DGB Ober­fran­ken for­dert deut­li­ches Lohn­plus für unte­re Einkommen

Ein Vier­tel der Beschäf­tig­ten ist arm, trotz Arbeit. Das geht aus aktu­el­len Zah­len der Bun­des­re­gie­rung her­vor. In Ober­fran­ken gibt es ein gro­ßes Risi­ko, mit Nied­rig­löh­nen abge­speist zu wer­den. Das zei­gen die Aus­wer­tun­gen für die Stadt Hof sowie die Land­krei­se Coburg, Wun­sie­del, Bay­reuth und Bam­berg. Dage­gen stem­men sich die Mit­glie­der des Deut­schen Gewerkschaftsbundes. 

Die Bahn­streiks haben in den ver­gan­ge­nen Wochen die Gemü­ter bewegt. Wie Ende Juli bekannt wur­de, sol­len die Bedien­ste­ten der Deut­schen Bahn stu­fen­wei­se eine Erhö­hung der Ent­gel­te um 410 Euro bekom­men. Gleich­zei­tig erreg­te eine ande­re Zahl Auf­se­hen: Annä­hernd jeder vier­te Erwerbs­tä­ti­ge erhält weni­ger als 14 Euro Lohn pro Stun­de, und damit nur knapp mehr als den gesetz­li­chen Min­dest­lohn. Die Zah­len des Sta­ti­sti­schen Bun­des­am­tes stam­men aus dem April 2022 und wur­den in die­ser Woche auf Anfra­ge der Links­frak­ti­on im Bun­des­tag veröffentlicht.

Der oberfränkische DGB-Regionsvorsitzende Mathias Eckardt. Foto: DGB

Der ober­frän­ki­sche DGB-Regi­ons­vor­sit­zen­de Mathi­as Eckardt. Foto: DGB

Kon­kret erhal­ten 14,8 Pro­zent der Erwerbs­tä­ti­gen den Min­dest­lohn von zwölf Euro die Stun­de. 23,35 Pro­zent der Erwerbs­tä­ti­gen in Deutsch­land, also 9,3 Mil­lio­nen der ins­ge­samt 39,8 Mil­lio­nen Beschäf­tig­ten, ver­die­nen weni­ger als 14 Euro in der Stun­de. Ein Unding, sagt der ober­frän­ki­sche DGB-Regi­ons­vor­sit­zen­de Mathi­as Eckardt. Der Deut­sche Gewerk­schafts­bund ver­ur­teilt Lohn­dum­ping und for­dert ein deut­li­ches Plus für unte­re Ein­kom­men, Tarif­treue bei Auf­trä­gen der öffent­li­chen Hand und den Abbau der Geschlech­ter­un­ter­schie­de bei der Bezahlung.

Herr Eckardt, kann man bei knapp 14 Euro pro Stun­de noch von einem nor­ma­len Lohn sprechen?

Mathi­as Eckardt: Nein. Die Zah­len des Sta­ti­sti­schen Bun­des­amts stam­men aus dem April 2022 – zu die­sem Zeit­punkt betrug der durch­schnitt­li­che Stun­den­lohn in Deutsch­land über 20 Euro. Das ist eine gewal­ti­ge Dif­fe­renz zum Niedriglohnsektor.

Wie kommt es, dass der Nied­rig­lohn­sek­tor so groß ist? 23,35 Pro­zent Erwerbs­tä­ti­ge sind ja nicht wenig.

Mathi­as Eckardt: Weil es meist Men­schen trifft, die in Bran­chen des täg­li­chen Bedarfs arbei­ten, im Sek­tor Dienst­lei­stung und Han­del. Und das sind zwei sehr gro­ße Berei­che. Wer bei­spiels­wei­se im Ver­kauf arbei­tet oder in der Gebäu­de­rei­ni­gung hat ein hohes Risi­ko, einen sehr nied­ri­gen Lohn zu bekom­men. Das betrifft auch man­chen Hand­werks­be­ruf, etwa Fri­seu­re, Metz­ger oder Bäcker. Vor allem in Bran­chen, in denen vor­wie­gend Frau­en beschäf­tigt sind, fin­den sich die­se sehr nied­ri­gen Löhne.

