­keit, die bis­he­ri­gen Ver­sor­gungs­stu­fen gemäß dem baye­ri­schen Kran­ken­haus­plan anzupassen.

FS: Die Kran­ken­haus­re­form wird stark von Nord­rhein-West­fa­len beeinflusst.

KS: Nord­rhein-West­fa­len hat frü­her damit begon­nen, sei­ne Kran­ken­haus­pla­nung wei­ter­zu­ent­wickeln und bereits vor sie­ben oder acht Jah­ren Lei­stungs­grup­pen und ‑berei­che defi­niert. Als Baye­ri­scher Land­kreis­tag haben wir immer wie­der betont, dass eine Wei­ter­ent­wick­lung der Kran­ken­haus­pla­nung auch in Bay­ern not­wen­dig ist. Die baye­ri­sche Kran­ken­haus­pla­nung kommt eher der Fort­schrei­bung eines histo­risch gewach­se­nen Besitz­stands­re­gi­sters gleich. Sie berück­sich­tigt nicht aus­rei­chend die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung, die Epi­de­mio­lo­gie und die Zukunfts­aus­sich­ten. Dies ist bedau­er­lich, da die Dis­kus­si­on um die Kran­ken­haus­re­form auf Bun­des­ebe­ne jetzt stark von Nord­rhein-West­fa­len geprägt wird, wäh­rend Bay­ern kei­ne eige­nen Ideen vor­wei­sen kann.

FS: Wer trifft die Ent­schei­dun­gen in Bezug auf die Krankenhausreform?

KS: Das Baye­ri­sche Staats­mi­ni­ste­ri­um trifft Ent­schei­dun­gen über die Auf­nah­me in den Kran­ken­haus­plan in Form von Ver­wal­tungs­ak­ten mit Rechts­be­helfs­be­leh­rung. Die­se Ent­schei­dun­gen wer­den jedoch vor­her im Kran­ken­haus­pla­nungs­aus­schuss dis­ku­tiert, in dem Ver­tre­ter der Kas­sen­ver­bän­de, der Baye­ri­schen Kran­ken­haus­ge­sell­schaft, der frei­ge­mein­nüt­zi­gen Trä­ger, wie Dia­ko­nie, Cari­tas, des Bezir­ke­tags, Städ­te­tags, Land­kreis­tags und des Ver­bands der pri­va­ten Kran­ken­an­stal­ten ver­tre­ten sind. Nor­ma­ler­wei­se wer­den Ent­schei­dun­gen im Kon­sens nach dem Ein­stim­mig­keits­prin­zip getrof­fen. Das Baye­ri­sche Gesund­heits­mi­ni­ste­ri­um ist aber der zen­tra­le Akteur. Die Bezirks­re­gie­run­gen haben eben­falls Ein­fluss, ins­be­son­de­re bei Bau­pro­jek­ten. Die Bezirks­re­gie­run­gen haben bei Ein­zel­fra­gen Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se, wäh­rend das Baye­ri­sche Gesund­heits­mi­ni­ste­ri­um für die gesam­te kran­ken­haus­pla­ne­ri­sche Aus­rich­tung zustän­dig ist.

FS: Ange­sichts der finan­zi­el­len Lage vie­ler Kran­ken­häu­ser wird die Umset­zung der Kran­ken­haus­re­form frag­lich. Wie schätz­ten Sie das ein?

KS: Es gibt unter­schied­li­che Ansich­ten bezüg­lich des Struk­tur­wan­dels. Eini­ge wer­fen der Bun­des­po­li­tik vor, die Reform­dis­kus­si­on zu ver­zö­gern. Obwohl der Bund im Moment die trei­ben­de Kraft ist, stellt er kei­ne zusätz­li­chen Finanz­mi­tel zur Ver­fü­gung. Die Ver­lu­ste wer­den momen­tan aus­ge­gli­chen von den Trä­gern. Da trifft es vor allem die kreis­frei­en Städ­te und Land­krei­se und die frei­ge­mein­nüt­zi­gen Trä­ger. Jeder Trä­ger muss die Defi­zi­te, die momen­tan durch die nicht ein­ge­preis­ten Tarif­stei­ge­run­gen, Sach­ko­sten­stei­ge­run­gen usw. bei den Kran­ken­häu­sern auf­lau­fen, aus­glei­chen. Da ste­hen bei man­chen Land­krei­sen mit­ler­wei­le pro Jahr mehr als 20 Mio. Euro an, das sind je nach Haus­halts­vo­lu­men 8 bis 10 Kreis­um­la­ge­he­be­punk­te. Ein Land­kreis hat auch ande­re Auf­ga­ben – außer Kran­ken­haus. Er muss sich auch um Kreis­schu­len, Kreis­stra­ßen, Abfall­be­sei­ti­gung, ÖPNV und ande­re Auf­ga­ben küm­mern. Wenn nicht bald fri­sche finan­zi­el­le Mit­el von Ber­lin kom­men, könn­ten eini­ge Kran­ken­häu­ser vor der Insol­venz ste­hen und die Reform gar nicht mehr erle­ben. Auf die­se Wei­se könn­ten Häu­ser ver­lo­ren gehen, die wir eigent­lich zur Auf­recht­erhal­tung der not­fall­me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung in der Flä­che drin­gend benötigen.

