Tourismus in der Fränkischen Schweiz, Folge 7: Kuren

Blick von der Streitburg auf Streitberg. © A. Dittrich / wiesentbote.de
Blick von der Streitburg auf Streitberg. © A. Dittrich / wiesentbote.de

Molkekuren in der Fränkischen Schweiz

Als direkte Folge des hohen Bekanntheitsgrades, ausgelöst Ende des 18. Jahrhunderts durch die neu entdeckten Höhlen und die romantische Burgenlandschaft darüber, boomte der Tourismus im 19. Jahrhundert regelrecht. Es entstanden sogar Einrichtungen nach Schweizer Vorbild, wie das Kurhaus in Muggendorf mit flachem „Schweizer Dach“ (heute das Rathaus der Gemeinde Wiesenttal) und Molkekuranstalten in Streitberg und Gößweinstein, die ebenfalls ihre baulichen Wurzeln in der Schweiz haben.

Postkarte von 1902 mit der Ansicht von Streitberg und einem „Churhaus“-Stempel des Gasthauses Pfundt. Repro: Reinhard Löwisch

Postkarte von 1902 mit der Ansicht von Streitberg und einem „Churhaus“-Stempel des Gasthauses Pfundt. Repro: Reinhard Löwisch

Die Industrialisierung ist voll im Gange, überall werden Eisenbahnen und Dampfmaschinen gebaut. Ein genialer Schachzug gelingt den Streitbergern: Ab dem Jahre 1839 wurde gekurt im Wiesenttal, wie Johann von Plänkner in seinem Reiseführer schreibt und damit zusätzlich zu den höhlenforschenden Wissenschaftlern und ihren Studenten vermögende Reisende angelockt: „In Streitberg ist neuerdings durch Herrn Dr. Gustav Briegleb eine Molkekuranstalt (im Gasthaus Zum Goldenen Kreuz, später altes Kurhaus) errichtet worden, die schon in diesem Jahre sehr gut besucht war. Das milde Klima, die gesunde Luft, lassen den besten Fortgang hoffen“, schreibt er weiter. Wer aus dem Schweizer Jura hierher kommt, bemerkt Georg Zimmermann in seiner Reisebeschreibung von 1843, könnte hier (in Streitberg) „leicht an den herrlichen Weißenstein und seine Molkenanstalt erinnert werden. Freilich die Naturherrlichkeit, die man dort mit einem Blick überschaut (…) wird er hier vermissen, aber auch mit dem gegenwärtigen Schönen zufrieden sein“. Hier ist er wieder, der Vergleich mit der Schweiz, der zur Umbenennung des Gebietes führte (wir berichteten).

20 Jahre später war schon reger Kurbetrieb, wie in einem weiteren Reiseführer jener Zeit zu lesen ist: „Der Zuzug der Gäste wird von Jahr zu Jahr stärker. Im Jahre 1857 mussten die Wohnungen schon lange im Voraus gemiethet werden, um Unterkunft zu finden. Es sollen zuweilen bis und sogar über 400 Kurgäste hier versammelt gewesen sein“. Diese enorme Steigerung des Fremdenverkehrs führte zu ersten Quartieren in Privathäusern und auf Bauernhöfen. Den Erfolg bekamen auch die Muggendorfer Bürger mit. 1857, 18 Jahre nach Streitberg, verfügte dieser Ort ebenfalls über ein „Kurhaus“. Adalbert Küttlinger schreibt darüber im gleichen Jahr euphorisch: Das Kurhaus Muggendorf „…wird 100 Meter lang, 40 Meter tief, hat 39 Zimmer, einen großen Speisesaal und einen fein dekorierten Salon mit Balkon.“ Bereits 1862 stellt Muggendorfs Pfarrer Johannes Scheuerlein fest: „Mittlerweile ist Muggendorf ein Kurort geworden und wird von vielen Fremden besucht. Es gibt eine Menge Schankhäuser in dem kleinen Markt und fast jedes Haus wird eingerichtet zur Vermietung an Gäste“.

