Bezirks­kli­ni­kum Ober­main: Chef­arzt Dr. Nedal Al-Kha­tib erklärt „Wie Men­schen mit nar­ziss­ti­scher Per­sön­lich­keits­stö­rung ticken“

Bezirksklinikum Obermain: Ein Beitrag von Chefarzt Dr. Nedal Al-Khatib zum Thema "Wie Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ticken" Juli 2023
Dr. Nedal Al-Khatib ist Psychiater und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Obermain. Foto: Dietmar Hagel

Ich und tau­send­mal ich

Wie Men­schen mit nar­ziss­ti­scher Per­sön­lich­keits­stö­rung ticken

Bezirksklinikum Obermain: Ein Beitrag von Chefarzt Dr. Nedal Al-Khatib zum Thema "Wie Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ticken" Juli 2023

Über­aus beliebt sind gera­de zu Ostern Nar­zis­sen­ge­wäch­se wie Oster­glocken. Über­trie­ben selbst­ver­liebt und dazu noch selbst­ge­recht und selbst­herr­lich ist hin­ge­gen der Nar­zisst. Und das zu Lasten und zum Miss­fal­len sei­ner Mit­men­schen. Foto: Diet­mar Hagel

Sie sind mit­ten unter uns. Im Pri­vat­le­ben wie auch in der Arbeits­welt. Und es sind nicht weni­ge. Wir kön­nen auf sie in allen erdenk­li­chen Lebens­si­tua­tio­nen tref­fen. Als Füh­rungs­kraft haben sie nicht sel­ten eine toxi­sche Wir­kung auf ihre Teams und die gesam­te Unter­neh­mens­kul­tur. Wir reden von Nar­ziss­ten, also Men­schen, die sich für groß­ar­tig hal­ten, bewun­dert wer­den möch­ten und deren „sozia­les Ein­füh­lungs­ver­mö­gen“ nur eige­nen Zwecken, aber nicht dem eigent­li­chen sozia­len Mit­ein­an­der dient. Abge­lei­tet davon spricht man im Fach­jar­gon von so genann­tem gran­dio­sem, also sich selbst für groß­ar­tig hal­ten­dem Nar­ziss­mus. Es sind Men­schen, die prah­len und prot­zen, die in jeder Situa­ti­on über­le­gen wir­ken wol­len und sich dabei maß­los über­schät­zen, die Empa­thie mit Ego­zen­trik und arro­gan­tem Macht­stre­ben erset­zen. Dabei ist sich die Wis­sen­schaft einig, was den Lai­en nicht ver­wun­dert, dass die­se Aus­prä­gung des Nar­ziss­mus nach wie vor häu­fi­ger bei Män­nern als bei Frau­en vorkommt.

„Du bist ein Nar­zisst.“ Die­ser Satz ist recht schnell aus­ge­spro­chen. In der Umgangs­spra­che hat sich die­ser Begriff ein­ge­bür­gert, doch nicht jeder selbst­ge­fäl­li­ge Mensch ist auch ein Mensch mit nar­ziss­ti­scher Per­sön­lich­keits­stö­rung. Ein gesun­des Maß an Selbst­be­zo­gen­heit ist sogar der see­li­schen Gesund­heit för­der­lich. Erst dann, wenn eine krank­haf­te und sozi­al rück­sichts­lo­se Ego­ma­nie eine gesun­de Selbst­lie­be ersetzt, spricht man von einer nar­ziss­ti­schen Persönlichkeitsstörung.

Dr. Nedal Al-Kha­tib ist Psych­ia­ter und Chef­arzt der Kli­nik für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­so­ma­tik am Bezirks­kli­ni­kum Ober­main. „Nar­ziss­ten mit ihrem Drang zur über­trie­be­nen Gel­tungs­sucht sor­gen in Paar-Bezie­hun­gen, aber auch in der hier­ar­chisch struk­tu­rier­ten Arbeits­welt für viel Leid. Sie las­sen sich jedoch iden­ti­fi­zie­ren“, erklärt Al-Kha­tib. Hält sich die­ser Mensch für so groß­ar­tig und bedeu­tend, dass er fast stän­dig alle ande­ren über­strah­len will und in recht­ha­be­risch-über­grif­fi­ger Wei­se sei­nen Mit­men­schen kaum Luft zum Atmen lässt? Oder will er per­ma­nent eine Vor­zugs­be­hand­lung und zudem auch immer wie­der bewun­dert wer­den? Gibt er viel­leicht sogar frem­de Erfol­ge als eige­ne aus und ver­brei­tet er Unwahr­hei­ten über Men­schen, die ihn kri­ti­sie­ren, damit sein Stern noch hel­ler strahlt? Al-Kha­tib: „Men­schen, die die­se Form der nar­ziss­ti­schen Per­sön­lich­keits­stö­rung haben, fehlt es fast immer an ech­ter Empa­thie. Sie sind nicht in ehr­li­cher Wei­se und auf Augen­hö­he an den Bedürf­nis­sen ihrer Mit­men­schen inter­es­siert. Sie wol­len Infor­ma­tio­nen über Men­schen sam­meln, um dar­aus einen Pro­fit für ihre eige­nen Inter­es­sen, ihre eige­nen Zwecke und ihr eige­nes Image herauszuholen.“

