Forch­heim – blät­ter­WALD-Abschluss­ver­an­stal­tung mit Hel­ga Bürster

Blaetterwald2022_HelgaBuerster / Foto: Privat
Blaetterwald2022_HelgaBuerster / Foto: Privat

Im blät­ter­WALD ist das letz­te Blatt vol­ler berüh­ren­der Sät­ze zu Boden gefal­len. Mit der Erfolgs­au­torin Hel­ga Bürster und Aus­zü­gen ihres neu­en Romans „Eine ande­re Zeit“ in der Spar­kas­se Forch­heim sind die „Lite­ra­tur­ta­ge im Forch­hei­mer Land“ zu Ende gegan­gen. Mit dem Zuspruch und vor allem den vie­len Lesun­gen für Kin­der und Jugend­li­che ist das blät­ter­WALD-Team um Ema­nue­la Cavall­aro mehr als zufrieden.

Der unbe­fe­stig­te Weg endet im Nir­gend­wo. Das Schilf und die Flu­ten machen ein Wei­ter­kom­men unmög­lich. Zumin­dest auf den ersten Blick. Wer sich wei­ter wagt, stürzt nicht von der Erd­schei­be. Er gerät in die pom­mer­sche Stil­le – und mit­ten hin­ein ins Leben. Das Fischer­dorf Kamp liegt am Ran­de der Welt. Hier zwi­schen Stet­ti­ner Haff, Insel Use­dom und der Pee­ne­mün­dung ereig­nen sich im Klei­nen all jene Din­ge, die man im Gro­ßen „die Geschich­te“ nennt. Die Karg­heit der Gegend zeigt sich in Bürsters Spra­che. Wie Wind und Was­ser an der Küste nagen, so hat sie in ihren Sät­zen jedes über­flüs­si­ge Wort abge­schlif­fen. Zugleich fin­det sie für vie­le Gescheh­nis­se und Schil­de­run­gen ori­gi­nel­le Bil­der, die man trotz tau­sen­der Roma­ne ande­rer Schrift­stel­ler noch nie gehört hat. Das macht die Lesung so inten­siv und sorgt dafür, dass das Publi­kum auch nach weit über einer Stun­de noch mehr hören will.

Es ist schon eini­ge Jah­re her, dass Bürster in der Reg­nitz­ach­se gelebt hat. Damals stu­dier­te sie in Erlan­gen Thea­ter­wis­sen­schaf­ten beim legen­dä­ren Pro­fes­sor Hol­ger San­dig. „Ich woll­te zum Thea­ter“. Es blieb nicht bei der Theo­rie. Bürster wag­te sich auf die Büh­ne. Erst mit einem Kin­der­thea­ter. „Wir tin­gel­ten im Klein­bus durch die Gegend“. Dann mach­te sie mit zwei Kol­le­gen als Ensem­ble „Zap­pen­du­ster“ Kaba­rett und lern­te Lore Lorentz vom Düs­sel­dor­fer „Kom­möd­chen“ ken­nen. „Wir durf­ten mit ihrer Erlaub­nis sogar eine ihrer alten Num­mern nach­spie­len“. Spä­ter arbei­te­te Bürster beim Radio­sen­der N1 in Nürn­berg als Nach­rich­ten­spre­che­rin. „Es waren die Zei­ten, in denen man froh war, über­haupt eine Fest­an­stel­lung zu bekom­men. Ich hat­te den Vor­teil, dass ich Hoch­deutsch spre­chen konn­te“. Nach acht Jah­ren ende­te das „frän­ki­sche Aben­teu­er“ mit dem Umzug nach Bonn. Spä­ter kehr­te Bürster zurück in den Dunst­kreis Bre­mens, genau­er in das Dorf Döt­lin­gen im Land­kreis Oldenburg.

Wie Bürster sich für die Land­schaf­ten inter­es­siert, die am Ran­de lie­gen, fas­zi­nie­ren sie Men­schen, die ein Dasein im Abseits füh­ren. „Sie tra­gen so viel Leben in sich“. Kei­ne strah­len­den Hel­den tau­chen aus dem Text auf, des­sen Sprach­me­lo­die nicht ver­ber­gen kann, dass Bürster eine erfah­re­ne Hör­spiel­ma­che­rin bei Radio Bre­men und dem Nord­deut­schen Rund­funk ist. Es sind zwie­späl­ti­ge, mit­un­ter geschei­ter­te Figu­ren, die in ihren histo­ri­schen Roma­nen von der unmit­tel­ba­ren Ver­gan­gen­heit kün­den. „Ich woll­te eine Ost-West-Geschich­te erzäh­len“. Nach all den erfolg­rei­chen Küsten-Kri­mis, die Nie­der­sach­sen zum Tat­ort haben, nun also ein Roman, der die 70er Jah­re und eine Flucht aus der DDR in den Blick nimmt. Natür­lich mit dem Kolo­rit, in dem ein Lada ohne Fede­rung, der Ost-Win­ne­tou Goj­ko Mitic und der Held der Arbeit am Fuß­ball Jür­gen Spar­was­ser nicht feh­len dür­fen. Dabei ist das Fischer­dorf Kamp, heu­te ein Teil der Gemein­de Bug­e­witz, nicht ganz zufäl­lig gewählt. Bürster hat hier oft Freun­de besucht. Den ehe­ma­li­gen Chef­dra­ma­tur­gen und sei­ne Ehe­frau, eine Schau­spie­le­rin, bei­de am benach­bar­ten Thea­ter Anklam enga­giert. „Ihr Bru­der ist damals in den Westen geflüch­tet. Sie dach­te, sie sieht ihn nie wieder“.

Damit der Roman nicht lang­wei­lig wird, dür­fen die Men­schen dar­in nicht glück­lich wer­den. Eine tie­fe, tra­gi­sche Lie­be, Angst, Ver­rat und Ver­lust, schlim­me Erin­ne­run­gen und deren Ver­drän­gung: All das ver­webt Bürster zu einem gro­ßen Stück Lite­ra­tur. Es hat sie immer inter­es­siert, wie sich Men­schen in aus­weg­lo­sen Situa­tio­nen ver­hal­ten, was sie dar­aus machen. Selbst wenn sie schei­tern. „Dar­aus kann man wahn­sin­nig viel ler­nen“. Man hät­te ihr noch viel län­ger in „Eine ande­re Welt“ fol­gen wollen.