Mikro­pla­stik-For­schung an der Uni­ver­si­tät Bayreuth

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Erste ver­glei­chen­de Unter­su­chung zu auto­ma­ti­sier­ten Ana­ly­se­ver­fah­ren gro­ßer Daten­sät­ze in der Mikroplastik-Forschung

Das Feh­len von ein­heit­li­chen ana­ly­ti­schen Stan­dards ver­hin­dert der­zeit die Ver­gleich­bar­keit von Daten zu Mikro­pla­stik in der Umwelt. Forscher*innen der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und des Alfred-Wege­ner-Insti­tuts, Helm­holtz-Zen­trum für Polar- und Mee­res­for­schung (AWI) haben nun erst­mals zwei auto­ma­ti­sier­te Ana­ly­se­ver­fah­ren für Mikro­pla­stik­da­ten hin­sicht­lich der Ergeb­nis­se ver­gli­chen. Signi­fi­kan­te Abwei­chun­gen zeig­ten sich vor allem bei klei­nen Par­ti­keln mit ver­gleichs­wei­se hohem Gefähr­dungs­po­ten­zi­al. Die in der Zeit­schrift „Ana­ly­ti­cal and Bio­ana­ly­ti­cal Che­mi­stry“ erschie­ne­ne Stu­die zeigt, dass die Stan­dar­di­sie­rung von ana­ly­ti­schen Ver­fah­ren ein zen­tra­les For­schungs­ziel sein muss.

Par­ti­kel aus Kunst­stoff wer­den als Mikro­pla­stik bezeich­net, wenn sie klei­ner als fünf Mil­li­me­ter sind. In den Anfän­gen der For­schung wur­de Mikro­pla­stik allein anhand rein visu­el­ler Kri­te­ri­en iden­ti­fi­ziert. Die Ent­schei­dung dar­über, ob es sich bei einem ver­däch­ti­gen Par­ti­kel um Mikro­pla­stik han­del­te, basier­te daher auf der indi­vi­du­el­len Wahr­neh­mung der For­schen­den. Dies kann jedoch zu stark feh­ler­be­haf­te­ten Ergeb­nis­sen füh­ren. Mitt­ler­wei­le ist klar, dass gera­de bei klei­nen Mikro­pla­stik­par­ti­keln nur eine Iden­ti­fi­zie­rung mit­tels che­mi­scher Ana­ly­sen belast­ba­re Daten zu Mikro­pla­stik lie­fert. Die Mikro-Fou­rier-Trans­for­ma­ti­ons-Infra­rot-Spek­tro­sko­pie – kurz: Mikro-FTIR-Spek­tro­sko­pie – ist auf die­sem Gebiet der­zeit eines der ver­läss­lich­sten Mess­ver­fah­ren. Zur Unter­su­chung von Mikro­pla­stik­par­ti­keln, die klei­ner als 0,5 Mil­li­me­ter sind, müs­sen die Pro­ben auf Fil­tern auf­ge­bracht wer­den und kön­nen dann mit­tels Mikro-FTIR-Spek­tro­sko­pie ana­ly­siert wer­den. Hier­bei wird der kom­plet­te Pro­ben­fil­ter mit einer hohen Auf­lö­sung gemes­sen. So ent­steht eine „che­mi­sche Land­kar­te“ des Fil­ters, die es ermög­licht, Mikro­pla­stik bis zu einer Grö­ße von zehn Mikro­me­tern ein­deu­tig zu iden­ti­fi­zie­ren. Bei der Mes­sung ent­ste­hen aller­dings bis zu meh­re­ren Mil­lio­nen FTIR-Spek­tren, so das eine manu­el­le Aus­wer­tung auf Mikro­pla­stik unmög­lich ist. Für eine sol­che Ana­ly­se sind ver­läss­li­che auto­ma­ti­sier­te Com­pu­ter­ver­fah­ren erforderlich.