Die Lohn­lücke zwi­schen den Geschlech­tern führt in der Kon­se­quenz zu weib­li­cher Alters­ar­mut. Das ist bekannt, aber bleibt wohl ein Thema. 

Mathi­as Eckardt: Das muss man lei­der so sagen. Der DGB hat vor Coro­na ermit­telt, dass 71,2 Pro­zent der Nied­rig­löh­ner Frau­en sind. Ganz klar: wer wenig ver­dient, bekommt weni­ger Ren­te. Das folgt dem Äqui­va­lenz­prin­zip, das besagt, wer viel ein­zahlt, soll auch viel erhal­ten. Dar­an wol­len wir auch nicht rüt­teln, aber es braucht drin­gend aus­kömm­li­che Ren­ten. Des­halb for­dern wir höhe­re Löh­ne, mit denen es mög­lich ist, einen sinn­vol­len Betrag in die Ren­ten­kas­se einzuzahlen.

Wie sieht es denn mit der Lohn­struk­tur in Ober­fran­ken aus?

Mathi­as Eckardt: Nur 22 Pro­zent der hie­si­gen Betrie­be sind tarif­ge­bun­den. Das soge­nann­te Nied­rig­lohn­ri­si­ko liegt zum Bei­spiel für die Stadt Hof bei 28,2 Pro­zent, in den Land­krei­sen Coburg bei 27,2, Wun­sie­del bei 21, Bay­reuth bei 21,8 und Bam­berg bei 19,4 Pro­zent, um nur eini­ge zu nen­nen. Also etwa jeder Vier­te bis Fünf­te in Ober­fran­ken läuft Gefahr, mit einem sehr klei­nen Lohn abge­speist zu werden.

Was tun die Gewerk­schaf­ten dagegen?

Mathi­as Eckardt: Vie­les. Man braucht sich nur die Tarif­ab­schlüs­se der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit anzu­schau­en. Die Kol­le­gen der Gewerk­schaft Nah­rung-Gast­stät­ten-Genuss (NGG) haben bei­spiels­wei­se 11,5 Pro­zent Lohn­er­hö­hung für die neu ange­lern­ten Pro­duk­ti­ons­hel­fer in den Bäcke­rei­en erstrit­ten. Im Bereich Nähr­mit­tel erhal­ten die unter­sten Tarif­grup­pen Zuschlä­ge bis zu 7,4 Pro­zent. In der Metall- und Elek­tro­in­du­strie bekom­men Beschäf­tig­te dank der IG Metall seit 1. Juni 5,6 Pro­zent mehr, und baye­ri­sche Schrei­ner rech­nen seit 1. Juli einem neu­en Eck­lohn von 18,16 Euro. Die IG BAU hat 950 Euro Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie für Dach­decker durchgesetzt.

Aktu­ell bekom­men vie­le Men­schen die Streiks der Gewerk­schaf­ter von ver.di bei zum Bei­spiel EDE­KA und Markt­kauf mit. Hier ver­lan­gen die Kol­le­gen 2,50 Euro mehr pro Stun­de – die Arbeit­ge­ber bie­ten für die­ses Jahr 92 Cent mehr und näch­stes Jahr noch­mal 57 Cent. Unser ver.di-Sekretär für den Bereich Han­del, Paul Leh­mann, sagt berech­tig­ter­wei­se, dass aktu­ell Drei­vier­tel der Ange­stell­ten im Lebens­mit­tel­han­del von Alters­ar­mut bedroht sind. Und noch vor die­sem zukünf­ti­gen Pro­blem kann sich jeder vor­stel­len, wel­che Pro­ble­me ein gerin­ges Ein­kom­men im Heu­te bedeu­ten. Da rei­chen die Schlag­wor­te Ener­gie­ko­sten, Lebens­mit­tel­prei­se, Mie­ten. Dabei sind die Gewin­ne bei EDE­KA sprung­haft angestiegen.

Stei­gen die Prei­se denn nicht wei­ter, wenn die Men­schen mehr Lohn fordern?

