IHK-Pres­se­mit­tei­lung: „Wird Euro­pa von Chi­na abgehängt?“

China-Kenner Frank Sieren © Dominik Ochs
China-Kenner Frank Sieren © Dominik Ochs

Chi­na-Ken­ner Frank Sie­ren spricht auf IHK-Voll­ver­samm­lung Tacheles

Wie sieht die Welt aus der Sicht Chi­nas aus? Wor­auf müs­sen wir uns in Euro­pa ein­stel­len? Die­se bei­den The­men stan­den im Mit­tel­punkt einer Dis­kus­si­on mit dem Best­sel­ler­au­tor und Chi­na-Ken­ner Frank Sie­ren auf der öffent­li­chen Voll­ver­samm­lung der IHK für Ober­fran­ken Bay­reuth im histo­ri­schen Rat­haus­saal in Kronach.

Aus der Sicht Sie­rens gibt es aktu­ell drei gro­ße Her­aus­for­de­run­gen: den Kli­ma­wan­del, die Digi­ta­li­sie­rung und – was vie­le noch nicht auf dem Schirm haben – das Aus­maß der Aus­wir­kun­gen des chi­ne­si­schen Auf­stiegs auf Euro­pa. „Über meh­re­re Jahr­hun­der­te hat die Min­der­heit des Westens die Ent­wick­lung der Mehr­heit bestimmt. Die­se Zeit ist defi­ni­tiv vor­bei“, macht Sie­ren klar.

Neue Welt­ord­nung im Entstehen

Aber nicht nur Chi­na sei einer der Auf­stei­ger. „Längst hat der Westen die Mehr­heit in den G20-Staa­ten ver­lo­ren“, macht Sie­ren auf den Auf­stieg vie­ler ande­rer Staa­ten deut­lich. „Wir sind Zeu­ge, wie eine neue Welt­ord­nung entsteht“.

Chi­na sei dabei kein Auf­stei­ger, son­dern ein Wie­der­auf­stei­ger. „Bis ins 19. Jahr­hun­dert war Chi­na die größ­te Wirt­schafts­macht welt­weit, hielt sich für unan­greif­bar. Dann habe das Land die indu­stri­el­le Revo­lu­ti­on ver­schla­fen. Das ist genau das, was dem Westen aktu­ell droht: wich­ti­ge Wei­chen­stel­lun­gen zu ver­pas­sen“, warnt der Chi­na-Exper­te ein­dring­lich. Als sich Chi­na der Welt in den 1980er Jah­ren geöff­net hat, habe der Westen Chi­na aus­schließ­lich als „Fabrik der Welt wahr­ge­nom­men, eine Volks­wirt­schaft, die zwar gut und preis­wert pro­du­zie­ren kön­ne, aber nicht inno­va­tiv sei. Die dama­li­gen Fehl­ein­schät­zun­gen hät­ten zu einer Rei­he fal­scher Ent­schei­dun­gen des Westens geführt. Längst sei Chi­na auch ein hoch­in­no­va­ti­ves Land.

Dies zei­ge sich auch bei den Auto­her­stel­lern. Bei der Die­sel­tech­no­lo­gie hat­te Chi­na kei­ne Chan­ce, die tech­no­lo­gi­schen Stan­dards der deut­schen Her­stel­ler zu errei­chen. Sie­ren: „Hier hat Chi­na eine Tech­no­lo­gie­stu­fe über­sprun­gen und sich gleich auf E‑Fahrzeuge kon­zen­triert.“ Acht der zehn größ­ten E‑Au­to-Pro­du­zen­ten welt­weit kom­men aus China.

„Wir müs­sen uns viel stär­ker am Kon­sum­ver­hal­ten der Chi­ne­sen ori­en­tie­ren“, mahnt der Chi­na-Exper­te ein­dring­lich. Allei­ne ‚Vor­sprung durch Tech­nik‘ rei­che nicht mehr. Die Chi­ne­sen sei­en nicht mehr bereit, jeden Preis zu bezah­len, nur weil ein Pro­dukt aus Deutsch­land kommt. Der Westen müs­se aber auch auf­pas­sen, tech­no­lo­gisch nicht abge­hängt zu wer­den. Das Sto­ry­tel­ling, etwa bei Maschi­nen, wer­de des­halb wich­ti­ger denn je.