Das junge Gewerbe Tourismus entwickelte sich stetig weiter. Fuhrwerksbesitzer hatten Hochbetrieb wegen der zahlreichen Ausflugsfahrten in die Umgebung, die Bauern in den Dörfern ringsum versorgten die Kurhäuser mit frischer Ziegenmilch und Lebensmitteln. 1883 schrieb der damals schon bekannte Schriftsteller Victor von Scheffel an seinen Freund, den Maler Anton von Werner: „Willst Du einmal andere Menschen, andere Landschaft, kühle Bergluft, groteske Felsen um dich haben, so empfehle ich Dir Streitberg, wo ich im Kurhaus bei Dr. Weber wohnte“. Auf dem Streitberger Friedhof befindet sich noch eine massive Grabplatte, welche die Gebeine des Adalbert Viktor von Chamisso enthält. Jener war der Sohn des bekannten Schriftstellers und Philosophen Dr. phil. Charles Louis Adalbert von Chamisso (Peter Schlehmihl). Der Sohn verbrachte hier in Streitberg einige Zeit wegen einer Molkekur, um sein Lungenleiden zu bessern. Chamisso Junior starb hier trotz Kur, laut Inschrift auf der Grabplatte am 29. Juni 1856. In einschlägiger Molkekurliteratur damaliger Zeit ist nachzulesen, „dass nach etwa vierwöchigem Kurgebrauch bei den meisten Patienten eine Gewichtszunahme von 6-8 Pfund festzustellen ist, die bei Fortsetzung der Kur bis etwa ein Vierteljahr bis auf 20 Pfund ansteigen konnten. Ferner ergab sich durch Messungen, dass die Kranken nach abgeschlossener Behandlung um 300 bis 1000 Kubikzentimeter Luft mehr in ihre Lunge aufzunehmen vermochten, als zuvor“. Gesunde Ernährung und viel frische Luft waren das Erfolgsgeheimnis der Molke- und Badekuren.

Dem Beispiel im Wiesenttal folgend kam es bald auch zu Kuraktivitäten in Gößweinstein. Laut Ortschronist Ludwig Helldörfer baute Andreas Belzer 1863 eine Badeanstalt mit drei Badstuben, in der es verschiedenste Bäder sowie „täglich frisch bereitete Molken und frisch ausgepresste Kräutersäfte“ gab. Damit stieg Gößweinstein ebenso in den erlauchten, touristischen Kreis der „Kurorte“ auf, von denen es in Oberfranken 1865 nur wenige gab: Alexanderbad, Berneck, Gößweinstein, Muggendorf, Steben und Streitberg. 1905 errichtete Heinrich Faust aus Bamberg ebenfalls ein großes Kurhaus in Gößweinstein, das über 65 Betten verfügte und viele Jahre lang „Bäder aller Art“ anbot. Die Einrichtung von Kuren in der Region führte dazu, dass Orte wie Muggendorf, Streitberg und Gößweinstein eine enorme Steigerung des Bekanntheitsgrades erfuhren und daher eine Zeitlang in der touristischen Bundesliga spielen konnten. Laut statistischen Erhebungen des Verkehrsverband Nordbayern, heute Tourismusverband Franken, verzeichnete die Fränkische Schweiz im Jahre 1928 rund 217 000 Übernachtungen. „Mit seinen 73 416 Übernachtungen im Sommerhalbjahr wird Gößweinstein nur noch von München, Nürnberg, Altötting, Würzburg und Regensburg übertroffen. Auf 100 Einwohner kommen in Gößweinstein 198 Fremdenbetten, womit Gößweinstein an Platz zwei in ganz Bayern steht. An 55 Tagen waren die 1345 Betten belegt“ – schrieb die Lokalzeitung.

Reinhard Löwisch

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Über den Autor:

Reinhard Löwisch

Reinhard Löwisch

Reinhard Löwisch ist ein „Reisender wie er im Buch steht“. Als gelernter Zugbegleiter arbeitete er 14 Jahre am Hauptbahnhof Nürnberg und lernte dabei ganz Deutschland kennen. Von August 1992 bis Juli 2020 war er Mitarbeiter der Tourismuszentrale Fränkische Schweiz. In den 28 Jahren seiner Dienstzeit, bekam er den Tourismus in der Region “hautnah“ mit und war bei allen Aktionen und Projekten ganz vorne mit dabei. Dabei hat er eine Menge an Erfahrungen gesammelt und seine Liebe zur Heimatkunde tat ein Übriges, um daraus die richtigen Schlüsse und Verknüpfungen zu ziehen. Dazwischen verbrachte der Autor vier Jahre als „Rucksacktourist“ in den USA und Südostasien. Alles zusammengenommen ein reicher Wissensschatz den er über Jahrzehnte angesammelt hat. Seine Erfahrungen in der Heimat hat er nun in einem Buch zusammengefasst, woraus wir in den folgenden Wochen einige Themen vorstellen werden.