Zur auto­ma­ti­schen Ana­ly­se von FTIR-Daten­sät­zen wer­den heu­te in der Mikro­pla­stik­for­schung ver­schie­de­ne Aus­wer­te­al­go­rith­men ein­ge­setzt. Zwei gut eta­blier­te und häu­fig ange­wen­de­te Algo­rith­men zur Iden­ti­fi­zie­rung von Mikro­pla­stik-FTIR-Spek­tren sind vom AWI und von der Uni­ver­si­tät Bay­reuth unab­hän­gig von­ein­an­der ent­wickelt wor­den: das siMP­le-Ana­ly­se-Tool (syste­ma­tic iden­ti­fi­ca­ti­on of Micro­Pla­stics in the envi­ron­ment) und der BPF (Bay­reuth Par­tic­le Fin­der). Bei­de Algo­rith­men haben den Vor­teil, dass die gro­ßen Mess­da­ten in ihrer Gesamt­heit unter­sucht wer­den kön­nen. Dadurch las­sen sich Ver­zer­run­gen ver­mei­den, die ent­ste­hen, wenn nur Tei­le einer Pro­be aus­ge­wählt und die Ana­ly­se­er­geb­nis­se auf die Gesamt­heit der Pro­be hoch­ge­rech­net werden.

Dr. Martin Löder in einem Bayreuther Labor für FTIR-Spektroskopie. © UBT / Chr. Wißler

Dr. Mar­tin Löder in einem Bay­reu­ther Labor für FTIR-Spek­tro­sko­pie. © UBT / Chr. Wißler

Im Rah­men ihrer ver­glei­chen­den Stu­die haben die Forscher*innen an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und am Stand­ort Hel­go­land des AWI zwei Pro­ben­sät­ze mit bei­den Aus­wer­te­al­go­rith­men unter­sucht. Gemes­sen wur­den Men­ge und Grö­ße der Mikro­pla­stik-Par­ti­kel sowie die Antei­le ver­schie­de­ner Poly­me­re. Der eine Pro­ben­satz ent­hielt zehn Was­ser­pro­ben aus der Ober- und Mit­tel­we­ser, der ande­re Pro­ben­satz zehn Was­ser­pro­ben, die aus der Unter-/Au­ßen­we­ser und dem Jade­bu­sen stamm­ten. „Wir haben uns bewusst dafür ent­schie­den, unse­ren Ver­gleich der bei­den Ana­ly­se-Tools mit Pro­ben­sät­zen aus der Umwelt durch­zu­füh­ren, denn hier sind alle umwelt­re­le­van­ten Typen, For­men und Grö­ßen von Poly­me­ren anzu­tref­fen. Zudem kom­men die sehr klei­nen Mikro­pla­stik-Par­ti­kel in der Umwelt beson­ders häu­fig vor, und je klei­ner die Par­ti­kel sind, desto höher ist ihr Gefähr­dungs­po­ten­zi­al. Umso wich­ti­ger ist es, neue­ste Ver­fah­ren wie die Mikro-FTIR-Spek­tro­sko­pie und die auto­ma­ti­sier­te Aus­wer­tung der FTIR-Daten­sät­ze zu eva­lu­ie­ren, die für Unter­su­chun­gen die­ser Par­ti­kel geeig­net sind“, sagt Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch, Spre­cher des SFB „Mikro­pla­stik“ an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und kor­re­spon­die­ren­der Co-Autor der Studie.