Mathi­as Eckardt: Nein, es ist genau anders­rum. Im Herbst haben die Prei­se begon­nen, mas­siv zu stei­gen. Danach haben wir unse­re Lohn­for­de­run­gen auf­ge­stellt. Wenn es da eine Spi­ra­le gibt, dann ist es eine Gewinn-Preis-Spi­ra­le. Man den­ke nur an die Über­ge­win­ne der Mine­ral­öl­kon­zer­ne. Von den Preis­sprün­gen an den Zapf­säu­len hat nicht ein nor­ma­ler Mit­ar­bei­ter profitiert.

Ein Her­zens­the­ma der Gewerk­schaf­ten ist der Min­dest­lohn; muss der ange­sichts sol­cher Nied­rig­löh­ne wei­ter steigen?

Mathi­as Eckardt: Ja, unbe­dingt! Der DGB ist schwer ent­täuscht vom der­zei­ti­gen gesetz­li­chen Min­dest­lohn, der über­haupt nicht der der­zei­ti­gen Teue­rung ent­spricht. Und die per­spek­ti­vi­sche Erhö­hung auf 12,41 Euro ist eine Kata­stro­phe für Men­schen mit nied­ri­gem Einkommen.

Ordent­li­che Löh­ne gesetz­lich fest­zu­le­gen, scheint schwie­rig zu sein.

Mathi­as Eckardt: Dabei wäre es nicht sehr kom­pli­ziert. Man könn­te die Erhö­hung des Min­dest­lohns an die Infla­ti­on kop­peln. Man könn­te aber auch die Tarif­bin­dung in der Flä­che wie­der erhö­hen. Wenn nur 22 Pro­zent der ober­frän­ki­schen Unter­neh­men und bun­des­weit weni­ger als die Hälf­te ihre Mit­ar­bei­ter nach Tarif beschäf­ti­gen, dann ist das nicht in Ord­nung. Der DGB ver­langt hier poli­ti­sche Gestal­tung hin zu mehr Tariftreue.

Wie soll die aussehen?

Mathi­as Eckardt: Zur Land­tags­wahl in Bay­ern am 8. Okto­ber hat der DGB ein gan­zes Bün­del an For­de­run­gen für ein bes­se­res Leben im Frei­staat. Eine davon ist die Ein­füh­rung eines Tarif­treue­ge­set­zes. Unter dem Mot­to „Wir ret­ten die Löh­ne“ ver­lan­gen wir, dass die öffent­li­che Hand in Bay­ern Auf­trä­ge nur noch an Unter­neh­men ver­gibt, die ihre Mit­ar­bei­ter nach Tarif beschäf­ti­gen. Dabei geht es um Auf­trä­ge im Wert von rund 7 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich – und die bekom­men im Moment meist die bil­lig­sten Unter­neh­men. Der DGB und sei­ne Mit­glieds­ge­werk­schaf­ten sehen aber nicht ein, war­um von unse­rem Steu­er­geld Lohn­dum­ping geför­dert wer­den soll, wäh­rend anstän­di­ge Unter­neh­mer das Nach­se­hen haben. Es ist Zeit für ein Fai­re-Löh­ne-Gesetz. Die­se Auf­fas­sung teilt übri­gens auch die Hand­werks­kam­mer für Ober­fran­ken und unter­stützt die Forderung.

Man­che spre­chen dabei von einer unzu­läs­si­gen Ein­mi­schung. Gibt es da eine Gefahr?

Mathi­as Eckardt: Nein. Ein Fai­re-Löh­ne-Gesetz ist kein Ein­griff in die Tarif­au­to­no­mie. Zum einen nutzt der Staat hier sei­ne poli­ti­sche Len­kungs­macht als Auf­trag­ge­ber und Markt­teil­neh­mer, zum ande­ren wird kein Unter­neh­men in die Tarif­bin­dung gezwun­gen. Wer nicht will, der soll es blei­ben las­sen und dann eben auf öffent­li­che Auf­trä­ge ver­zich­ten. Davon abge­se­hen: Von 16 Bun­des­län­dern haben bereits 14 ein sol­ches Ver­ga­be­ge­setz, Sach­sen bekommt es vor­aus­sicht­lich in Kür­ze – Bay­ern wäre dann das letz­te Bun­des­land, das die Bil­lig­hei­mer akzeptiert.