FS: Wann könn­ten die Kran­ken­häu­ser in die neu­en Ver­sor­gungs­le­vel ein­ge­teilt werden?

KS: Der Zeit­plan für das erste Reform­ge­setz auf Bun­des­ebe­ne sieht vor, dass Eck­punk­te bis zur Som­mer­pau­se fest­ge­legt wer­den. Danach wird ein Refe­ren­ten­ent­wurf erar­bei­tet und ins par­la­men­ta­ri­sche Ver­fah­ren ein­ge­bracht. Da es ein zustim­mungs­pflich­ti­ges Gesetz ist, bei dem der Bun­des­rat und die Län­der zustim­men müs­sen, könn­te die Umset­zung bis Ende des Jah­res knapp wer­den. Der Bund plant, dass ab 2024 die Kran­ken­haus­pla­nungs­be­hör­den die Zuord­nung der neu­en Lei­stungs­grup­pen an die Kran­ken­häu­ser vor­neh­men. Im Jahr 2026 sol­len dann als erste Stu­fe der sog. Kon­ver­genz­pha­se die Vor­hal­te­bud­gets aus­ge­reicht werden.

FS: Wie sol­len die Kran­ken­häu­ser der ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­le­vel zukünf­tig zusam­men­wir­ken? Neh­men wir das Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Erlan­gen als Bei­spiel, das von klei­ne­ren Kran­ken­häu­sern umge­ben ist.

KS: Neben einem Maxi­mal­ver­sor­ger oder einem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum ist ein Level 2‑Haus im nähe­ren Umgriff nicht zwin­gend erfor­der­lich, aber die Situa­ti­on kann indi­vi­du­ell vari­ie­ren. Die jewei­li­ge Kon­stel­la­ti­on spielt eine wich­ti­ge Rol­le. In Bal­lungs­ge­bie­ten wie Erlan­gen oder Mün­chen soll­ten umlie­gen­de Kran­ken­häu­ser auch eine gewis­se medi­zi­ni­sche Exper­ti­se auf­wei­sen, nicht nur Bet­ten bereit­stel­len. Die­se Häu­ser die­nen auch als Über­lauf für die Groß­kran­ken­häu­ser in den Bal­lungs­re­gio­nen, wie es bei der Ver­sor­gung der Coro­na-Pati­en­ten deut­lich wur­de. Häten die klei­ne­ren Häu­ser nicht häu­fi­ger elek­ti­ve Lei­stun­gen erbracht und leich­te­re Coro­na-Fäl­le behan­delt, häten die grö­ße­ren Häu­ser sich kei­nes­falls wie gesche­hen auf die schwe­re­ren Fäl­le kon­zen­trie­ren kön­nen. Die­ses Prin­zip der kom­mu­ni­zie­ren­den Röh­ren (Anmer­kung: Koor­di­na­ti­on von Ver­sor­gungs- und Pla­nungs­si­cher­heit) in einem gestuf­ten Kran­ken­haus­sy­stem muss bei kran­ken­haus­pla­ne­ri­schen Maß­nah­men berück­sich­tigt wer­den, auch um zukün�ige Ent­wick­lung zu berück­sich­ti­gen und Ver­bund­lö­sun­gen zu unter­stüt­zen. Wel­che Kran­ken­häu­ser sol­len wel­ches Ver­sor­gungs­le­vel haben? Die Ent­schei­dung soll­te stra­te­gisch sein, ans­tat auf Zufall zu setzen.