Der Best­sel­ler-Autor macht deut­lich, dass es aktu­ell ein histo­risch ein­ma­li­ges Fen­ster gebe. Die USA sei inzwi­schen zu schwach, um den Takt vor­zu­ge­ben, Chi­na noch nicht stark genug. „Die­ses Fen­ster müs­sen wir nutzen!“

Chi­na schlecht zu machen, hilft uns nicht

Ange­spro­chen auf die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen Chi­nas macht Sie­ren deut­lich, dass der Westen Chi­na und ande­re auf­stre­ben­de Wirt­schafts­na­tio­nen von sei­nen eige­nen Wer­ten nur über­zeu­gen kön­ne. Die Macht, die­sen Län­dern etwas auf­zu­zwin­gen, hät­te der Westen längst nicht mehr. „Es hilft uns nicht, Chi­na schlecht zu machen. Wir müs­sen bes­ser wer­den und die Her­aus­for­de­run­gen anneh­men“, so der China-Kenner.

„Es ist erstaun­lich, dass aus­ge­rech­net die chi­ne­si­schen Kom­mu­ni­sten auf die Idee gekom­men sind, dass sie Inno­va­tio­nen nicht selbst umset­zen kön­nen, son­dern dass sie den Unter­neh­men hel­fen müs­sen, inno­va­tiv zu sein“, so Sie­ren. Das Spek­trum rei­che von Steu­er­erleich­te­run­gen über Inno­va­ti­ons­för­de­rung bis hin zur Schaf­fung recht­li­cher Rah­men­be­din­gun­gen zur Unter­stüt­zung des Absatzes.

„Wir brau­chen einen Staat, der fragt: Wie kön­nen wir euch Unter­neh­men hel­fen, damit ihr bes­ser arbei­ten könnt? Was die deut­sche Wirt­schaft nicht braucht, ist ein Staat als ober­ster ‚Sicher­heits­be­auf­trag­ter‘, der sich alle mög­li­chen Regeln ein­fal­len lässt, um stets auf Num­mer sicher zu gehen.“ Eine Aus­sa­ge, mit der Sie­ren den anwe­sen­den Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mern sicht­lich aus dem Her­zen spricht und damit auch den Faden von IHK-Vize­prä­si­den­ten Hans Reb­han aus des­sen Begrü­ßung aufgreift.

Büro­kra­tie macht Erfol­ge zunichte!

Reb­han hat­te zuvor deut­lich gemacht, dass die Regi­on eine hohe Inno­va­ti­ons­kraft habe, funk­tio­nie­ren­de Netz­wer­ke und Syn­er­gien vor Ort. Durch die aus­ufern­de Büro­kra­tie wür­den die­se Erfol­ge aber wie­der zunich­te gemacht. Als Bei­spie­le nennt er die Berichts­pflich­ten zur Nach­hal­tig­keit, das Lie­fer­ket­ten­ge­setz oder die erfor­der­li­chen Geneh­mi­gun­gen für Schwer­trans­por­te: „Das ist vom Mit­tel­stand nicht mehr zu schul­tern! Wol­len wir wett­be­werbs­fä­hig blei­ben, brau­chen wir einen Staat, der die Unter­neh­men unter­stützt und kei­nen ‚der sie ausbremst.“

Dr. Waas­ner: Aktu­el­le Her­aus­for­de­run­gen neu denken

„Ange­sichts unse­rer Wirt­schafts­struk­tur vor Ort und den aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen ist es ein kon­se­quen­ter Schritt, sich mit der Welt­macht Chi­na aus­ein­an­der­zu­set­zen – zu hin­ter­fra­gen, zu ler­nen und neu zu den­ken“, hat­te der IHK-Prä­si­dent in sei­ner Begrü­ßung unmiss­ver­ständ­lich klar gemacht.

Er ver­weist auf die Stär­ken der IHK als Part­ner an der Sei­te der Unter­neh­men. „Wir neh­men nicht nur Input aus den Unter­neh­men aller Teil­re­gio­nen auf und las­sen die­sen in unse­re IHK-Arbeit ein­flie­ßen, son­dern wir zei­gen – etwa mit unse­ren Voll­ver­samm­lun­gen – stets Prä­senz vor Ort.“ Bei sol­chen Ver­an­stal­tun­gen wol­le die IHK Zukunfts­the­men in den Mit­tel­punkt stel­len, Denk­an­stö­ße geben, aktu­el­le The­men neu denken.

Die Her­aus­for­de­run­gen für die Unter­neh­men durch die chi­ne­si­sche Kon­kur­renz sind enorm. Trotz­dem sind sich alle Betei­lig­ten einig: „Das funk­tio­niert eh nicht“, sei kei­ne Option!