Erstautorin Sonya R. Moses in einem Bayreuther Labor für Mikroplastik-Forschung. © UBT / M. Löder

Erst­au­torin Sonya R. Moses in einem Bay­reu­ther Labor für Mikro­pla­stik-For­schung. © UBT / M. Löder

Für die neue Stu­die haben die Forscher*innen in Bay­reuth und auf Hel­go­land die par­al­lel mit den bei­den Ana­ly­se-Tools erziel­ten Ergeb­nis­se ver­gli­chen. Ins­ge­samt gese­hen stim­men die Ergeb­nis­se größ­ten­teils über­ein. Doch es gibt auch Abwei­chun­gen: Vor allem im Bereich von Par­ti­keln, die klei­ner als 50 Mikro­me­ter sind, gibt es unter­schied­li­che Resul­ta­te, da hier die Algo­rith­men infol­ge einer schlech­te­ren FTIR-Spek­tren­qua­li­tät auch Fehl­ent­schei­dun­gen tref­fen kön­nen. „Unse­re Stu­die zeigt, dass wei­te­re ver­glei­chen­de For­schungs­ar­bei­ten not­wen­dig sind, damit Mikro­pla­stik-Par­ti­kel aller Grö­ßen mit­tels auto­ma­ti­sier­ter Ver­fah­ren feh­ler­frei iden­ti­fi­ziert wer­den kön­nen. Bis­her erziel­te Ergeb­nis­se zur Kon­ta­mi­na­ti­on der Umwelt durch Mikro­pla­stik sind gera­de im Hin­blick auf klei­ne­re Grö­ßen­klas­sen durch­aus mit einer gewis­sen Skep­sis zu betrach­ten. Dar­über hin­aus belegt unse­re Stu­die, dass wir gute und belast­ba­re Daten erhal­ten, wenn wir die mit den Ana­ly­se-Tools gewon­ne­nen Daten abschlie­ßend einer kri­ti­schen Über­prü­fung unter­zie­hen“, sagt Co-Autor Dr. Mar­tin Löder von der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. „Bei allen der­zeit ange­wand­ten Tech­ni­ken und Ver­fah­ren bleibt jedoch letzt­lich unklar, wie gut die dabei erziel­ten Ergeb­nis­se die tat­säch­li­chen Mikro­pla­stik­be­la­stun­gen in der Umwelt wider­spie­geln. Selbst wenn wir moder­ne, tech­nisch avan­cier­te Unter­su­chungs­ver­fah­ren ein­set­zen, ist die Fra­ge, wie vie­le und wel­che Mikro­pla­stik-Par­ti­kel die Umwelt tat­säch­lich bela­sten, noch nicht abschlie­ßend zu beant­wor­ten. Gera­de bei den ganz klei­nen Par­ti­keln sind wir hier noch ganz am Anfang, umso wich­ti­ger sind wei­te­re For­schungs­an­stren­gun­gen,“ betont Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch.

Lang­jäh­ri­ge Zusam­men­ar­beit bei der Erfor­schung von Mikro­pla­stik in der Umwelt

Die Uni­ver­si­tät Bay­reuth und das AWI auf Hel­go­land kön­nen auf eine lang­jäh­ri­ge und erfolg­rei­che Zusam­men­ar­beit zurück­blicken. Bei­de For­schungs­part­ner nut­zen die glei­chen Mikro-FTIR-Spek­tro­me­ter für ihre Mikro­pla­stik­ana­ly­sen und waren bei­spiels­wei­se am euro­päi­schen JPI Oce­ans Pro­jekt BASE­MAN betei­ligt, bei dem es um die Stan­dar­di­sie­rung und Har­mo­ni­sie­rung von Mikro­pla­stik­ana­ly­sen ging. Zudem haben sie gemein­sam in dem vom BMBF geför­der­ten Pro­jekt PLA­WES die Mikro­pla­stik-Kon­ta­mi­na­tio­nen im Öko­sy­stem Weser-Wat­ten­meer untersucht.

Ver­öf­fent­li­chung:

Sonya R. Moses et al.: Com­pa­ri­son of two rapid auto­ma­ted ana­ly­sis tools for lar­ge FTIR micro­pla­stic data sets. Ana­ly­ti­cal and Bio­ana­ly­ti­cal Che­mi­stry (2023), DOI: https://dx.doi.org/10.1007/s00216-023–04630‑w