FS: Kon­kret: Wie sieht es aus für den Stand­ort Eber­mann­stadt des Kli­ni­kums Forch­heim-Frän­ki­sche Schweiz? Wäre das eine sinn­vol­le For­de­rung zu sagen, wir wol­len hier ein inte­grier­tes Gesund­heits­ver­sor­gungs­zen­trum? (Anmer­kung: Das ist ein sek­toren­über­grei­fen­des Zen­trum für ambu­lan­te und sta­tio­nä­re medi­zi­ni­sche Behandlung)

KS: Für Eber­manns­stadt gibt es zwei Sze­na­ri­en: ein Level 1i- Haus oder ein Fach­kran­ken­haus für Psy­cho­so­ma­tik. Die Ger­ia­trie zieht um nach Forch­heim. Man kann ent­we­der ver­su­chen ein Fach­kran­ken­h­aus­sta­tus zu ent­wickeln oder eine inte­grier­te Ver­sor­gung. Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung in Bay­ern ist die Land­arzt­pro­ble­ma­tik der Nie­der­ge­las­se­nen. In unse­rer Regi­on in Ober­fran­ken ist die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung noch weit­ge­hend gege­ben, aber wenn man in den Baye­ri­schen Wald blickt, ins tief­ste Mit­el­fran­ken oder ins nörd­li­che Ober­fran­ken, dreht es nicht mehr um die ärzt­li­che Ver­sor­gung im länd­li­chen Raum, son­dern es geht um Medi Cubes (medi­zi­ni­sche Kios­ke) oder Medi­Bo­xen wie in Frank­reich. Die Medi­Bo­xen wer­den wie Tele­fon­zel­len an geeig­ne­ten Orten, etwa im Rat­haus, in einer Apo­the­ke oder einem Super­markt auf­ge­stellt, der Pati­ent ver­bin­det sich mit ver­schie­de­nen Dia­gno­se­ge­rä­ten und dann wird der Arzt digi­tal zuge­schal­tet. Bei den Medi Cubes von Heli­os wer­den die Pati­en­ten von einer medi­zi­ni­schen Fach­an­ge­stell­ten (MFA) betreut und der Arzt wird eben­falls nur noch digi­tal zuge­schal­tet. In Frank­reich läuft es zum Teil erfolg­reich. Da sit­zen die älte­ren Herr­schaf­ten in die­sen Tele­fon­zel­len, stöp­seln sich selbst an und der Arzt schal­tet sich zu.

FS: Das ist sicher preiswert…

KS: In Bay­ern stellt sich die Fra­ge, ob wir auch wirk­lich im länd­li­chen Raum die ent­spre­chen­de Breit­band­ver­sor­gung haben. Eine wei­te­re Idee ist, über den mobi­len 5G-Stan­dard Pati­en­ten, die das Kran­ken­haus ver­las­sen, mit Smart­me­tern zur Über­prü­fung ihrer Lebens­pa­ra­me­ter zu ver­sor­gen. Heu­te ist es schon mög­lich, mit fünf bis sechs Para­me­tern mit einer hohen Wahr­schein­lich­keit einen Herz­in­farkt vor­her­zu­sa­gen. Will man das für einen gan­zen Land­kreis machen, stellt sich aber eben­falls die Fra­ge, ob es den 5G-Stan­dard flä­chen­deckend gibt und ob der Ser­ver im Kran­ken­haus es über­haupt schafft, qua­si im Minu­ten­takt Lebens­pa­ra­me­ter von Hun­der­ten Pati­en­ten zu verarbeiten?

FS: Wel­che näch­sten Schrit­te ste­hen bevor?

KS: Die Umstel­lung auf inte­grier­te Leit­stel­len im Retungs­we­sen ist eine Her­aus­for­de­rung. Die Not­ruf­num­mer für den Retungs­dienst 112 soll mit der 116 117 des Bereitscha�sdienstes der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung kom­bi­niert wer­den. Dies erfor­dert jedoch nicht nur tech­ni­sche Anpas­sun­gen, son­dern mit­el­fri­stig auch die Inte­gra­ti­on von Dis­po­nen­ten und Per­so­nal in den Leit­stel­len. Bei der Kran­ken­haus­re­form wäre es enorm wich­tig, wenn die struk­tu­rel­len Aus­wir­kun­gen auf die not­fall­me­di­zi­ni­sche und die ambu­lan­te ärzt­li­che Ver­sor­gung mit­be­dacht wür­den. Hier müss­te der Gesetz­ge­ber bzw. das Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ste­ri­um zeit­nah eben­falls Vor­schlä­ge machen.

FS: Dan­ke für das Interview.