Zudem ertra­gen Nar­ziss­ten kaum Kri­tik. Sie sind dann schnell gekränkt und hegen sogar Rache­ge­dan­ken. Denn sie wol­len immer­zu domi­nant und im Recht sein, im Mit­tel­punkt ste­hen und wer­ten daher ger­ne ande­re Men­schen ab. Men­schen mit ande­rer Mei­nung wer­den kaum tole­riert. Und Nar­ziss­ten sind oft in der Lage, sich zu tar­nen. Sie ver­kau­fen sich auf dem ersten Blick als humor­voll, umgäng­lich, viel­leicht auch char­mant und tar­nen so ihre wah­ren Absich­ten. „Schaut man aller­dings hin­ter die Mas­ke und gleicht Wor­te mit Taten ab, so erkennt man recht schnell, wel­ches Krank­heits­bild vor­liegt“, erläu­tert Al-Kha­tib. „Es gibt Nar­ziss­ten unter Füh­rungs­kräf­ten, die ihren eige­nen Vor­ge­setz­ten aktiv Falsch­in­for­ma­tio­nen in Vier-Augen-Gesprä­chen zukom­men las­sen, um dar­aus in mani­pu­la­ti­ver Wei­se Kapi­tal zu schlagen.“

Stu­di­en bele­gen immer wie­der, dass Nar­ziss­mus gera­de unter Füh­rungs­kräf­ten deut­lich häu­fi­ger als in der Gesamt­be­völ­ke­rung zu fin­den ist. Nar­ziss­ten ver­kau­fen sich den Per­so­nal­ent­schei­dern als inno­va­tiv und dyna­misch, als hand­lungs­si­cher und durch­set­zungs­stark. Eigen­schaf­ten, die ganz oben im Ran­king ste­hen, wenn es um Per­so­nal­aus­wahl­kri­te­ri­en bei Füh­rungs­kräf­ten in einem auf Wett­be­werb auf­bau­en­den Wirt­schafts­sy­stem geht. Nicht weni­ge Unter­neh­men erken­nen ihre Blen­der jedoch nicht oder zu spät. Dabei schaf­fen gran­dio­se Nar­ziss­ten auf­grund ihrer wah­ren, erst viel spä­ter offen­kun­dig wer­den­den Eigen­schaf­ten mit­tel­fri­stig ein unge­sun­des Arbeits­kli­ma und scha­den so der psy­chi­schen Gesund­heit der Mit­ar­bei­ter, die mit ihnen zu tun haben. „Jede Geschäfts­lei­tung muss hell­hö­rig wer­den und aktiv Gegen­stra­te­gien ent­wickeln, wenn in einem über­schau­ba­ren Zeit­raum immer wie­der Team­mit­glie­der gehen oder gegan­gen wer­den. Hier geht es um Für­sor­ge, aber auch dar­um, unbe­lehr­ba­re Nar­ziss­ten letzt­end­lich von ihren Füh­rungs­auf­ga­ben zu ent­pflich­ten, wenn Schu­lungs­maß­nah­men oder psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung nicht fruch­ten“, for­dert Al-Kha­tib. „In der Rea­li­tät wird lei­der viel zu lan­ge zuge­schaut oder aktiv weg­ge­schaut. Bei­des ist in glei­cher Wei­se fatal.“

Ein Nar­zisst sieht in der Regel sein Ver­hal­ten als unpro­ble­ma­tisch. Daher ist es wich­tig, ihn über sei­ne Krank­heit auf­zu­klä­ren, also Psy­cho­edu­ka­ti­on zu betrei­ben und somit ein Bewusst­sein zu schaf­fen. Ein redu­zier­tes Selbst­wert­ge­fühl und eine stark aus­ge­präg­te Emp­find­lich­keit las­sen sich bei Nar­ziss­ten so gut wie immer fin­den. Psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren, die dem The­ra­peu­ten viel Fin­ger­spit­zen­ge­fühl abver­lan­gen, kom­men in unter­schied­li­chen Vari­an­ten bei der Behand­lung die­ser Stö­rung zum Ein­satz, wobei Pati­ent und The­ra­peut eine gemein­sa­me Ebe­ne auf Augen­hö­he fin­den müs­sen, was dem Nar­ziss­ten natur­ge­mäß zuerst schwerfällt.

Ob sich die nur weni­ge Wochen blü­hen­de Oster­glocke, ein Nar­zis­sen­ge­wächs, über die Sprach­ver­wandt­schaft freut? Die Reak­ti­on der Men­schen auf einen Nar­ziss­ten ist sicher­lich weni­ger freu­dig, hat man es doch mit sei­nen Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten das gan­ze Jahr über zu tun. Nar­cissus, eine Gestalt aus der anti­ken Mytho­lo­gie und bekannt dafür, in sein eige­nes Spie­gel­bild ver­liebt zu sein, hat sicher­lich nicht geahnt, wofür sei­ne Geschich­te ein­mal her­hal­ten muss.